Monster aus Beton

Mainz/Saarbrücken · Nicht nur in Saarbrücken hadert man mit städtebaulichen Errungenschaften längst vergangener Tage. Stadtautobahnen, Hochstraßen, vierspurige Trassen: Was einst als Höhepunkt der Ingenieurskunst galt, halten viele heute nur noch für Bausünden.

 Idar-Oberstein nach dem massiven Eingriff ins Stadtbild: Auf einer Strecke von fast zwei Kilometern wurde die Nahe „eingesargt“. Das Foto stammt aus dem Jahr 1992. Fotos: dpa

Idar-Oberstein nach dem massiven Eingriff ins Stadtbild: Auf einer Strecke von fast zwei Kilometern wurde die Nahe „eingesargt“. Das Foto stammt aus dem Jahr 1992. Fotos: dpa

 Vor Beginn der Bauarbeiten: Die Nahe schlängelt sich durch die Innenstadt von Idar-Oberstein.

Vor Beginn der Bauarbeiten: Die Nahe schlängelt sich durch die Innenstadt von Idar-Oberstein.

Die Lösung aller Verkehrsprobleme von Idar-Oberstein war 1875 Meter lang, 265 Millionen DM teuer und galt der überregionalen Presse schon zu Bauzeiten als "Akt der Barbarei": Der Fluss Nahe, der sich einst unterhalb der Felsenkirche mitten durch das Ortszentrum schlängelte, wurde mit einer vierspurigen Schnellstraße überbaut. Das Ortsbild des Edelstein-Städtchens änderte sich immens. Die Pläne dafür stammten aus der Nachkriegszeit, gebaut wurde in den 80er Jahren.

Wolfgang Augenstein gehörte von Anfang an zu der Minderheit von Bürgern, die sich gegen die brachiale Umgestaltung der Stadt aussprachen. "Ich kann alle verstehen, die die Verkehrsbelastung unerträglich fanden", räumt der Kommunalpolitiker ein, der das Projekt einst mit einer Bürgerinitiative stoppen wollte. Vor dem Bau der Schnellstraße drängte sich der Durchgangsverkehr durch zwei enge Einbahnstraßen. Doch alternative Trassenführungen oder ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs seien nicht intensiv genug geprüft worden, klagt Augenstein. Im Rückblick sieht er sich bestätigt: Die Stadt sei durch die neue Bundesstraße zerschnitten worden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg standen Ingenieure und Architekten vielerorts in Deutschland vor Herkulesaufgaben. Und die meisten wollten beim Wiederaufbau der zerstörten Städte gleich noch alte Fehler korrigieren. Viele Verantwortliche hätten einfach dem großen Vorbild USA nachgeeifert, glaubt Ulrich Mohr von der Umweltorganisation BUND: "Man wollte modern sein, das Geld war da, und dann wurden die Sachen durchgezogen."

Geradezu durchtränkt von Euphorie liest sich ein Bericht des Magazins "Der Spiegel" von 1959 über das "Wunder von Hannover" - den Bau der ersten Hochstraßen Deutschlands: "Wenn sie fertig sind, können die Autofahrer aus der Richtung Ruhrgebiet - was kaum in einer anderen deutschen Stadt möglich ist - unbehindert durch Kreuzungen oder Ampeln mit unbeschränkter Geschwindigkeit bis zum Stadtkern preschen", malte der Autor die damals nahe Zukunft voraus. Das Schlagwort für die Entwicklung lieferte der Architekt Hans Bernhard Reichow mit seinem Werk "Die autogerechte Stadt".

In Städten wie Koblenz oder Ludwigshafen entstand ein Gewirr von Schnellstraßen . Auch Saarbrücken wurde zur geteilten Stadt. Mit dem Bau der Stadtautobahn sei "die Saar vergewaltigt worden", sagte der Schauspieler Jochen Senf vor Jahren einmal. Die Autobahn sei "ein Terrorangriff auf die Stadt", befand der Mann, den hierzulande jeder als "Tatort"-Kommissar Max Palu kennt.

Inzwischen sind viele der einstigen Prestigeprojekte zu Sanierungsfällen geworden. In Marburg, wo die höhergelegte Bundesstraße 3a das historische Zentrum zerteilt, wird wie in Saarbrücken seit Jahren über einen Tunnel als Alternative nachgedacht. "In vielerlei Hinsicht ist das ein Monstrum", kritisiert Gerd Haberle von der Initiative Stadtautobahn Marburg die ungeliebte Bundesstraße. Optimisten verbinden eine Beseitigung dieses zählebigen "Monstrums" mit der Jahreszahl 2029, wenn die Bundesgartenschau in der Universitätsstadt an der Lahn stattfinden soll. Für Saarbrücken scheint derzeit selbst dieses ferne Jahr unrealistisch. Dass jemals ein Tunnel gebaut wird, glaubt kaum noch jemand.

In manchen städteplanerischen Entwürfen ging es in der Nachkriegszeit noch um viel mehr als um zeitgemäße Verkehrstrassen. Im Auftrag der französischen Besatzungsmacht wollte der Stararchitekt Marcel Lods in Mainz die "modernste Stadt Europas" aus den Weltkriegsruinen auferstehen lassen. An der Stelle der Mainzer Neustadt sollten Straßen mit langgezogenen, zehnstöckigen Hochhäusern in den Himmel aufragen. Von der Vorkriegsstadt wäre nur noch eine kleine "historische Insel" mit Museums-Charakter um den Dom herum übriggeblieben. Wenigstens dieser abenteuerliche Plan blieb ein Hirngespinst.

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