Mubarak hat die Wut der Straße unterschätzt

Präsident Husni Mubarak hat in seiner fast 30-jährigen Amtszeit schon viele Klippen erfolgreich umschifft. Doch am "Freitag der Wut" hat ihn sein politisches Gespür verlassen. Er taucht ab, obwohl viele Menschen auf ein Zeichen der Versöhnung von ihm warten. Diese Vogel-Strauß-Politik heizt die Proteste gegen ihn noch mehr an

 Straßenkampf in Kairo: Mit einem gehörigen Sicherheitsabstand beobachten zwei Demonstranten Polizisten am Ende der Straße. Foto: dpa

Straßenkampf in Kairo: Mit einem gehörigen Sicherheitsabstand beobachten zwei Demonstranten Polizisten am Ende der Straße. Foto: dpa

Präsident Husni Mubarak hat in seiner fast 30-jährigen Amtszeit schon viele Klippen erfolgreich umschifft. Doch am "Freitag der Wut" hat ihn sein politisches Gespür verlassen. Er taucht ab, obwohl viele Menschen auf ein Zeichen der Versöhnung von ihm warten. Diese Vogel-Strauß-Politik heizt die Proteste gegen ihn noch mehr an. Landesweit erheben sich nach dem Mittagsgebet mehr als 100 000 Menschen gegen die Staatsmacht. Die Polizei hält dagegen - mit Schlagstöcken, Plastikmunition, Wasserwerfern und Tränengas. Am Abend wird eine Ausgangssperre verhängt. Einige Demonstranten werfen Brandbomben und versuchen die Zentren der Macht zu stürmen.

Die Demonstranten, die den 82 Jahre alten Präsidenten zum Rücktritt auffordern, sind überall - in der Innenstadt von Kairo, in der Arbeiterstadt Mahalla, in den ländlichen Provinzen des Nil-Deltas, auf dem Sinai und in den ehemaligen Islamisten-Hochburgen des Südens. Auch die Internet- und Mobilfunkblockade, mit der die Regierung Absprachen zwischen den verschiedenen Protestgruppen verhindern will, kann die Demonstranten nicht stoppen.

Die ägyptische Führung hatte aus dem überstürzten Abgang des tunesischen Präsidenten Ben Ali offensichtlich den Schluss gezogen, dass es sicherer ist, nicht direkt auf die politischen Forderungen der Regierungsgegner einzugehen. Sie dachten wohl, dass die Proteste sonst wie in Tunesien schnell eine Eigendynamik entfalten könnten, die dann schwer zu stoppen wäre. Doch im Fall Ägyptens, wo viele Menschen trotz ihrer massiven Kritik an der Regierung Angst vor einem gewaltsamen Umsturz haben, hätte sich die Eskalation vielleicht verhindern lassen, wenn Präsident Mubarak so wie einst Ben Ali gesagt hätte: "Bürger, ich habe euch verstanden."

Stattdessen schickte er am Donnerstag einen seiner alten Weggefährten vor, NDP-Generalsekretär Safwat al-Scherif, der für viele Ägypter all das symbolisiert, was sie an der Regierungspartei hassen. Al-Scherif speiste die Journalisten mit ein paar dürren Worten ab und kündigte eine Fortsetzung der Politik der Wirtschaftsreformen an. Diese Reformen haben zwar in den vergangenen fünf Jahren für mehr Wachstum gesorgt, doch bei den Armen und bei Teilen der unteren Mittelschicht kam davon fast nichts an. Diese einkommensschwachen Bürger mussten gleichzeitig aber genau wie alle anderen die steigenden Preise für Milch, Zucker und andere Grundnahrungsmittel bezahlen. Die Wut wurde immer größer. Mubarak schwieg weiter. Für Husni Mubarak, der im Präsidentenpalast in Kairo und im Badeort Scharm el Scheich jede Woche Politiker aus dem Westen empfängt, mag es vielleicht auch schockierend sein, dass jetzt keiner seiner früheren Gäste für ihn Partei ergreift. Einige von ihnen sympathisieren sogar offen mit seinem Herausforderer Mohammed el Baradei, der am Freitag von der Polizei festgesetzt wurde.

Lediglich einige Parlamentarier und Vertreter der oppositionellen Muslimbruderschaft melden sich am Freitag in den arabischen Fernsehsendern zu Wort. Die Parlamentarier rufen nach der Armee, die das Chaos auf den Straßen beenden soll. Am späten Nachmittag meldet das ägyptische Fernsehen schließlich, das Militär habe damit begonnen, die Polizei zu unterstützen. Die Islamisten rufen das Volk ihrerseits auf, "kein öffentliches Eigentum zu zerstören, denn dies ist nicht das Eigentum der Regierungspartei, sondern das Eigentum des Volkes". Die Muslimbrüder, deren Organisation verboten ist, wollen sich mit den gewalttätigen Demonstranten nicht auf eine Seite stellen, um hinterher nicht eventuell zusammen mit ihnen im Gefängnis zu landen und um sich die Option offenzuhalten, sich an einer möglichen Übergangsregierung zu beteiligen.

Am Freitag brennen Parteibüros und Polizeistationen. Demonstranten greifen nach den Waffen der Polizisten, die vor der Übermacht ihrer wütenden Gegner fliehen. Doch ist es jetzt noch zu früh, von einem Ende der Ära Mubarak zu sprechen. Denn die Zahl derjenigen, die von seinem System profitieren, ist groß. Diese Geschäftsleute und Parteimitglieder haben - im Gegensatz zu den Arbeitslosen, die sich jetzt mit der Polizei prügeln - viel zu verlieren. Sie haben Firmen, Häuser und Beziehungen und werden diese wohl nicht kampflos aufgeben. Außerdem haben viele bürgerliche Ägypter Angst, dass es zu einem völligen Zusammenbruch der Ordnung und zu Plünderungen kommen könnte, wenn niemand der Jugend aus den illegalen Armensiedlungen Einhalt gebietet. Beobachter glauben, dass Mubarak eine weitere Eskalation verhindern könnte, wenn er ankündigen würde, dass er bei der für den Herbst vorgesehenen Präsidentschaftswahl auf eine Kandidatur verzichtet. Doch Mubarak schweigt weiter.

Hintergrund

 Straßenkampf in Kairo: Mit einem gehörigen Sicherheitsabstand beobachten zwei Demonstranten Polizisten am Ende der Straße. Foto: dpa

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Angesichts der Unruhen in Ägypten bieten mehrere deutsche Reiseveranstalter derzeit keine Ausflüge nach Kairo mehr an. Dazu gehören neben Thomas Cook/Neckermann und Rewe Touristik auch die Tui und Alltours, wie die Unternehmen bestätigten. Auch bei Besichtigungstouren nach Alexandria müssen Urlauber mit Einschränkungen rechnen. dpa

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