"Migrantenquote" für die Polizei?"Eine Frage der Gewöhnung"

Berlin. Maria Böhmer rudert rasch zurück. Nein, nein, sie wolle gar keine Migrantenquote im öffentlichen Dienst, sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und versucht so, ein Interview zurechtzurücken, das gestern Wirbel auslöste

Berlin. Maria Böhmer rudert rasch zurück. Nein, nein, sie wolle gar keine Migrantenquote im öffentlichen Dienst, sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und versucht so, ein Interview zurechtzurücken, das gestern Wirbel auslöste. Sie betont aber: 20 Prozent der Bevölkerung hätten inzwischen einen Migrationshintergrund, folglich müsse es dringend mehr Menschen mit ausländischen Wurzeln im öffentlichen Dienst mit seinen 4,5 Millionen Beschäftigten geben. Eine Zielmarke von 20 Prozent und mehr, wie sie in Hamburg und Berlin bereits angestrebt wird, würde bedeuten, dass in Zukunft fast eine Million der Beschäftigten im öffentlichen Dienst aus Einwandererfamilien kämen. In Berlin beklagen Polizei und Feuerwehr allerdings, dass sie nicht genug qualifizierte Bewerber finden.

Ob mit oder ohne Quote: Einig ist man sich, dass mehr Migranten bei Polizei, Feuerwehr und an den Schulen gebraucht werden, um Brücken zu bauen und um sozialen Sprengstoff zu vermeiden. Nur in wenigen Industrieländern sind Zuwanderer ähnlich schlecht in den Arbeitsmarkt integriert wie in Deutschland, analysiert die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Und die International Labour Organization (ILE) kommt zu dem Schluss, dass früher vor allem Migranten für die sogenannten Blaumänner-Tätigkeiten gebraucht wurden, sie aber beim Zugang zu höherqualifizierten Jobs klar im Nachteil waren und sind.

"Großartig", findet die türkischstämmige Autorin Necla Kelek die Idee einer Migrantenquote. Bewerber mit ausländischen Wurzeln litten darunter, dass ihre Herkunft bei gleicher Eignung oft automatisch ein Nachteil sei. Deshalb müsse man notfalls per Gesetz ihre Chancen erhöhen. "Wir brauchen sogar eine Migrantenquote für alle Bereiche, nicht nur für den öffentlichen Dienst." Sie hält zehn Prozent für sinnvoll.

Doch Böhmer betont klipp und klar: "Es geht darum, den Anteil der Zuwanderer unter den Beschäftigten unter Berücksichtigung von Eignung, Leistung und Befähigung zu erhöhen." Und ob es genug geeignete Bewerber gibt, gilt als fraglich. Der Linken-Politiker Ali Al Dailami meint zudem, mit Quoten ließe sich das Grundproblem, die Benachteiligung im Bildungssystem, nicht lösen. "16 Prozent verließen im Jahre 2007 die Schule ohne Abschluss und lediglich zehn Prozent erlangten die Hochschulreife."

Der FDP-Politiker Serkan Tören ist einer von lediglich fünf Bundestagsabgeordneten mit türkischen Wurzeln - insgesamt haben nur rund ein Dutzend der 622 Parlamentarier einen Migrationshintergrund (zwei Prozent). Er ist aber dennoch gegen eine Migrantenquote: "Das führt zu willkürlichen Klassifikationen, die Frustration und Unverständnis bei den Bürgern verursachen." Bewerber müssten geeignet und leistungsbereit sein, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe.

Kenan Kolat, der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, hält dagegen, man brauche die Quote. Man sehe doch bei der Frauenquote, dass so gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen seien. "2006 beim Integrationsgipfel wurden wir für eine solche Forderung noch belächelt." Kolat sieht so auch die Möglichkeit, den Respekt vor staatlichen Organen weiter zu stärken, in Berliner Problembezirken etwa bekommt die Polizei immer wieder den geballten Zorn zu spüren: "Menschen mit ausländischen Wurzeln könnten als Brückenbauer dienen." Frau Kimoto, wie bewerten Sie den Vorstoß der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer?

Kimoto: Das ist längst überfällig. Ich halte es für einen notwendigen Schritt, dass Menschen, die zur Gesellschaft gehören, entsprechend ihrer Fähigkeiten teilhaben können an allen Aufgaben der Gesellschaft. Migranten sind selbstverständlich ein Teil unserer Gesellschaft, Deutschland muss das nur allmählich begreifen.

Glauben Sie, dass die Forderung Aussicht auf Erfolg hat?

Kimoto: Da bin ich skeptisch. Meine Erfahrung auch als Lehrerin sagt, dass selbst hochqualifizierte Migranten bei der Suche nach einer Stelle häufig gescheitert sind.

Wie hoch ist derzeit der Anteil von Migranten im öffentlichen Dienst im Saarland?

Kimoto: Das ist ganz schwer zu sagen, aber bestimmt nicht mal ein Prozent. Ich denke zwar, dass allmählich eine gewisse Offenheit zu beobachten ist, aber von einem Trend kann man sicher noch nicht sprechen. Es wird natürlich auch eine Frage der Gewöhnung sein, gerade bei Obrigkeitsaufgaben. Nicht jeder wird vielleicht auf Anhieb damit einverstanden sein, wenn er von einem dunkelhäutigen Menschen einen Strafzettel bekommt.

In Wissenschaft und Wirtschaft scheinen die Probleme geringer zu sein.

Kimoto: In der Tat, das zeigen auch viele Studien. An Unis oder in Krankenhäusern ist man schon sehr viel weiter. Da zählt Qualifikation und Engagement. Oder schauen Sie sich an, wie präsent und tüchtig Migranten in der Wirtschaft sind, wieviele Arbeitsplätze sie schaffen.

Was halten Sie von einer Quote?

Kimoto: Das ist ein schwieriges Thema. Eine Quote würde das Problem nicht lösen, aber vielleicht wäre sie für den Übergang hilfreich.

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