Vor der Sondierung in Berlin Mit viel Getöse in die Tage der Entscheidung

Berlin · Vor Beginn der Sondierung gibt es statt Schweigegelübde doch weiter Gezicke. Am Sonntag wird es dann handfest – vor allem in der Asylfrage.

Auf Augenhöhe wollen SPD Und Union, Martin Schulz und Kanzlerin Angela Merkel, ab Sonntag sondieren. Die CSU streute vorab noch ein paar Misstöne ein.

Auf Augenhöhe wollen SPD Und Union, Martin Schulz und Kanzlerin Angela Merkel, ab Sonntag sondieren. Die CSU streute vorab noch ein paar Misstöne ein.

Foto: dpa/Olivier Hoslet

Das Vorhaben war erst zwei Tage alt. Am Mittwoch noch hatten sich die Spitzen von CDU, CSU und SPD geschworen, ihre Sondierungsgespräche von Sonntag an ganz anders durchzuziehen als die Jamaika-Verhandler – nämlich im Stillen. Keine Durch­stechereien, kein Getwitter aus den Sitzungen, keine Balkon-Bilder, keine Quasi-Sondierungen vor laufender Kamera, keine ständigen Provokationen per Interview. Ein komplett anderer „Stil“ soll es werden, will SPD-Chef Martin Schulz. Diszipliniert, konzentriert, fokussiert. Doch am Freitag, zwei Tage vor dem Start, lieferten sich Sozialdemokraten und CSU schon wieder öffentliche Scharmützel. Auffällig: Die CDU beteiligte sich nicht.

Hintergrund der Auseinandersetzungen war die Klausurtagung der CSU in Kloster Seeon, die von Landesgruppenchef Alexander Dobrindt mit allerlei kernigen Sprüchen gegen die Sozialdemokraten garniert wurde. Die SPD müsse raus aus der „Schmollecke“, sagte Dobrindt, und dass sie in den Verhandlungen nicht mit Themen „aus der alten sozialistischen Klamottenkiste“ zu kommen brauche. Harsche Töne, die in der Feststellung gipfelten, dass „eine 20-Prozent-Partei nicht 100 Prozent der Ziele“ umsetzen könne. Sprach‘s und ließ mit seiner Sechs-Prozent-Partei eine ganze Reihe harter Beschlüsse fassen, vom weiteren Aussetzen des Familiennachzugs bis zur Kürzung von Sozialleistungen für Asylbewerber. Lieblingsthemen der CSU, die das ohnehin schwierige Sondierungsthema Migration befeuern. Und Forderungen, die durchaus geeignet sind, die Verhandlungen zum Scheitern zu bringen. Das befürchtet man jedenfalls in der CDU, aus der es hieß, man werde im Vorfeld nichts tun, was die Atmosphäre belaste. Man wisse um die Empfindlichkeiten der Sozialdemokraten. Bei denen muss am 21. Januar ein Parteitag anhand des Sondierungsergebnisses über die Aufnahme förmlicher Koalitionsverhandlungen entscheiden, und dieser Termin ist aus Sicht der CDU die größere Hürde als die am Ende erforderliche Urabstimmung unter den SPD-Mitgliedern. Entsprechend hielten sich CDU-Politiker am Freitag strikt mit Äußerungen zurück.

Nicht so die SPD. Sie keilte gegen die CSU zurück. Man könne durchaus den Eindruck haben, die Christsozialen wollten die Sondierungen vor die Wand fahren lassen, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und forderte „Mäßigung“. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil tönte: „Wir sind nicht der schwächere Partner“ und stellte seinerseits einen Forderungskatalog auf – von der Beendigung der „Zwei-Klassen-Medizin“ durch eine neue Bürgerversicherung bis zu Milliardeninvestitionen im Bildungssektor und der Abschaffung des Kooperationsverbotes. Sein Parteichef Schulz ergänzte das in einem Interview um die Forderung nach Steuererhöhungen für Top-Verdiener. Schulz: „Wir bleiben hart.“ Über aller Debatte hing die neue Umfrage, wonach die Groko-Begeisterung der Bürger sinkt.

Gekeilt wurde am Freitag auch anderswo. Auch hier ging es um Jamaika-Fehler, die eine einzige Frau zu verantworten hat. Zumindest sehen es die Freien Demokraten im Südwesten so, die Kanzlerin Merkel als Hauptverantwortliche für das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen ausmachten. Nicht etwa den eigenen Chef Christian Lindner, der die Verhandlungen aufgekündigt hatte. „Das Kalkül der Kanzlerin war, den Grünen sehr weit entgegen zu kommen – in dem irrigen Glauben, die FDP sei sowieso dabei oder billig zu haben“, sagte Landeschef Michael Theurer am Freitag beim FDP-Landesparteitag in Fellbach bei Stuttgart. Merkel habe mit ihrem „Weiter so“ alle anderen ausgebremst. Sie sei nicht in der Lage, klar zu machen, wofür die CDU eigentlich stehe.

Freilich, wenn am Sonntag um zwölf Uhr mittags die 39 Groko-Verhandler in der Berliner SPD-Zentrale zusammen kommen, 13 von jeder Partei, dürfte weder länger von Jamaika, noch von der FDP die Rede sein. Und die aufgeheizte Stimmung der Vortage passé. Und das nicht nur, weil CSU-Chef Horst Seehofer beschwichtigend erklärt hatte, die Beschlüsse der CSU-Landesgruppe richteten sich gegen niemanden, seien nur „die Darstellung unserer Position“. Zur Versachlichung dürfte die verabredete Organisation der Verhandlungen beitragen. Die 39 verteilen sich nämlich bald auf 15 Arbeitsgruppen zu den einzelnen Themengebieten. Je Partei kommt maximal ein Fachexperte dazu, so dass die Teams jeweils nur aus sechs Leuten bestehen. Bei Jamaika waren sie viel größer. Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz selbst bilden die Arbeitsgruppe Europa, jeweils begleitet von einem ihrer Top-Europapolitiker.

Fünf Tage lang geht man so in Klausur, abwechselnd in den beiden Parteizentralen und in der bayerischen Landesvertretung. Beginn immer neun Uhr morgens, Ende jeweils offen. Bei Bedarf tagt die große Runde; auch können sich die Parteichefs jederzeit zum kleinen Gipfel zurückziehen, wenn es hakt. Nach außen kommuniziert werden soll, wie gesagt, nur sehr dürr. Donnerstagabend, spätestens Freitagfrüh, soll das Sondierungsergebnis stehen, einige Seiten Papier. Die gehen dann in die Partei-Gremien. Soweit die Theorie. Wie weit Anspruch und Wirklichkeit am Ende beieinanderliegen, zeigt sich. Ab Sonntag.

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