Misstöne vom Wehrbeauftragten Bundeswehr-Ärzte fehlen auch in den Kasernen an der Saar

Berlin. Rücksichten musste er nicht mehr nehmen, die schwarz-gelbe Koalition verlängert seine Amtszeit nicht. Vielleicht fiel der aktuelle Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Bundestages, Reinhold Robbe, deshalb so drastisch aus

 Reinhold Robbe prangert unübersichtliche Führungsverantwortung und zu viel Bürokratie bei der Bundeswehr an. Foto: dpa

Reinhold Robbe prangert unübersichtliche Führungsverantwortung und zu viel Bürokratie bei der Bundeswehr an. Foto: dpa

Berlin. Rücksichten musste er nicht mehr nehmen, die schwarz-gelbe Koalition verlängert seine Amtszeit nicht. Vielleicht fiel der aktuelle Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Bundestages, Reinhold Robbe, deshalb so drastisch aus. Der SPD-Mann sagte gestern in Berlin, die Führung der Bundeswehr sei "bei der Einsatzrealität der Soldaten noch nicht angekommen" und verhalte sich wenig fürsorglich. Bei Ausstattung und Ausbildung gebe es erhebliche Defizite.

Robbe hatte auch Beispiele aus den 5700 bei ihm gelandeten Eingaben und seinen 41 meist unangemeldeten Truppenbesuchen parat. Bei einem traf er vor kurzem auf Infanteristen, die unmittelbar vor der Verlegung nach Afghanistan standen und dort die Transportpanzer "Dingo" und "Fennek" fahren sollten, schilderte der 55-jährige Politiker. Sie berichteten ihm, dass sie bisher wegen fehlender Ausbildungsfahrzeuge kein einziges Mal mit diesen Geräten üben konnten. Die Premiere werde in Kundus stattfinden, in schwerem Gelände und womöglich in einer Gefechtssituation. Der "Dingo" wiegt 12,5 Tonnen, der "Fennek" zehn Tonnen. Ihm fehle "jedes Verständnis für dieses gravierende Defizit in Ausstattung und Ausbildung", schimpfte Robbe.

Ein anderer Fall: Ein 25-jähriger, in Afghanistan schwer brandverletzter Gefreiter, bekam von der Bundesverwaltung wenige Tage nach dem Zwischenfall noch im Krankenhaus in Deutschland den Bescheid, er solle den zuviel gezahlten Auslandsverwendungszuschlag (110 Euro pro Monat) zurückzahlen. Begründung: Das Geld sei am Monatsanfang für den ganzen Monat überwiesen, der Dienst aber durch die Verwundung vorzeitig beendet worden. Robbes Eingabe beim Verteidigungsministerium brachte eine erstaunliche Wendung: In Zukunft werde man den Auslandszuschlag von verwundeten Soldaten nicht mehr zurückfordern müssen, teilte ihm die Verwaltung mit. Das Geld werde nämlich künftig immer erst nachträglich am Monatsende gezahlt.

Robbe bringt die dahinter stehende Grundhaltung auf die Palme. Das alles sei mit den Ansprüchen an eine moderne Einsatzarmee nicht zu vereinbaren, sagte er. In der Bundeswehr herrsche "unübersichtliche Führungsverantwortung, zu viel überflüssige Bürokratie sowie veraltete Personal- und Materialplanung, um nur die wichtigsten Stichworte zu nennen". Dass die Soldaten trotzdem einen guten Job leisteten, liege nur an ihrem "unglaublichen Improvisationstalent" und ihrem Kameradschaftsgeist.

Ganz frontal ging der Wehrbeauftragte den Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Kurt-Bernhard Nakath, an: Unter seiner Führung sei der Sanitätsdienst "regelrecht an die Wand gefahren", zitierte er Soldaten-Stimmen. Zeitweise hätten bis zu 600 Ärzte gefehlt, fast ein Fünftel. Das sei "klares Versagen". Er hoffe, so Robbe, "dass die reformwilligen Verantwortungsträger jetzt die erforderlichen Handlungsmöglichkeiten bekommen". Hintergrund für die kaum verhüllte Rücktrittsforderung an Nakath: Robbe hatte die Probleme des Sanitätsdienstes fast in jedem seiner fünf Jahresberichte angesprochen, offenbar ohne Wirkung.

Seinen eigenen Kampf beendete Robbe gestern ohne weitere Gegenwehr. Er werde im Mai nicht erneut kandidieren, obwohl viele ihn darum gebeten hätten, sagte Robbe. Er wolle das Amt nicht in parteipolitische Streitereien ziehen. Hintergrund ist, dass die FDP darauf beharrt, für Robbe den liberalen Abgeordneten Hellmut Königshaus zum neuen Wehrbeauftragten zu machen, da ihr diese Position in den Koalitionsverhandlungen zugesprochen worden war.

Zuletzt hatte es in der Union aber Stimmen gegeben, die dem weithin anerkannten Robbe eine weitere fünfjährige Amtszeit zugestehen wollten. Durch dessen Verzicht kommt es nun nicht mehr zu einer Kampfabstimmung.Saarbrücken. Der vom Wehrbeauftragten beklagte eklatante Ärzte-Mangel bei der Bundeswehr ist auch an den saarländischen Standorten deutlich zu spüren. In den Sanitätseinrichtungen in Merzig, Saarlouis, Lebach und Zweibrücken - den vier Standorten der Luftlandebrigade 26 ("Saarland-Brigade") - sind derzeit zwar sechs von sieben Arztstellen besetzt (ohne Zahnärzte). Allerdings sind von den neun Stellen für Mediziner, die nicht zum Sanitätsdienst gehören, sondern zur Versorgung bei Übung und Einsatz direkt in die Fallschirmjäger-Einheiten der Luftlandebrigade 26 integriert sind, vier Stellen vakant. Diese Zahlen nannte das Sanitätskommando II der Bundeswehr im rheinland-pfälzischen Diez gestern auf SZ-Anfrage.

Um den Personalmangel bei Spezialisten zu beheben, fordert der Bundeswehr-Verband eine bessere Besoldung und bessere Arbeitsbedingungen für Ärzte oder Piloten. "Sie fangen mit Elan an, und plötzlich werden sie mit der Realität konfrontiert", sagte Verbandssprecher Wilfried Stolze unserer Zeitung. Es sei nicht das Geld allein, sondern auch "Frust durch zuviel Bürokratie" - im Einsatz müsse man "auch mal fünf gerade sein lassen können" - und die häufigen Auslandseinsätze. "Wer sich vor zehn Jahren einstellen ließ, wusste nicht, dass er mal nach Afghanistan muss", sagte Stolze.

Dieses Problem dürfte gerade die Saarland-Brigade treffen, die besonders häufig Einheiten ins Ausland schicken muss. Zurzeit sind rund 90 Soldaten des Verbandes in Afghanistan. Zu den Rahmenbedingungen zählt Stolze auch fehlenden Rückhalt von Politik und Gesellschaft für die Soldaten im Einsatz. "Das frustriert ungemein."

Ob unter den im Bericht des Wehrbeauftragten aufgeführten Vorfällen auch welche aus den Reihen der Saarland-Brigade sind, ist unklar, da die betroffenen Einheiten nicht genannt werden. Die entwürdigenden Aufnahmerituale in einigen Einheiten der Bundeswehr spielen in dem Bericht keine Rolle. Nach früheren Angaben der Saarland-Brigade waren aus den saarländischen Standorten keine Beschwerden über solche Rituale an den Wehrbeauftragten gegangen. kir

 Reinhold Robbe prangert unübersichtliche Führungsverantwortung und zu viel Bürokratie bei der Bundeswehr an. Foto: dpa

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