Müller will nach Karlsruhe - und die SPD muss zustimmen

Die Nachrichten des gestrigen Freitags kommen in Gestalt einer Weihnachtsüberraschung über das Saarland

Die Nachrichten des gestrigen Freitags kommen in Gestalt einer Weihnachtsüberraschung über das Saarland. Was bislang die Spatzen von den Dächern der Staatskanzlei pfiffen (und die Saarbrücker Zeitung schon mehrfach berichtet hat), meldete die "Süddeutsche Zeitung" gestern als Neuigkeit: Ministerpräsident Peter Müller (CDU) wolle Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe werden. Auf diese Personalie hätten sich auch "die so genannten Richtermacher der Parteien geeinigt". Der erste Satz davon ist richtig. Der zweite nicht.Aus genau dieser Runde der "Richtermacher" wird unserer Zeitung bestätigt, dass die Entscheidung für Müller mitnichten gefallen sei. Es stimme zwar, dass "die Saarländer" sondieren ließen, ob Müller die Chance habe, auch von den SPD-regierten Bundesländern akzeptiert zu werden. Doch sei diese Frage nicht abschließend beantwortet worden. Hintergrund ist das übliche Prozedere in Berlin, wonach über die Besetzung der höchsten Richterstellen der Republik einvernehmlich entschieden wird. Das hat zur Folge, dass die möglichen Kandidaten zuvor intern "ausgekungelt" werden und nicht nur höchsten Ansprüchen genügen, sondern auch konsensfähig sein müssen. Im Fall der früheren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und des Würzburger Staatsrechtlers Horst Dreier etwa hatte die CDU ihr Veto eingelegt. Genüsslich wird erzählt, die CDU ("auch Müller") hätten Dreier damals "antanzen" lassen, um seine Befähigung zu überprüfen - und hätten danach den Daumen gesenkt. Von dieser Ablehnung profitierte der jetzige Präsident des Verfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, auf den sich CDU und SPD gemeinsam einigen konnten.

Müller hat also Interesse an dem Karlsruher Amt signalisiert, das von den (in dieser Personalie) zuständigen Ministerpräsidenten zur Kenntnis genommen wurde. Die Verhandlungsführer Stefan Mappus (CDU, Baden-Württemberg) und Jens Böhrnsen (SPD, Bremen) haben dem Vernehmen nach "keine Ablehnung" signalisiert, doch insbesondere Böhrnsen habe auch klar zu erkennen gegeben, dass man zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine verbindliche Aussage treffen könne. Hintergrund: Im kommenden Jahr finden mehrere Landtagswahlen statt, durch die sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat deutlich ändern könnten. Das gilt vor allem für die Wahlen in Hamburg und Baden-Württemberg, bei denen es zu Regierungswechseln kommen kann. Zudem heißt es aus SPD-Kreisen, der Preis für die Zustimmung zu Müller sei "hoch". Man sei mal auf die entsprechenden Angebote der "B-Seite" (CDU-geführte Länder) gespannt. An maßgeblicher Stelle wurden zudem Zweifel an der Qualifikation Müllers für die Richterstelle in Karlsruhe laut. Er habe "nur ein paar Jahre als Richter am Landgericht" gewirkt und sei seit 20 Jahren Politiker. Müller könnte in Karlsruhe "keine Reden mehr halten", sondern müsste Urteile schreiben. Das sei "harte, trockene Schreibtischarbeit".

Die ganze Entwicklung ist für Müller selbst, die CDU im Saarland und für die Jamaika-Koalition nicht unproblematisch. Müller muss jetzt mit dem Bewusstsein leben, ein Ministerpräsident auf Abruf zu sein - ohne konkret zu wissen, ob seine Berufung nach Karlsruhe überhaupt klappt. Da in einem solchen Fall automatisch die Nachfolge-Diskussion beginnt, verspricht die Politik im Saarland demnächst turbulent zu werden. Nach Informationen unserer Zeitung haben Arbeitsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Innenminister Stephan Toscani intern Interesse an der Nachfolge geäußert. Der Fraktionsvorsitzende Klaus Meiser überlegt noch, ob er seinen Hut in den Ring werfen soll. Finanzminister Peter Jacoby, der über die größte Erfahrung verfügt und bislang als der "natürliche Nachfolger" galt, hat nach Informationen der SZ bereits abgewunken. Jacoby, der im kommenden Frühjahr 60 Jahre alt wird, plädiert für einen Generationswechsel.

