Merkels Atomausstieg als grüner Mega-HitGrüne Beschlüsse zu Atomkraft und Ökostrom
Gründe für das Ja zum Ausstieg: Abschaltung der sieben ältesten AKW plus Krümmel; Rücknahme der Laufzeitverlängerung bis 2040; Stufenplan zum Ausstieg mit AKW-Enddaten; Bewertung eines parteiübergreifenden Konsenses als hohe politische Hürde für eine neue Kehrtwende in der Atom-Frage
Gründe für das Ja zum Ausstieg: Abschaltung der sieben ältesten AKW plus Krümmel; Rücknahme der Laufzeitverlängerung bis 2040; Stufenplan zum Ausstieg mit AKW-Enddaten; Bewertung eines parteiübergreifenden Konsenses als hohe politische Hürde für eine neue Kehrtwende in der Atom-Frage.Weitere Forderungen: Atomausstieg bis 2017; Verankerung des Ausstiegs im Grundgesetz; Verzicht auf "atomare Kaltreserve" (Bereithalten eines AKW für Engpässe in der Stromerzeugung); höhere Sicherheitsanforderungen an die AKW und Inkraftsetzen eines entsprechenden Kerntechnischen Regelwerks; keine Entschädigungs-Pflichten der Allgemeinheit gegenüber den Betreibern bei Nachrüstungen; schnelles Aus für Gundremmingen B und C; Stopp des Endlagers in Gorleben; offene Endlagersuche; Kontrolle des Ausstiegs durch einen Bundestagsbeauftragten; Schließung der Urananreicherungsanlage Gronau und der Brennelementeproduktion Lingen.
Energiewende: Nein zu den weiteren Gesetzen zur Energiewende; über 40 Prozent Ökostrom und Verbrauchssenkung um 20 Prozent bis 2020; Ablehnung neuer Kohlekraftwerke wegen des CO2-Ausstoßes; Unterbindung solcher Kraftwerke durch hohe Effizienzstandards; Übergang zu kompletter Ökostromversorgung mit Gaskraftwerken und Kraft-Wärme-Kopplung; jährlich fünf Milliarden Euro für Gebäudesanierung; forcierter Netzausbau mit mehr Bürgerbeteiligung.Berlin. Hans-Christian Ströbele (Foto: dpa) hat verloren. Doch der Altlinke und ewige Schreck grüner Obrigkeit ist trotzdem guter Dinge: "Wenn man bedenkt, dass die gesamte Prominenz für Merkels Atomnovelle getrommelt hat, dann sind 42 Prozent Gegenstimmen doch ein sehr gutes Ergebnis." Wie Ströbele auf diese Zahl kommt, bleibt sein Geheimnis. Die Mehrheit war am Ende erdrückend. Aber dem Bundestagsabgeordneten aus Berlin-Kreuzberg reichte es offenbar schon, der Parteitagsregie das Leben so schwer wie möglich zu machen. Zumindest damit sollte er Recht behalten.
Wie stehen wir zum schwarz-gelben Atomausstieg? Wäre ein "Ja" womöglich ein grünes Gütesiegel für Angela Merkels Sinneswandel? Würde es gar schwarz-grünen Bündnissen Tür und Tor öffnen? Oder ist ein "Nein" nicht doch viel glaubwürdiger, weil man ja viel eher abschalten will? Um diese Fragen kreiste in der Berliner Messehalle am Funkturm eine fast sechsstündige Debatte, die einem Wechselbad der Gefühle gleichkam. Mal brachten die Befürworter das grüne Parteivolk in Verzückung. Mal sorgten die Nein-Sager für stürmischen Applaus. Parteichefin Claudia Roth, die den Delegierten mit viel Herzblut ins Gewissen sprach, suchte das Treffen als Tag der Freude zu interpretieren: Nach "jahrzehntelangem Kampf" verabschiede sich Deutschland von der Atomkraft. Das sei doch ein Sieg "und eine desaströse Niederlage der Atomparteien". Da müsse man "zupacken". Ganz anders die Sprecherin der Grünen Jugend, Gesine Agena: "Warum einem vermeintlichen Konsens zustimmen, wenn mit uns weder darüber geredet noch verhandelt wurde?"
Tatsächlich braucht Schwarz-Gelb die Grünen nicht, um den Merkelschen Atomausstieg am kommenden Donnerstag im Bundestag zu beschließen. Trotzdem ist das grüne Votum von Bedeutung. Nicht nur, weil der Kampf gegen die Atomkraft zur Grundausstattung der Partei gehört. Gerade auf dem Feld der Energiewende haben sich die Grünen mittlerweile so viel Kompetenz erarbeitet, dass sie auch von immer mehr Wählern ernst genommen werden. Diese Errungenschaft, so klang es bei vielen Rednern an, dürfe nicht leichtfertig verspielt werden. "Wie glaubwürdig wären wir denn, wenn wir gegen unsere eigenen Anträge stimmen würden?", rief Fraktionschef Jürgen Trittin in den Saal. Nach der Katastrophe von Fukushima hatten sich die Grünen auf 2017 als technisch machbares Ausstiegsdatum verständigt. Nach der schwarz-gelben Atomnovelle soll der letzte Meiler zwar erst fünf Jahre später vom Netz gehen. Doch Trittin argumentierte mit dem gesunden Menschenverstand: Wenn nach der ursprünglichen Laufzeitverlängerung von Schwarz-Gelb erst im Jahr 2040 das letzte Kraftwerk vom Netz gegangen wäre statt wie jetzt 2022, "da muss jeder, der für 2017 ist, für 2022 stimmen". Nur darum gehe es. Der Saal tobte vor Begeisterung.
Richtig Zunder kam noch einmal in die Debatte, als Christian Ströbele die Glaubwürdigkeitsfrage genau anders herum beantwortete: "Die Dinger müssen vom Netz bis spätestens 2017. Da können wir uns nicht auf 2022 verständigen." An dieser Stelle drohte die Stimmung zugunsten der Nein-Sager zu kippen. Doch die nach Ströbele ans Rednerpult gegangene Co-Fraktionschefin Renate Künast rückte die Mehrheiten in einer flammenden Rede wieder zugunsten des Merkel-Ausstiegs zurecht.
Überhaupt hatten die Partei-Pragmatiker die besseren Argumente - und letztlich auch die besseren Redner. So war es ein geschickter Schachzug, auch dem Chef der von Merkel eingesetzten Ethikkommission, Klaus Töpfer, eine Bühne zu geben. Der CDU-Mann warb eindrucksvoll für einen parteiübergreifenden Konsens zum Atomausstieg und versetzte seinem eigenen politischen Lager einen Fußtritt, als er bekundete, "gern" auch auf einem Sonderparteitag "jeder anderen Partei" über die Atomfrage zu sprechen. Das kam bei den Delegierten genauso prächtig an, wie der Auftritt des neuen Parteistars, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Auch er intonierte die schwarz-gelbe Atomwende als grünen Mega-Hit.
Und wie wird Ströbele denn nun am Donnerstag im Bundestag abstimmen? "Nach dem Parteitag geht die Tendenz eher zur Enthaltung", sagt er. "Wir haben diese schwarz-gelbe Regierung zur Wahrheit gezwungen."
Grünen-Parteichefin
Claudia Roth
"Das ist schon ein historisches Datum."
Fraktionschef Jürgen Trittin
zum Atomausstieg bis 2022
"Die Dinger müssen vom Netz - und zwar bis spätestens 2017."
Bundestagsabgeordneter Hans-Christian Ströbele
"Größer kann
der Erfolg einer politischen Partei
überhaupt nicht sein."
Baden-Württembergs Ministerpräsident
Winfried Kretschmann