Misstöne vom Minarett lösen Debatte in der Türkei aus

Istanbul. Fünfmal am Tag halten sich manche Türken die Ohren zu. Von den Moscheen aus rufen die Muezzine die Gläubigen zum Gebet, das erste Mal früh am Morgen und das letzte Mal spät am Abend - doch manche tun das so schräg, krächzend und laut, dass ihren Mitbürgern alle frommen Gedanken vergehen

Istanbul. Fünfmal am Tag halten sich manche Türken die Ohren zu. Von den Moscheen aus rufen die Muezzine die Gläubigen zum Gebet, das erste Mal früh am Morgen und das letzte Mal spät am Abend - doch manche tun das so schräg, krächzend und laut, dass ihren Mitbürgern alle frommen Gedanken vergehen. "Die nehmen das Mikrofon in die Hand und reißen den Verstärker auf bis zum Gehtnichtmehr", empörte sich der viel gelesene Kolumnist Mehmet Barlas kürzlich in der Zeitung "Sabah". Barlas stieß damit eine Debatte an, in deren Verlauf auch das staatliche Religionsamt, das die Moscheen und Muezzine im Land kontrolliert, zugeben musste, dass nicht alles in Ordnung ist mit der musikalischen Qualität der Gebetsrufe. Eine verbesserte Ausbildung der Muezzine und technische Fortschritte sollen nun Abhilfe schaffen.Die türkischen Muezzine singen "live". Aber die Zeiten, in denen sie von den Balkonen ihrer Minarette aus allein mit der Kraft ihrer Stimme die Gebete ansagten, sind längst vorbei. Jede noch so kleine Moschee in der Türkei verfügt über mindestens einen Lautsprecher mit Verstärker. Die meisten Moscheegemeinden legen beim Bau eines neuen Gotteshauses allerdings keinen großen Wert auf eine hochwertige Tonanlage, weshalb viele Gebetsrufe blechern und verzerrt klingen. Ganz abgesehen davon, dass nur wenige Muezzine die die Eleganz der Gebetsrufer in Sultansmoscheen erreichen. "Geplärre" in IstanbulBesonders in Istanbul wird oft "geplärrt". Weil die Moscheen in vielen Teilen der Stadt sehr eng beieinander stehen und die jeweiligen Muezzine nur selten zur exakt derselben Zeit und auf der selben Tonhöhe singen, klingt das Ergebnis meistens "atonal", wie Barlas es noch vorsichtig ausdrückte. "Wäre es nicht besser, wenn Muezzine mit schönen Stimmen zum Gebet riefen?", fragte er. Das wäre es in der Tat, erwiderte Muhammed Sevki Aydin, der stellvertretende Chef des Religionsamtes, das alle 80000 Moscheen in der Türkei verwaltet und Imame und Muezzine bezahlt. Aber eine flächendeckende Gesangsausbildung der Gebetsrufer brauche nun einmal Zeit. In einigen Städten hat das Relgionsamt deshalb ein zentral gesteuertes System eingeführt. Der - wohlklingende - Gesang eines einzigen Muezzins wird über UKW-Frequenzen an andere Moscheen übertragen und gleichzeitig ausgestrahlt. Teilweise werden mehrere hundert Moscheen mit Gebetsrufen versorgt. Auf diese Art gibt es kein hässliches Durcheinander der Stimmen mehr. Allerdings konnte dieses System in Istanbul bisher nicht getestet werden, weil es in der Zwölf-Millionen-Metropole an nutzbaren Frequenzen mangelt. Zudem hat auch der zentrale Muezzin-Ruf seine Tücken. Im westtürkischen Denizli gerieten die Gläubigen vor vier Jahren in helle Aufregung, weil der dortige Muezzin eines Abends im Fastenmonat Ramadan vier Minuten zu früh das Signal zum Fastenbrechen gab. Tausende befürchteten, sie hätten gegen das Fastengebot verstoßen, weil sie sich zu früh an den reich gedeckten Tisch setzten. Die Behörden in Denizli hatten alle Mühe, die Leute zu beruhigen: Bei Fremdverschulden sei das verfrühte Fastenbrechen keine Sünde, erklärten sie.

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