Was auch schwer wiegt: Die Jamaika-Koalition, in der vor allem die FDP schwächelt, würde mit Müller ihren stabilisierenden Faktor verlieren. Der Jurist aus Eppelborn gilt als der herausragende politische Kopf der Saar-Politik, ohne dessen Steuerungsfunktion das Bündnis ins Schlingern geraten könnte. Bereits jetzt gibt es großen Unmut in der CDU-Spitze über die "personellen Versorgungswünsche" der kleinen Partner FDP und Grüne, hinzu kommen die Dauer-Querelen bei den Liberalen, die der Koalition Kraft entziehen und zu Verdruss führen. Seit längerem ist die Stimmung im Bereich der Landesregierung, aber auch in der CDU Saar, nicht besonders gut. Kritisiert wird das "dominante Auftreten der Grünen", das sich die CDU gefallen lasse, aber auch die "barsche Art" der Staatskanzlei - gemeint ist insbesondere deren Chef Karl Rauber - stößt auf Unmut. Rauber selbst ist ebenfalls von Müllers Abschiedsplänen betroffen, sein Verbleib als Regierungsmanager gilt als fraglich.

Zu allem Überfluss droht weiteres Ungemach von einer Seite, die in der öffentlichen Diskussion bislang keine Rolle spielte: Am 31. Januar 2011 will der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes in der Frage der Wahlanfechtungen entscheiden. Ein Bürger des Saarlandes hatte Beschwerde erhoben und den Antrag gestellt, das Parlament wegen Untätigkeit zu rügen. Hintergrund ist die Tatsache, dass der Landtag des Saarlandes sich bis heute nicht mit den Wahlanfechtungen zur Landtagswahl 2009 (wegen "illegaler" Wahlwerbung, wegen des Wahlzettels und der Kandidatenkür der Linkspartei im Wahlkreis Neunkirchen) befasst hat. Sollten die saarländischen Verfassungsrichter die Beschwerde positiv bescheiden, könnten die Fraktionen sich wiederum an den Verfassungsgerichtshof wenden mit dem Antrag, das verfassungswidrige Verhalten des Landtages festzustellen. Sollte diesem Antrag stattgegeben werden, drohen Neuwahlen innerhalb einer Frist von 60 Tagen.

Der saarländischen Politik stehen somit unruhige Zeiten ins Haus. Vor allem die Nachfolgefrage für Ministerpräsident und CDU-Chef Peter Müller ist spannend, da sich herausschält, dass Müllers Favoritin Kramp-Karrenbauer vermutlich auf eine Gegenkandidatur trifft. Innenminister Toscani, der sich dem Vernehmen nach eine Kandidatur offen hält, hat intern schon die Möglichkeit einer Mitgliederbefragung ins Spiel gebracht. Auch die Junge Union fordert eine stärkere Einbindung der Basis. Ob es dazu kommt, ist aber völlig offen. Fraktionschef Meiser, dem ebenfalls Ambitionen nachgesagt werden, will sich zu seiner möglichen Kandidatur erst äußern, "wenn sich die Frage stellt". Bevor die CDU-Gremien nicht darüber beraten haben, wolle er sich dazu nicht äußern, sagte er unserer Zeitung. "Der Preis

für die Zustimmung

zu Peter Müller

ist hoch."

SPD-Kreise

Stichwort

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist das oberste Organ der Rechtspflege in Deutschland. Es hat das Recht, selbst Entscheidungen von Bundestag und Bundesrat aufzuheben, wenn sie gegen Bestimmungen des Grundgesetzes verstoßen. Insgesamt besteht das 1951 gegründete Gericht aus 16 Richtern, von denen je acht dem Ersten und dem Zweiten Senat angehören. Der Erste Senat ist für Grundrechte der Bürger zuständig, der Zweite Senat für Fragen des Staatsrechts. dapd

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