Mit Mundfunk und Laufwerk gegen den Trend

Wenn man den aktuellen Gemütszustand des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück beschreiben soll, dann fällt einem das Bild aufgekrempelter Ärmel ein. Zwischen zwei Wahlkampfterminen traf unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff am Samstag in Erfurt einen Merkel-Herausforderer, der trotz schlechter Umfragewerte die Zuversicht nicht verloren hat.

Schwarz-Gelb hat in den Umfragen keine sichere Mehrheit. Aber Rot-Grün in allen Umfragen eine Mehrheit sicher nicht. Wie wollen Sie in den letzten zwei Wochen die noch fehlenden rund zehn Prozentpunkte aufholen?

Steinbrück: Mit Mundfunk und Laufwerk. Nur so kann man an die Wählerinnen und Wähler herantreten. Wir haben über zwei Millionen Haustürbesuche gemacht, die Veranstaltungen sind gut besucht, die Leute sind interessiert. Wenn am 22. September die Wahlbeteiligung hoch ist, sind alle Umfragen Lügen gestraft. Der Umkehrschluss gilt auch.

Welche Themen können denn noch den Umschwung herbeiführen?

Steinbrück: Die, die wir von Anfang an betont haben: Faire Löhne für anständige Arbeit, gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, bezahlbare Wohnungen, bezahlbare Energie, gerechte Steuern. Ich spüre, dass die Leute sich eine zentrale Frage stellen: Wie halten wir diese Gesellschaft zusammen? Das ist das überlagernde Gefühl: mehr Gemeinsinn, mehr Wir und weniger Ich.

Überlagernd ist das Gefühl, dass es Deutschland wirtschaftlich gut geht.

Steinbrück: Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass viele so denken. Sie haben aber auch die Sorge, dass für die Zukunft nicht mehr gesät worden ist. Und in der Tat ist in dieser Legislaturperiode nichts an Wegweisendem gegeben worden, um dieses Land zusammen und wirtschaftlich stark zu halten. Frau Merkel fährt politisch im Kreis, sie wartet bloß ab und beobachtet. Das reicht nicht aus.

Die letzten großen Reformen wurden mit der Agenda 2010 unter Gerhard Schröder gemacht. Stimmen Sie zu, dass Ihr Wahlprogramm zum Teil Korrekturen daran vornimmt, vor allem beim Arbeitsmarkt?

Steinbrück: Dazu stehe ich, dazu steht auch Gerhard Schröder selbst. Wenn es Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt gibt, muss man die korrigieren, selbstverständlich. Die Spaltung des Arbeitsmarktes in einen Niedriglohnsektor, der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen, die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen.

Der verstorbene SPD-Sozialpolitiker Ottmar Schreiner hat damals immer wieder darauf hingewiesen. Müssen sich einige im Nachhinein entschuldigen?

Steinbrück: Er hat manche Entwicklung offenbar eher gesehen als andere. Aber es wäre eine Legendenbildung zu sagen, Gerhard Schröder und andere hätten die Agenda nicht mit einem gesetzlichen Mindestlohn flankieren wollen. Das wollten sie. Aber der Bundesrat und die Gewerkschaften waren damals dagegen.

Würden Sie für sich selbst auch einen gewissen Lernprozess einräumen?

Steinbrück: Ja, ich war damals keineswegs für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und auch nicht für die Frauenquote.

Warum gehört das Aussetzen der Rente mit 67 nicht zu Ihrem 100-Tage-Programm? Immerhin ist das Parteitagsbeschluss der SPD.

Steinbrück: Weil ich die weitere Entwicklung abwarten und sehen will, ob die Beschäftigungsquote Älterer weiter steigt. Es gibt diesen Trend. Wir müssen uns dem Problem stellen, dass sich die Rentenbezugsdauer in den letzten 30 Jahren verdoppelt hat.

Der Parteitagsbeschluss sagt: Aussetzen, solange nicht mehr als 50 Prozent der Älteren arbeiten. Setzen Sie stattdessen den Parteitagsbeschluss aus?

Steinbrück: Nein. Es gibt keinen Stichtag für eine solche Prüfung. Und ich bin dafür, dass wir die erkennbar positive Entwicklung abwarten, ehe wir uns festlegen.

