Mit Disziplin und Fleiß für Kaiser und Vaterland

Ringsum brennt es, doch die Herren schreiten in strahlend weißen Uniformen tatkräftig nach vorne. Das patriotische Gemälde „The Germans to the Front“ wurde zu einer Ikone des Kaiserreichs und des deutschen Militarismus.

 Kaiser Wilhelm II. und Kaiserin Auguste Victoria 1904 vor dem neuen Rathaus in Saarbrücken: Das Kaiserpaar weihte später die Statue von Wilhelm I. auf der Alten Brücke ein. Foto: Emil Eichacker/Landesarchiv Saarland

Kaiser Wilhelm II. und Kaiserin Auguste Victoria 1904 vor dem neuen Rathaus in Saarbrücken: Das Kaiserpaar weihte später die Statue von Wilhelm I. auf der Alten Brücke ein. Foto: Emil Eichacker/Landesarchiv Saarland

Foto: Emil Eichacker/Landesarchiv Saarland

Es strahlt jene Entschlossenheit und Siegesgewissheit aus, die Deutschland 1914 in den Ersten Weltkrieg führten. Gemalt hat das Bild schon 14 Jahre zuvor der Saarbrücker Carl Röchling während des Boxeraufstandes in China. Bereits 1870 als Pennäler hatte er Streifzüge zu den Soldaten auf den Spicherer Höhen unternommen, wo die Deutschen den Grundstein für den triumphalen Sieg gegen Frankreich und damit für das Kaiserreich legten. Schon ein Jahr später feierten die Saarbrücker den Erfolg bei der Schlacht mit einem dreitägigen Fest. Anlässlich des 25. Jahrestages der Schlacht veröffentlichte Albert Ruppersberg 1895 seine "Saarbrücker Kriegs chronik". Im herrschenden nationalistischen Geist schreibt dort der Saarbrücker Lehrer: "Unser Vaterland rüstet sich, die 25-jährige Jubelfeier des Krieges von 1870/71 zu begehen, des größten und ruhmvollsten, den Deutschland je geführt (…)". Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde die Gesellschaft mehr und mehr militarisiert. Das war auch in der überwiegend preußischen, teilweise bayerischen Region an der Saar zu spüren: Ende des Jahrhunderts waren 2750 Mann in Saarbrücken stationiert, Bergkapellen gaben sich militärisch, Veteranen vermittelten in "Kriegervereinen" ein Gefühl der Kameradschaft.

Doch Fleiß, Disziplin und Untertänigkeit waren auch äußerst gefragte Tugenden, um die Räder im Getriebe von "Saararabien" anzutreiben. Der Politiker Friedrich Naumann bezeichnete damit den patriarchalischen Hochmut der Industriebarone. Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg betrieb zwar eine betriebliche Sozialpolitik, doch leitete er die Neunkircher Hütte und die Hochofen-Anlage in Uckange arbeitnehmerfeindlich und kontrollierend. Die meisten anderen Unternehmer an der Saar taten es ihm gleich. Der Frust der Bergleute und Hüttenarbeiter über schlechte Arbeitsbedingungen gipfelte in den großen Streiks 1889 und 1902/03. Auch die lothringischen Kumpel streikten. Hatte doch die Annexion von Elsass und Moselle im Jahr 1871 für die Wirtschaft des Deutschen Reiches große Lagerstätten gesichert. Den Abbau von lothringischem Eisenerz trieben die Deutschen stark voran. Auch die Eisenverhüttung erlebte mit De Wendel in Hayange, Röchling in Thionville, Stumm in Uckange und Thyssen in Hagondange einen Aufschwung. Doch die starke Protest-Abwanderung französischer Lothringer gegen die deutsche Annexion führte zu einem Mangel an Arbeitskräften. So ließen die Industriebarone die meist italienischen Einwanderer direkt bei ihrer Ankunft im Metzer Bahnhof einstellen. 1911 lebten in Moselle fast 27 000 Italiener, die Bergarbeitersiedlungen wuchsen sprunghaft an.

Industrialisierung und Verstädterung führten in der Kaiserzeit auch an der Saar zu regem Bauen. Im Zeichen von nationalem Aufbruch und Großmachtherrlichkeit bedienten sich die Baumeister geschichtsträchtiger Architektur-Stile wie Gotik, Renaissance und Barock. Der Neobarock war für Saarbrücken relevant, weil hier bereits im 18. Jahrhundert der Baumeister Joachim Friedrich Stengel gewirkt hatte. "Die Ausschreibung für das 1910 erbaute Kreisständehaus am Schlossplatz schrieb vor, barocke Stilelemente als Verweis auf Stengel zu verwenden", erklärt Ruth Bauer vom Saarbrücker Stadtarchiv. Von der Renaissance beflügelt waren Martin Gropius und Heino Schmieden, nach deren Entwurf man 1880 die "Königlich Preußische Bergwerksdirektion Saarbrücken" vollendete. Die Gotik wurde wiederbelebt durch die Villa von Stumm-Halberg (1880), die Johanneskirche (1898) und das Rathaus mit seinen Ecktürmen und Spitzbögen (1900).

Nach Lothringen importierte das vor Selbstbewusstsein strotzende Deutsche Reich eine romanische Herrschaftsarchitektur. 1890 berichtete der deutsche Bürgermeister von Metz stolz an das königliche Kriegsministerium, wie die Stadt architektonisch zum "Germanisierungsmittelpunkt von Lothringen " werde. Dem dienten auch der 1908 eingeweihte, gewaltige Bahnhof im neo-romanischen Stil sowie die Post und die Hotels gegenüber. Im Bahnhof verkörpern noch heute der Kaiserpavillon und ein Glasfenster mit Karl dem Großen die Reichsidee, an der Fassade trug eine Rolandsfigur die Züge eines deutschen, in Metz stationierten, Generals. "Viele Schriftsteller haben den Bahnhof und diesen Stil, der weit vom Französischen entfernt ist, stark kritisiert", erklärt Sabine Caumont, Kuratoren-Assistentin im Museum des Deutsch-Französischen Krieges in Gravelotte.

Doch am aggressiven Germanisierungswillen hielt man fest. 1903 sprach Oberlehrer G. Köhler in der Straßburger Zeitschrift "Das Reichsland dem Elsass " eine eigene Identität ab. "Soll die Zukunft des Landes wirklich eine heilvolle werden, so muss sich seine Kultur entwickeln (…) an der Hand der grossen, herrlichen, hoher Blüte zustrebenden Entfaltung deutscher Kraft, deutschen Geistes, deutschen Gemütes, denn deutsch ist das Land und muss es bleiben." Während man noch versuchte zu "germanisieren", packte ein Teil der Franzosen seine Koffer: Allein das annektierte Moselle verließen zwischen 1871 und 1914 rund 192 000 Lothringer. Sie wollten sich nicht mehr fühlen wie Bürger zweiter Klasse.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort