Mit nassen Füßen und Millionen im Gepäck

Die Kanzlerin kommt gleich: In der Passauer Nicolastraße, wo das dritte Jahrhunderthochwasser innerhalb von 100 Jahren eine dicke Schlammschicht hinterlassen hat, bricht hektische Betriebsamkeit aus. Feuerwehrautos fahren auf, etwa 25 Bundeswehrsoldaten bekommen Schaufeln in die Hand gedrückt und schippen Matsch, was das Zeug hält.

Sinn macht das nicht, sagt einer, der von Aufräumarbeiten etwas versteht.

Angela Merkel (CDU) ist in Begleitung des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) und seines halben Kabinetts erschienen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Das ist nicht so einfach, weil Trauben von Fotografen und Kameraleute ihre Sicht versperren. Der einen Kopf größere Seehofer hat es da leichter. Gekleidet im Katastrophen-Look mit Rotkreuz-Warnweste und Gummistiefeln schaut er mit besorgtem Blick über die drängelnde Journalistentruppe.

An diesem Dienstagmorgen hat Passau schon das Schlimmste überstanden und die Schäden werden ansatzweise sichtbar. Überall brummen Pumpen, die schon mal das Wasser aus jenen Häusern schaffen, welche der sinkende Pegel von Donau und Inn freigegeben hat. Unübersehbar ist, dass die Flut die Menschen kalt erwischt hat. Fast keinem Ladenbesitzer gelang es, seine Geschäftsräume noch freizuräumen. Bücher, Schuhe, Kleider, Medikamente: alles durchnässt und von Schlamm überzogen. In vielen Geschäften und Gastwirtschaften steht das Wasser noch - teilweise sogar bis zur Decke. Und aufgespannte Sonnenschirme sind mit Schlamm überzogen.

Eine böse Sache ist das, denn eine Elementarschadenversicherung für die Häuser am Zusammenfluss von Donau und Inn ist gegen noch so hohe Prämien nicht zu haben. Bei katastrophalen Fluten wie dieser ist der Staat die letzte Hilfsinstanz. Und der bayerische hat schon mal 150 Millionen Euro für die Opfer der Katastrophe zur Verfügung gestellt. An Helfern mangelt es nicht: Überall in der Passauer Altstadt sind Feuerwehrleute, Angehörige des Technischen Hilfswerks und der Bundeswehr aktiv. "Wir bleiben so lange, wie wir gebraucht werden, und weichen dem Oberbürgermeister nicht von der Seite", meldet ein Oberstleutnant schneidig der Kanzlerin. Sogar vom anderen Ende Bayerns sind 177 Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr aus Aschaffenburg angereist. Ihre Aufgabe: Pumpen, pumpen, pumpen.

Unterdessen wälzt sich der von Merkel und Seehofer angeführte Tross durch die Altstadtgassen. In der Ludwigstraße, der zentralen Fußgängerzone, rächt es sich, dass Merkel auf die Gummistiefel verzichtet hat: Die mächtigste Frau der Welt bekommt ein wenig nasse Füße. Ab und zu stürzen sich Politiker und Medien auf einen Helfer oder einen Geschäftsmann. "Danke, dass Sie da sind", sagte eine Passauerin dem Landesvater. Der erklärt, er sei "stolz auf die bayerische Bevölkerung", weil sie so ruhig und professionell mit der Katastrophe umgehe.

Bürger wittern Wahlkampf-Show

Nicht alle sind so angetan von der Vor-Ort-Visite der wahlkämpfenden Spitzenpolitiker. Als sich eine aus dunklen Limousinen bestehende Kolonne durch die noch vor Kurzem überflutete Fußgängerzone in Richtung Landratsamt in Bewegung setzt, platzt einer Ladenbesitzerin der Kragen: "Eine Frechheit. So was brauchen wir jetzt nicht". Das Mega-Medienspektakel zum Mega-Hochwasser findet dann zum Schluss der einstündigen Kanzlerinnen-Visite auf der Ostrampe der Schanzlbrücke statt, die im braunen Donau-Hochwasser endet. Die Fotografen und Kameraleute stehen sich gegenseitig im Weg, Sicherheitsleute werden nervös und die Passauer wissen nicht so recht, ob sie das Spektakel als Zeichen echter Fürsorge oder als lupenreine Wahlkampfshow bewerten sollen. Die Kanzlerin sagt irgendetwas von "100-Millionen-Euro" und "zur Verfügung stellen", mehr hört man aber nicht, weil auch ein lärmender Hubschrauber zeigen muss, wie wichtig man hier die Katastrophenbekämpfung nimmt.

Dann steigt Merkel in ihre Limousine und braust ab nach Ostdeutschland. Sie will sich in Greiz (Thüringen) und Pirna (Sachsen) ein Bild von der Katastrophe machen. Gerade in Sachsen wird der Hochwasserscheitel erst erwartet, weil gewaltige Wassermassen aus Tschechien nahen. Währenddessen verschwinden in der Nicolastraße in Passau die Hubschrauber und Soldaten wieder. Nur der Schlamm ist in den Wohnungen und Geschäften geblieben. Und während sich um ihn jetzt Pumpen kümmern, denken die Passauer darüber nach, ob sie die Kunde von den "unbürokratischen Hilfen" glauben sollen.

Zum Thema:

Am RandeDie saarländischen Helfer des Technischen Hilfswerks sind gestern im überfluteten Eilenburg in Sachsen eingetroffen. Derzeit sind bereits 70 Einsatzkräfte aus Beckingen, Freisen, Illingen, St. Ingbert, Heusweiler und Nohfelden im Katastrophengebiet. Sie sollen die Elektroversorgung sicherstellen, Keller auspumpen und logistische Unterstützung leisten. Die Lage an der Mulde hat sich weiter verschärft. Die Innenstadt Eilenburgs musste evakuiert und 7000 Menschen in Notquartieren untergebracht werden. Ein THW-Sprecher sagte der SZ, dass das Saar-Kontingent wohl noch aufgestockt werden könnte.pbe/dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort