Mit Demut und Angriffslust "Den Laden zusammenhalten"Die SPD rückt nach links und rechnet mit eigener Regierungspolitik ab

Dresden. Etwas verkniffen schaut Frank-Walter Steinmeier. Es sei ja nur ein "halber Abschied", sagt Sigmar Gabriel zum Fraktionschef, der nicht für den Bundesvorstand kandidierte. Das klingt fast nach mehr.Die Verhältnisse sind klar in der SPD

Dresden. Etwas verkniffen schaut Frank-Walter Steinmeier. Es sei ja nur ein "halber Abschied", sagt Sigmar Gabriel zum Fraktionschef, der nicht für den Bundesvorstand kandidierte. Das klingt fast nach mehr.

Die Verhältnisse sind klar in der SPD. Am Freitagabend hat Gabriel die Delegierten in Dresden aufgeputscht, mit Demut, Witz, Intelligenz und Angriffslust auch Skeptiker eingefangen. Steinmeier müht sich am Morgen darauf ab. Er gestikuliert, er legt den rauen Schröder-Tonfall in die Stimme, geißelt den schwarz-gelben Koalitionsvertrag als Dokument der Verunsicherung. Doch die Reaktion bleibt matt, auch der stehende Applaus pflichtschuldig. Da wirkt wohl Groll nach, dass der gescheiterte Kanzlerkandidat sich am Wahlabend quasi selbst zum Fraktionschef ausrief.

Mit Stellwänden hat man die Dresdner Messehalle zu einem engen Rund verkleinert. Zumindest räumlich ist die SPD zusammengerückt. Aber nicht immer ist die Harmonie so groß wie gestern, als der 83-jährige "Vordenker" Erhard Eppler mit feiner Stimme an die Verabschiedung des "Godesberger Programms" vor 50 Jahren erinnert oder am Samstag, als Franz Müntefering doch noch einen warmen Abschiedsapplaus erhält. Das muss Andrea Nahles spüren, die bei der Wahl zur Generalsekretärin mit weniger als 70 Prozent (wohl von der Linken) abgestraft wird. Solidarischer zeigt sich die Partei bei der Wahl von Heiko Maas in den Parteivorstand. Mit 382 Stimmen erhält der Saarländer, der viel Aufmunterndes wegen des verpassten Regierungswechsels hört, das zweitbeste Ergebnis. Auch Elke Ferner (376) und Ottmar Schreiner (298) schaffen locker den Sprung.

Maas wird auch als Mitglied des Präsidiums gehandelt, das der Vorstand in wenigen Tagen wählt. Gestern bereits beruft dieser wie erwartet Astrid Klug aus Homburg zur neuen Bundesgeschäftsführerin. Sie kann gleich daran gehen, die Diskussion über Zustand und Ziele der SPD zu organisieren, die auch den Samstag bestimmt. Da gibt es Unmut über den Leitantrag zu Gründen und Konsequenzen des Wahlergebnisses. Er sei nicht selbstkritisch genug. Die SPD habe die Privatisierung der Sozialsysteme nicht verhindert, sondern mit betrieben, Gerechtigkeitsdefizite wachsen lassen. Auf mehr als eine Überprüfung der Rente mit 67 und der Arbeitsmarktreformen legt sich die SPD aber nicht fest.

Viele Beiträge zeigen, dass sich die SPD nicht auf diese Fragen verengen lässt, auch die der Saarländer. Maas nennt Nachhaltigkeit und Klimaschutz, die man nicht den Grünen überlassen dürfe. Auch solle die SPD erster Ansprechpartner für Kulturschaffende sein. Jo Leinen sieht in Ökologie ein Forschrittsprojekt für die Partei, will "die Rettung des Weltklimas mit dem Aufschwung der Sozialdemokratie verbinden". Elke Ferner pocht auf Gleichstellung und fordert Geschlechtergerechtigkeit im Steuerrecht. Armin Lang begründet einen Initiativantrag für die Bürgerversicherung und gegen die Kopfpauschale, eine "Vorlage" die Schwarz-Gelb der SPD liefere.

Für den befreienden Moment sorgt aber ein anderes Thema. So offen sich die Parteiführung gegenüber Änderungsanträgen gibt. Die Vermögensteuer will die Antragskommission nicht im Leitantrag wissen. Doch der Applaus zeigt der Führung, dass hier die erste Schlappe droht - sie lenkt ein. Großer Jubel. "Wenn sie noch regieren würden, hätten sie das nicht so schnell gemacht", sagt ein Delegierter. Die SPD ist in der Opposition angekommen. Steuerpolitik: Nach kontroverser Debatte wurde die Wiedereinführung der Vermögensteuer beschlossen. Die Methodik der Vermögensteuer war 1995 vom Bundesverfassungsgericht für grundgesetzwidrig erklärt worden. Die Politik verzichtete auf entsprechende Korrekturen. Deshalb wird die Steuer seit 1997 nicht mehr erhoben.

Arbeitsmarkt: Hier gilt die Kritik vor allem Hartz IV. "Die Arbeitsmarktreformen haben in weiten Teilen der Arbeitnehmerschaft Furcht vor sozialem Abstieg durch Arbeitslosigkeit ausgelöst", heißt es im Leitantrag. Der Niedriglohnsektor, dem in der Schröder-Ära Tür und Tor geöffnet wurde, soll nun wieder "zurückgedrängt" werden. Auch wolle man "gegen den Missbrauch von Leiharbeit vorgehen".

Alterssicherung: Über die maßgeblich von Franz Müntefering entwickelte Rente mit 67 heißt es nun: "Die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre wird bei vielen Beschäftigten als direkter Eingriff in die persönliche Lebensplanung wahr genommen". In einer "Reformwerkstatt" will die Partei nun an Konzepten zu flexiblen Rentenübergängen und der Förderung von Altersteilzeit feilen. Eine Absenkung der Altersgrenze für einen abschlagsfreien Rentenbezug wurde mit klarer Mehrheit abgelehnt.

Koalitionen: Über das Verhältnis zur Linkspartei wurde in Dresden nicht debattiert. Im Leitantrag findet sich aber ein Passus, wonach die ideologische Distanz zur Lafontaine-Truppe durch eine pragmatische Betrachtungsweise abgelöst wird: "Weder schließen wir bestimmte Koalitionen aus Prinzip aus, noch streben wir aus Prinzip bestimmte Koalitionen an".

Außenpolitik: Die SPD bleibt hier den Vorgaben von Steinmeier treu. Der Beschluss: Noch in dieser Legislaturperiode soll "die Grundlage für den Abzug der Bundeswehr" aus Afghanistan geschaffen werden.

Basisdemokratie: Die SPD-Führung hat sich im Hinblick auf die künftige Kursbestimmung für eine stärkere Einbeziehung der Basis ausgesprochen. Vom Ortsverein bis zur Parteispitze will man alle Gliederungen an der Analyse des Wahldesasters beteiligen. Bereits im nächsten Jahr soll ein Bundesparteitag stattfinden, um über eine Organisationsreform zu entscheiden. Dabei geht es zum Beispiel um Gastmitgliedschaften. vet Frau Schwesig, war der SPD-Parteitag ein Aufbruch oder doch mehr Selbstsuggestion?

Schwesig: Er ist ein Aufbruch. Wir haben eine offene Debatte über unsere Schwächen und Fehler geführt, um daraus neue Stärke zu gewinnen. Dieser offene Geist stimmt mich hoffnungsvoll.

Die ranghöchsten Führungskader der Partei sitzen nur noch in Landesregierungen. Was heißt das für die SPD?

Schwesig: Das heißt für die SPD, dass nun wieder mehr auf die gehört wird, die in den Ländern und Kommunen Verantwortung tragen. In der Vergangenheit wurde das oft vergessen. Aber nur so kann die SPD die Sorgen der Menschen aufnehmen und ein Gespür dafür entwickeln, wie sich politische Entscheidungen auf die Betroffenen auswirken.

Viele meinen, Sigmar Gabriel und Andrea Nahles sind das letzte Aufgebot der Partei. Stimmen Sie zu?

Schwesig: Sigmar Gabriel ist der richtige Vorsitzende in der schwierigen Situation, in der wir sind. Das hat er mit seiner Parteitagsrede eindrucksvoll bewiesen. Und Andrea Nahles, da bin ich sicher, wird den Laden als Generalsekretärin wunderbar zusammenhalten.

Die SPD hat in den letzten zwei Jahrzehnten zwölf Vorsitzende verschlissen. Warum sollte ausgerechnet Gabriel länger bleiben?

Schwesig: Ich bin auch unglücklich über den rasenden Personalwechsel in den letzten Jahren. Das ist auch ein Grund für die Glaubwürdigkeitskrise der SPD. Denn um die Menschen inhaltlich zu erreichen, braucht es auch Kontinuität bei den Personen, denen sie vertrauen und zuhören.

Und das vermag Gabriel?

Schwesig: Sie haben doch seine Parteitagsrede gehört. Er kann die Herzen der Mitglieder erreichen und den Verstand der Wähler ansprechen. Als Bundesumweltminister hat er eine hohe Glaubwürdigkeit bewiesen. Und er ist in der Lage, grundlegende Antworten zu geben, was zum Beispiel politische Mitte für uns heißt und wie die SPD immer wieder um sie kämpfen muss.

Wie erklären Sie sich das schwache Delegierten-Votum für Andrea Nahles?

Schwesig: Ich finde die Diskussion um einzelne Ergebnisse überflüssig. Die neue Führung ist als Team angetreten und gewählt worden. Und als Team müssen wir diesen Vertrauensbeweis der Basis rechtfertigen.

Sie sind bundespolitisch noch ein unbeschriebenes Blatt. Wie wollen Sie als Parteivize Profil gewinnen?

Schwesig: Ich möchte besonders die jungen Frauen ansprechen, sich politisch zu engagieren. Das Pfund dafür ist meine Arbeit in der Landesregierung. Die anstehenden Entscheidungen der schwarz-gelben Bundesregierung zu Gesundheit, Pflege und Familie stehen im krassen Widerspruch zu sozialdemokratischer Politik. Hier werde ich gegenhalten.

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