Merkel zwingt Friedrich zum Abgang

Die letzte Verteidigungslinie des Landwirtschaftsministers hält nur fünf Stunden. Am Freitagmittag erklärt Hans Peter Friedrich noch, dass er mit einem Rücktritt abwarten will, ob die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Geheimnisverrats ermittelt.

Um 17 Uhr tritt der CSU-Mann in seinem Ministerium dann vor die Kameras - und ab.

Friedrich wirkt sogar etwas gelöst, als er seine kaum eineinhalb Minuten dauernde Erklärung abgibt. Er sei immer noch überzeugt, im Fall Sebastian Edathy im Jahr 2013 als damaliger Innenminister keinen Fehler begangen zu haben, sagt er. Aber der Druck auf ihn sei so gewachsen, dass er sein heutiges Amt nicht mehr richtig ausüben könne. Angela Merkel dankt ihm kurz danach mit einem Auftritt im Kanzleramt und drückt "großes Bedauern" aus. Sie hat inzwischen schon Rücktrittsroutine.

Vorausgegangen sind dramatische Stunden. Für Friedrich. Aber auch für die Kanzlerin. Morgens, als er sein Büro gerade betreten hat, wird dem Minister schon ein Anruf Merkels angekündigt. Im Kanzleramt hat man zu diesem Zeitpunkt die Presselage studiert und ist sich darüber im Klaren, dass es kaum jemanden gibt, der nicht findet, dass Friedrich in der Sache Edathy einen Geheimnisverrat begangen hat und zurücktreten muss. Merkel will von ihrem Kabinettsmitglied wissen, was dran ist an den Vorwürfen. Sie ist, heißt es, nicht gerade gut gelaunt.

15 Minuten redet Friedrich mit der Kanzlerin, das Gespräch wird als "intensiv" beschrieben. Merkel, so berichten Vertraute, habe den Minister dann "bestärkt", eine Erklärung abzugeben mit dem Inhalt, dass er bei Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn sein Amt zur Verfügung stellen werde. Es ist kaum mehr als ein Hinrichtungsaufschub.

Aber die Dinge entwickeln sich dynamischer als gedacht. Eine halbe Stunde nach dieser Erklärung meldet sich die Staatsanwaltschaft in Hannover mit einer Pressekonferenz zu Wort. Er sei "fassungslos" über die Vorgänge in Berlin, sagt ein sichtlich empörter Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich. Gleichzeitig legt er seine bisherigen Erkenntnisse offen: Der frühere niedersächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy habe über das Internet von einem kanadischen Portal Videos und Fotosets von unbekleideten Jungen bestellt. Und das höchst konspirativ, über Extra-Konten, mithilfe von Computern des Bundestages.

Friedrich hatte im Oktober 2013 als Innenminister SPD-Chef Sigmar Gabriel am Rande der Koalitionsverhandlungen darüber informiert, dass der Name des damaligen Abgeordneten Edathy auf einer Liste im Rahmen internationaler Ermittlungen stehe. Er wollte, heißt es in Friedrichs Umfeld, die SPD warnen, den renommierten Innenpolitiker Edathy mit einem hohen Posten in der neuen Regierung zu dekorieren. Dass es um Kinderpornografie gegangen ist, will Friedrich dem Sozialdemokraten nicht gesagt haben. Nicht einmal, dass womöglich strafrechtliche Ermittlungen gegen Edathy folgen könnten.

Letzteres allerdings bestreitet Gabriels Sprecher am Freitagmittag in der Regierungspressekonferenz. Das ist der nächste schwere Hieb gegen Friedrichs Verteidigungsstrategie. "Herr Gabriel weist darauf hin, dass in dem Gespräch jedenfalls nicht ausgeschlossen werden konnte, dass es zu strafrechtlichen Ermittlungen kommt." Friedrichs Sprecher entgegnet sofort: "Wir widersprechen, dass dieser Satz gefallen ist." Aussage gegen Aussage.

Bei der Vorstandssitzung der CSU-Landesgruppe am frühen Morgen beschwert sich der Minister darüber, dass man ihn im Stich lasse. Doch auch danach meldet sich keiner aus der Unionsfraktion zu Wort. Er wird als ersetzbar angesehen. Schon vor Friedrichs Rücktritt wird spekuliert, wer Nachfolger sein könnten - die Namen der neuen Drogenbeauftragen Marianne Mortler, des Bildungsstaatssekretärs Stefan Müller und der Verkehrsstaatssekretärin Dorothee Bär (alle CSU) fallen. Er trete auch zurück, weil es an Unterstützung für ihn fehle, sagt Friedrich und verabschiedet sich trotzig. Es ist 17.01 Uhr. "Auf Wiedersehen, ich komme wieder."

Zum Thema:

HintergrundEx-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wird im Fall des SPD-Politikers Sebastian Edathy Geheimnisverrat vorgeworfen. Relevant dafür ist der Paragraf 353 b des Strafgesetzbuches zur "Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht". Darin heißt es, wer als Amtsträger Geheimnisse "unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet", werde mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft. Der andere Vorwurf, der im Raum steht, betrifft eine mögliche Strafvereitelung. Die Regelung dazu steht im Paragrafen 258 des Strafgesetzbuches: Eine Strafvereitelung begeht, wer absichtlich oder wissentlich "ganz oder zum Teil" die Bestrafung einer rechtswidrigen Tat verhindert. Das Gesetz sieht für so ein Vergehen bis zu fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe vor. dpa

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