Mit Galgenhumor durch die Krise - Die Briten und die Rezession

London. Die "mageren Jahre" werden von Julie und Allan Collins wörtlich genommen. Die schwergewichtigen Wirtsleute der "British Legion" in Bathford wollen kräftig abspecken. Und die Gäste haben für jedes verlorene Pfund ein Pfund als Spende für wohltätige Zwecke versprochen

London. Die "mageren Jahre" werden von Julie und Allan Collins wörtlich genommen. Die schwergewichtigen Wirtsleute der "British Legion" in Bathford wollen kräftig abspecken. Und die Gäste haben für jedes verlorene Pfund ein Pfund als Spende für wohltätige Zwecke versprochen. Die Sorgen und Ängste in der schwersten Rezession des Königreiches seit drei Jahrzehnten inspirierte auch Keith Masdin. Er lud die Bewohner des westenglischen Dorfes in die Gemeindehalle zu einem "Motz-Abend", wo sie eine Stunde lang klagen dürfen. Dann aber ist eine Stunde "Optimismus" angesagt - alles natürlich wieder für eine Spendenaktion. Die karitativen Einrichtungen können solche Aktivitäten nur freuen. Sie fürchten nämlich, dass die britische Gebefreudigkeit in diesem Jahr um ein Drittel abbrechen wird. Zwei der drei Hausherren in der "Pump Lane" haben zum Jahresbeginn ihren Job als Architekt beziehungsweise als IT-Spezialist verloren. Richard Wickham, der mit seiner Familie in das Haus seines verstorbenen Schwiegervaters umzog, musste Monate warten, bis er sein altes Haus mit einem kräftigen Abschlag verkaufen konnte.Rapider Währungsrutsch Das Partnerschaftskommittee von Bathford sorgt sich mittlerweile um den anstehenden Gegenbesuch von Artannes-sur-Indre. Die französische Gemeinde liegt nämlich in der "Euro-Zone", und der rapide Verfall des Pfundes belastet die Reisekasse schwer. Der Währungsrutsch wirft die Urlaubspläne vieler Briten über den Haufen. Statt in Spanien oder Griechenland diesen Sommer die Sonne zu genießen, disponierten viele Briten für einen Sparurlaub im eigenen Lande um. Der britische Camping und Caravan Club meldet schon einen Buchungsanstieg von 50 Prozent. Mit der berühmten "steifen Oberlippe" trotzt das Inselvolk jedoch weiter dem Beitritt zum Euro, der mit 71 Prozent bei der jüngsten Meinungsumfrage abgelehnt wurde. "Wir haben keine Aktien und brauchen unser Haus nicht zu verkaufen", sagt Julie Collins. "Doch ich werde zunehmend nervöser, wenn um mich herum die Blitze einschlagen." In Twerton schloss die letzte Filiale von "Woolworth". Aber nicht nur die beliebte Billig-Kaufhauskette ist am Ende, sondern auch die Hersteller berühmter britischer Edelprodukte. Die Porzellanfabrik "Wedgwood", die seit 250 Jahren den britischen Hof beliefert, steht vor dem Bankrott. "Vyella", die seit 1784 den britischen Landadel mit Kleidung ausstattet, meldete Konkurs an. Und die berühmte Textilkette "Marks & Spencer" kündete den Verlust von 1000 Arbeitsplätzen an. Wie Zweidrittel der Briten glauben die Gäste in der "British Legion" nicht den Verheißungen von Premierminister Gordon Brown und seinem Schatzkanzler Alistair Darling, dass das Königreich Mitte des Jahres aus dem Gröbsten heraus ist. Ihre Sorge wird von der überwältigenden Mehrheit der Wirtschafts- und Finanzexperten gestützt, die für dieses Jahr den Verlust von fast einer Million Arbeitsplätzen prophezeien. Die wenigen Optimisten betonen hingegen, dass die Briten, die ihren Job behalten, von der Rezession nur profitieren können. Die sinkenden Preise für Nahrungsmittel, Energie und Hypothekenzinsen würden sich positiv auf die Lebenshaltungskosten auswirken.

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