Berlin/Ottobeuren Merkels Suche nach Koalitions-Frieden

Berlin/Ottobeuren · Wochenlang taumelte die schwarz-rote Regierung von Krise zu Krise. Bringt der heutige Koalitionsausschuss die Wende?

Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte gestern mit Ex-Finanzminister Theo Waigel, dessen Frau Irene Epple-Waigel und dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (rechts) die Basilika der Benediktiner-Abtei in Ottobeuren. Hier gab es klassische Musik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte gestern mit Ex-Finanzminister Theo Waigel, dessen Frau Irene Epple-Waigel und dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (rechts) die Basilika der Benediktiner-Abtei in Ottobeuren. Hier gab es klassische Musik.

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Gern beteuern Politiker von Union und SPD, wie sehr die große Koalition an Verbesserungen für den Alltag vieler Bürger arbeite – bei Pflege, Rente, Wohnen. Doch der Dauerzank in der Regierung hat bisher fast alles überdeckt, wie selbst Minister schon kopfschüttelnd registrierten. Nun setzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf ein wichtiges Kümmer-Thema, um die viel beschworene Rückkehr zur Sacharbeit zu beweisen: Beim Treffen der Koalitionsspitzen an diesem Montag soll ein Paket mit konkreten neuen Angeboten her, um Millionen Diesel-Besitzer vor Fahrverboten in deutschen Städten zu bewahren.

Für Merkel geht es im 14. Jahr ihrer Kanzlerschaft um nicht weniger als eine Art Neustart aus kritischer Lage. Da war der nahezu unendliche Flüchtlingsstreit und dann die wochenlange Regierungskrise um die Ablösung von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen – und um den erst im zweiten Anlauf gefundenen Kompromiss, dass er doch nicht (weg)befördert wird. Die Empörung veranlasste Merkel zu einer seltenen Geste des Bedauerns. Dann folgte die unerwartete Abwahl ihres langjährigen Vertrauten Volker Kauder (CDU) vom Vorsitz der Unionsfraktion gegen ihren erklärten Wunsch. Merkel gestand ihre Niederlage ein. Doch welche Folgen hat das Beben noch?

Schnell bemühte Merkel sich, wieder Ruhe ins Spiel zu bringen. Sie ließ erkennen, dass sie beim CDU-Parteitag im Dezember wieder als Vorsitzende kandidieren will. Und entgegnete allen Mutmaßungen: „Ich sitze hier ganz quicklebendig und gedenke, meine Arbeit weiter zu tun.“ Tatsächlich geht es nun zuallererst darum, wieder in einen Normalmodus des Regierens zu finden – nach dem Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geht es am Mittwoch zu deutsch-israelischen Regierungskonsultationen nach Jerusalem.

Am gestrigen Sonntag reiste Merkel aber erst mal nach Bayern, ins idyllische Benediktinerkloster Ottobeuren. Ein Termin ganz nach ihrem Geschmack. Klassische Musik und ein Herzensthema: Europas Zukunft. Vor dem Kloster holt sie kurz die Kritik ein – auf dem Marktplatz skandieren einige AfD-Anhänger etwas von „Volksverrat“, ihnen stehen linke Gegendemonstranten gegenüber, dazwischen Polizei.

Anders als bei der Bundestagswahl 2017 in Bayern spielt die Kanzlerin in der laufenden CSU-Kampagne für die Landtagswahl keine Rolle. Die Zahl der Merkel-Anhänger in der CSU ist sehr überschaubar geworden. Einer der wenigen ist Theo Waigel. Er ist es auch, der sie an diesem sonnigen Tag eingeladen hat. Und der Ex-Bundesfinanzminister versucht gleich zu Beginn seiner Rede, den Dauerstreit zwischen CSU und CDU zu relativieren: Der derzeitige Umgang der Schwesterparteien sei im Vergleich zum historischen Kreuther-Trennungsbeschluss der CSU von 1976 unter Franz Josef Strauß „geradezu liebevoll“, betont er.

Konkreter wird Waigel nicht, doch in der aktuellen Gemengelage hätte das vermutlich auch keinen großen Einfluss. Denn hier nimmt die sich anbahnende historische CSU-Pleite bei der Landtagswahl am 14. Oktober jeglichen Raum ein. In der CSU wird – wie nach der Bundestagswahl-Schlappe – die Flüchtlingskrise von 2015 als Erklärung genannt.

Und die Kanzlerin? Gibt sich pragmatisch wie immer und findet zugleich in ihrer durch und durch proeuropäischen Rede auch Worte, die in Bayern, in der CSU, gut ankommen: Nur eine Verwurzelung in der eigenen Heimat ermögliche Weltoffenheit. Zugleich ermuntert sie die Deutschen, ihre Religionsfreiheit mehr auszuleben: „Es ist nicht verboten, sich zum Christentum zu bekennen.“ Merkel weiß, dass die Beziehungen zwischen ihr und der CSU fragil sind – und Folgewirkungen des Bayernwahl-Ergebnisses auf Berlin hochgradig unberechenbar.

Beim Koalitionsgipfel soll es heute erstmal konkret um die Sache gehen. In den jetzigen Umständen sind Lösungen beim Diesel, die Merkel schon länger für diese Tage angekündigt hat, aber wieder zum Test für die Handlungsfähigkeit der Koalition geworden. Außerdem soll vor den Wahlen in Bayern und im schwarz-grün regierten Hessen ein Negativthema abgeräumt werden. Gerade Hessens CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier macht – wie die SPD in Merkels Kabinett – Druck für Umbauten an Motoren älterer Diesel. Denn kürzlich hat ein Gericht für Frankfurt am Main Fahrverbote ab 2019 angeordnet. Merkel, die lange gegen Hardware-Nachrüstungen eintrat, öffnete sich daraufhin dafür. Kommen sollen auch neue Kaufprämien, damit mehr alte Diesel durch neue sauberere Wagen ersetzt werden.

Eine Einigung erschwert dabei, dass sie nicht allein in der Hand der Politik liegt. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und eventuell auch Bundeskanzlerin Merkel müssen die Hersteller zum Mitmachen bewegen – vor allem mit zusätzlichem Geld. Eine Bewährungsprobe wird das Treffen auch für ein neues CDU-Gespann. Statt wie lange gewohnt mit Kauder geht die Kanzlerin mit dem neuen Fraktionschef Ralph Brinkhaus in die Runde, der als Maxime ausgegeben hat, zwischen ihn Merkel passe „kein Blatt Papier“.

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