Mit Traktoren auf der Flucht vor der Jahrhundertflut

Belgrad · Klar ist: Der Rekordregen macht die ohnehin bettelarmen Balkanländer mit seinen Verwüstungen noch ärmer. Klar scheint aber auch: Die Rettungseinsätze hätten besser laufen können. Die Helfer sind überfordert.

Der serbische Regierungschef Aleksandar Vucic sprach von Überschwemmungen und Verwüstungen wie beim Weltuntergang. Er sei stolz, wie die Staatsführung die Krise im angeblich biblischen Ausmaß gemanagt habe, sagte er am Wochenende. Seine Regierung ist nicht einmal einen Monat im Amt. Da bot das Unwetter eine gute Chance, sein Kabinett als zupackend vorzustellen.

Die Bürger konnten im Staatsfernsehen an mehreren Tagen live verfolgen, wie der unangefochtene Spitzenpolitiker des Landes seine Minister wie ein General befehligte und angeblich falsche Entscheidungen sowie den unzureichenden Einsatz der Behörden namentlich vor laufender Kamera abkanzelte.

Das Tief "Tamara" brachte dem Land zwar Rekordregenfälle, die innerhalb von drei Tagen in Belgrad 190 Liter und in der Stadt Loznica sogar 216 Liter pro Quadratmeter betrugen. Allerdings kamen die großen Flüsse wie Donau, Save oder Morava bis auf wenige Ausnahmen bei weitem nicht an die historischen Höchststände heran. Für die Regierung war "Tamara" ein "Zyklon", ein Wirbelsturm, wenn auch die orkanartigen Winde gefehlt hatten.

Die materiellen Schäden dürften das ohnehin vom Bankrott bedrohte Serbien wirtschaftlich weiter zurückwerfen. Die Regierung will das Ausmaß der Schäden am Mittwoch abschätzen. Vucic bezifferte den finanziellen Schaden allein durch die Überflutung der Grube von Kolubara, des größten Kohlebergwerks von Serbien, auf 100 Millionen Euro.

Die Sanierungskosten könnten mit bis zu einer Milliarde Euro leicht drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen, rechnete die Belgrader Zeitung "Nase Novine" vor. Dabei hat die Vucic-Regierung gerade angesetzt, mit kräftigen staatlichen Subventionen die marode Wirtschaft in Schwung zu bringen. Diese Gelder dürften nun in Hilfen für die Schadenssanierung umgeleitet werden, kündigte Minister Velimir Ilic an.

In Bosnien war es wegen der katastrophalen sozialen Lage erst im letzten Februar zu schweren Unruhen gekommen. In vielen Orten waren Regierungsgebäude in Flammen aufgegangen. Die Infrastruktur im ganzen Land ist wegen des Dauerstreits von muslimischen Bosniaken, orthodoxen Serben und katholischen Kroaten seit langem in einem beklagenswerten Zustand. Niemand weiß, wie bei leeren Staatskassen jetzt die Aufbauarbeit finanziert werden könnte.

Am Freitagabend hatte die serbische Regierung möglichst viele Freiwillige in die besonders bedrohte Stadt Sabac gerufen, um mit Sandsäcken die Stadt vor der völligen Überschwemmung zu retten. Am Samstagmorgen wurden viele schon wieder nach Hause geschickt, weil es für sie nichts mehr zu tun gab. Die tatendurstigen Helfer berichteten von schweren Organisationsmängeln. Die Zeitungen zeigten mit dem Finger auf die Meteorologen, die nicht rechtzeitig vor dem Unwetter gewarnt hätten.

Zum Thema:

HintergrundNach den verheerenden Überschwemmungen auf dem Balkan ist die Zahl der Todesopfer auf mindestens 44 gestiegen. Im serbischen Obrenovac nahe Belgrad wurden nach Angaben von Ministerpräsident Aleksandar Vucic gestern zwölf Leichen entdeckt, damit stieg die Zahl der Todesopfer in dem Land auf 16. In Bosnien starben nach Angaben der Behörden bisher mindestens 27 Menschen in den Fluten, aus Kroatien wurde ein Todesopfer gemeldet. Die Lage entlang des Flusses Save, der durch Nord-Bosnien und West-Serbien fließt, blieb gestern weiter kritisch. afp

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort