Auschwitz-Überlebende spricht im Bundestag „Mit Hass vergiftet man sich selbst“

Berlin · Die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch redet im Bundestag. Es war die erste Holocaust-Gedenkstunde mit der AfD im Saal.

Was am meisten beeindruckt, ist ihre feste Stimme. Nicht brüchig von den 92 Lebensjahren, nicht brüchig von dem Erlebten in Auschwitz. Und nicht brüchig von Hass. Das schon gar nicht. „Hass“, sagte Anita Lasker-Wallfisch, „ist ein Gift, mit dem man sich letzten Endes selbst vergiftet“.

Wieder erlebt der Bundestag eine große Gedenkstunde zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Es ist die erste mit AfD im Publikum. Deren Abgeordnete hören aufmerksam und ruhig zu. Sie wissen, dass sie beobachtet werden. Aber sie wissen nicht, wie sie reagieren sollen auf die kritischen Anspielungen, die sowohl Lasker-Wallfisch als auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) in ihren Reden in ihre Richtung machen. Meistens klatschen sie mit den anderen mit, nur deutlich zaghafter. Und einer von ihnen, Hansjörg Möller aus Traunstein, hält die Hände bis auf zwei Mal lieber ganz unter der Bank.

Als Schäuble unter dem Beifall des Hauses sagt, die Lehre von Auschwitz sei, dass eine Gesellschaft eine „konsequente Haltung gegen jede Form der Ausgrenzung braucht, bevor es zu spät ist“, ist der Beifall bei der AfD besonders zurückhaltend. Die Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland klatschen zunächst gar nicht, dann zwei Mal lustlos. Genauso bei Schäubles Satz, dass es alle beunruhigen müsse, wenn Ausländerheime angegriffen oder solche Angriffe gebilligt würden. Und als Lasker-Wallfisch Deutschland für die „unglaublich generöse, mutige und menschliche Geste“ gegenüber den Flüchtlingen dankt, bleibt die gesamte AfD-Fraktion reaktionslos, während es sogar auf der Tribüne Beifall gibt.

Lasker-Wallfisch ist mit ihrer Schwester Renate gekommen, mit der sie zusammen erst Auschwitz und dann Bergen-Belsen überlebt hat. Bundespräsident und Bundeskanzlerin geleiten die beiden Ehrengäste in den Plenarsaal, auf der Tribüne sitzen Vertreter der Religionsgemeinschaften und ehemalige Staatsrepräsentanten. Regierungsbank und Bundesratsplätze sind voll. Anita Lasker-Wallfisch war Cellistin im Lagerorchester. In Block 12, direkt an der Rampe und der Gaskammer, war sie untergebracht. „Wir haben alles gesehen“, sagte sie. Mit 18 Jahren. Auch, dass Menschen erschossen und in Gruben verbrannt wurden, als die Kapazität der Gaskammern und Krematorien nicht mehr reichte. Manche warf man lebend in diese Feuer. Ruhig erzählt sie das, fast emotionslos. Fakten, die heute von manchen bestritten werden, wie sie an einer Stelle erstaunt feststellt. „Wie kann man das leugnen?“ Amüsiert hat die seit langem in London lebende Musikerin die Frage einer deutschen Schülerin: Ob die beiden Schwestern denn nach ihrer Befreiung durch die Amerikaner wieder nach Hause gegangen seien?

Ein zu Hause gab es nicht mehr. Das bürgerliche Leben in Breslau verschwand von einem Tag auf den anderen. Die Eltern, die Verwandten, alle ermordet. Der Vater war gar nicht Jude, sondern ein deutscher Jurist in Breslau, Ehrenkreuzträger des ersten Weltkrieges. Es hat ihm nichts genützt. „Nein“, hat Anita Lasker-Wallfisch der Schülerin geantwortet, „wir waren die neue Menschengattung: Displaced persons.“ Heimatlose. Flüchtlinge.

Ein negatives Erlebnis habe sie doch gehabt, erzählt Anita Lasker-Wallfisch dann zum Schluss. Als sie einmal einen gemeinsamen Auftritt mit dem Sohn von Hans Frank, des „Schlächters von Polen“, gehabt und sich zur Vorbesprechung mit diesem in einem Hotel unterhalten habe, sei ein Mann an den Tisch gekommen. Beide sollten „aufhören und nicht schon wieder diese schöne Atmosphäre mit den alten Auschwitzgeschichten verderben“, habe der Mann gesagt. So etwas, sagt Lasker-Wallfisch, sei vor fünf Jahren in Deutschland noch nicht möglich gewesen. „Also aufpassen.“ Der Vorfall geschah übrigens anlässlich einer Lesereise in Traunstein. Dem Wahlkreis des AfD-Abgeordneten Hansjörg Müller, dem gestern das Klatschen so enorm schwer fiel.

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