Mit Härte gegen eine „Hölle auf Erden“

Rio de Janeiro · Brasilien erlebt vor der Weltmeisterschaft einen neuen Höhepunkt der Gewalt: In Salvador sterben 39 Menschen bei Unruhen – die Regierung versucht mit aller Härte gegenzusteuern und mit umstrittenen Gesetzen vor neuen Massendemonstrationen abzuschrecken.

Es war ein weiterer Höhepunkt der täglichen Gewalt in Brasilien, und 39 Menschen bezahlten diesmal mit ihrem Leben. Innerhalb von gut 42 Stunden war diese Anzahl an Tötungsdelikten nach offiziellen Angaben zwischen Dienstag und Donnerstag registriert worden, während eines inzwischen beendeten Streiks der Militärpolizei im Ballungsraum Salvador da Bahia im Nordosten des Landes. Dort wird die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am 16. Juni ihr erstes Gruppenspiel der WM gegen Portugal austragen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird dann als Tribünengast erwartet.

Das Gastgeberland des Spektakels reagierte wieder mit einer Mischung aus Betroffenheit und Hilflosigkeit auf die Gewalt, in der ohnehin gedrückten Stimmung vor der WM. So zynisch das klingen mag: Zu vertraut sind den Brasilianern derartige Vorkommnisse, zu oft werden die Menschen mit Mord und Totschlag konfrontiert. Landesweites Entsetzen löst das in der riesigen Republik nur selten aus. Die ganz großen Schlagzeilen blieben auch diesmal aus. Dabei gab die hohe Zahl der Toten den Unruhen samt Plünderungen von Geschäften und Banken, 60 Autodiebstählen allein am ersten Tag des Streiks sowie vielen weiteren Delikten eine besondere Dimension.

Zumindest jene, die die Eskalation der Gewalt unmittelbar erlebten, rangen um Fassung. Als "Hölle auf Erden" beschrieb ein Sicherheitsbeamter die Ereignisse. Dabei ist man gerade auch in Salvador hohe Kriminalität gewohnt. 2012 wurden dort durchschnittlich 4,3 Morde pro Tag gezählt, 2013 waren es 3,9. Zuletzt stiegen die Zahlen deutlich an: auf 5,5 Morde täglich im Januar und Februar und 6,6 im März dieses Jahres. Der April dürfte diese Statistiken nach den jüngsten Vorfällen noch überbieten.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff reagierte reflexartig. 2500 Soldaten und 250 Elitepolizisten wurden nach Salvador entsandt, ähnlich wie zuvor nach Rio de Janeiro, wo es seither bereits zu mehreren Auseinandersetzungen mit dem Militär gekommen ist. Zunächst starb dort ein 18-Jähriger, dann eine Rentnerin in einem Schusswechsel. "Ich habe das angewiesen, um die Sicherheit der Öffentlichkeit und den Frieden in Bahia zu garantieren", verkündete Rousseff nun via Twitter. Es sei "nicht akzeptabel, dass die Bevölkerung Bahias gefährdet wird". Zuvor hatte sich die Präsidentin bereits zur in knapp zwei Monaten beginnenden WM geäußert und dabei verdeutlicht, dass die Staatsmacht mit aller Härte gegen Unruhestifter vorgehen werde. "Auf keinen Fall wird die Bundesregierung mit irgendeiner Form von Gewalt paktieren. Wir lassen uns damit die WM nicht verseuchen", sagte Rousseff. Man werde "eine starke Sicherheit" gewährleisten, mit der "Bundesarmee als Abschreckung" im Hintergrund, "aber auch bei der Eindämmung von Gewaltakten".

Nicht wenige Menschen fürchten nun, dass die Politik der Abschreckung auch auf die freie Meinungsäußerung zielt. Die Massendemonstrationen im Juni 2013 während des Confed Cups, die sogenannte WM-Generalprobe, haben für Nervosität bei der Regierung in der Hauptstadt Brasília gesorgt. Gesetzesverschärfungen im Demonstrationsrecht wurden bereits verabschiedet, weitere werden derzeit diskutiert und sollen dem Senat in Kürze zur Verabschiedung vorgelegt werden. Darunter befinden sich zwei besonders umstrittene Gesetzesentwürfe, nach denen gewalttätige Demonstranten mit Terroristen strafrechtlich gleichgesetzt werden könnten und "Unruhestiftung" als neuer Straftatbestand definiert wird. "In seiner momentanen Fassung enthält der Gesetzentwurf Paragrafen, die die bloße Teilnahme an einer Demonstration zu einer Straftat erklären; eine Beteiligung an illegalen Handlungen ist dabei nicht einmal mehr nötig", kritisierte Amnesty International unlängst.

Die Politik beteuert, es gehe nicht darum, Demonstranten zu kriminalisieren, sondern für Sicherheit bei der WM zu sorgen. Bürgerrechtler und einige Juristen äußerten sich dagegen ebenfalls alarmiert, sie erkennen in den Gesetzestexten Verstöße gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Zudem stehen die sehr heterogen organisierten Polizeikräfte Brasiliens in dem Ruf, mit brachialen Methoden Gewalt zu provozieren, auch bei Demonstrationen.

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