Ist das die Beinfreiheit, die Sie sich ausbedungen haben?

Steinbrück: Jedenfalls ist es eine Auffassung, die ich vertrete, weil ich den Problemdruck sehe und keine wirklichkeitsferne Politik machen möchte.

Wo werden Sie die Beinfreiheit noch nutzen? Bei Steuererhöhungen?

Steinbrück: Dazu stehe ich. Worauf ich dringe, ist allerdings, dass wir die Substanzbesteuerung in Deutschland nicht verändern und vor allem die Familienunternehmen und den Mittelstand nicht weiter belasten.

Die meisten Menschen wünschen sich eine große Koalition. Können Sie das nachvollziehen?

Steinbrück: (lacht) Ja, weil das nämlich ein eindrucksvoller Beleg für die miese Qualität der augenblicklichen Regierung ist.

Wenn Angela Merkel der SPD am Wahlabend ein Gesprächsangebot macht, werden Sie Ihrer Partei dann empfehlen, darauf einzugehen?

Steinbrück: Da bleibt das konkrete Wahlergebnis abzuwarten. Richtig ist, dass ich mich einbringen und meine Rolle als Kanzlerkandidat auch nach der Wahl mit Blick auf die dann zu führenden Gespräche zur Geltung bringen werde.

Wie sicher können die Wähler sein, dass die SPD am Ende nicht doch eine rot-rot-grüne Koalition eingeht?

Steinbrück: Ganz sicher. Das ist die typische Propaganda, das machen die Konservativen seit den 50er Jahren, seit die Union plakatiert hat: Alle Wege führen nach Moskau. Die Leier verfängt im Jahr 2013 nicht mehr. Die gesamte Führung der SPD hat mehrfach erklärt: Wir werden weder mit der Linkspartei koalieren, noch uns von ihr tolerieren lassen.

Deutschland wollte in St. Petersburg als einziges europäisches Land eine von den USA vorgelegte Syrien-Resolution nicht unterschreiben, ist jetzt aber doch dabei. Wie beurteilen Sie diesen Kurs?

Steinbrück: Als sehr wankelmütig und nicht nachvollziehbar. Ich teile Helmut Schmidts Maxime: Lieber hundert Tage verhandeln als eine Minute schießen.

Sie hätten nicht unterschrieben?

Steinbrück: Ich hätte nicht unterschrieben.

Die Resolution fordert eine starke Reaktion auf den Giftgasangriff Assads gegen unschuldige Zivilisten. 1400 Menschen starben. Wie sieht denn die starke Reaktion von Peer Steinbrück darauf aus?

Steinbrück: Die Resolution hätte den USA eine Art verstecktes Mandat für eine Strafaktion gegeben. Ich glaube aber, dass dabei nicht Gutes herauskommt, sondern die Lage für die Zivilbevölkerung noch schlimmer wird, eine weitere Eskalation der Gewalt wahrscheinlich ist und der UN-Sicherheitsrat entwertet wird. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als mit Russland einen gemeinsamen Weg zu suchen und Moskau zum Beispiel dazu zu bewegen, seine Waffenlieferungen einzustellen. Wenn aber der Westen als erstes die Maximalposition vertritt, dass Assad zurücktreten muss, wird man einen solchen Weg nicht finden.

Sind Sie wie Gregor Gysi der Meinung, dass der Bundestag neu über die Stationierung der Patriot-Raketen in der Türkei beraten muss?

Steinbrück: Er muss beteiligt werden, wenn sich die Ausgangslage verändert. Der Auftrag ist rein defensiv.

Man hat versucht, Sie mit angeblichen Enthüllungen über eine Putzhilfe zu erpressen. Wird der Wahlkampf schmutzig oder ist das ein Einzelfall?

Steinbrück: Der Täter ist eine Einzelperson wahrscheinlich aus meinem Wohnumfeld in Bonn. Das hat erkennbar nichts mit dem Wahlkampf konkurrierender Parteien zu tun. Aber das ändert nichts an dem strafrechtlichen Charakter. Deshalb wurde auch die Polizei informiert.

Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?

Steinbrück: Nicht in Form einer Erpressung. Aber dass man versucht hat, mich oder meine Familie insgesamt in unserer Privatsphäre zu verletzen, das ja.

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