Merkel muss alle Register ziehen

Berlin. Gezählt hat sie niemand, weil sie nicht zu sehen sind. Mal heißt es, es gebe nur fünf, mal vermutet man 23, mal 40 Abweichler gegen Angela Merkels Kurs bei der Euro-Rettung. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sprach bereits von Neuwahlen, falls die Kanzlermehrheit von 311 Abgeordneten nicht stehe. 330 hat die schwarz-gelbe Koalition theoretisch

Berlin. Gezählt hat sie niemand, weil sie nicht zu sehen sind. Mal heißt es, es gebe nur fünf, mal vermutet man 23, mal 40 Abweichler gegen Angela Merkels Kurs bei der Euro-Rettung. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sprach bereits von Neuwahlen, falls die Kanzlermehrheit von 311 Abgeordneten nicht stehe. 330 hat die schwarz-gelbe Koalition theoretisch. Doch die Führung versucht, Druck aus dem Kessel zu nehmen. Mit Appellen, mit Entgegenkommen an die Zweifler - und mit einer überraschenden Vertagung der Entscheidung.Ihren Gesetzentwurf will die Regierung wie vorgesehen am Mittwoch beschließen. Die erste Lesung soll dann im Bundestag in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause stattfinden, voraussichtlich am Donnerstag, 8. September. Denn am Tag vorher entscheidet das Bundesverfassungsgericht über eine Beschwerde des CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler gegen die bisherigen Euro-Rettungsaktionen, und das will man abwarten. Danach aber hat das Parlament nun bis zum 29. September Zeit zur Beratung. Das ist eine Woche mehr als ursprünglich geplant, als man noch am 22. September die mit Spannung erwartete Schlussabstimmung durchführen wollte. Gestern einigte man sich zwischen den Koalitionsfraktionen und den Sozialdemokraten auf diese Verschiebung, erfuhr unsere Zeitung. Das Ja der Grünen galt als sicher, hatten doch auch sie über die ursprüngliche Zeitknappheit geklagt. Ebenso wie Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU). Offiziell führt man in der Koalitionsspitze den Papstbesuch als Grund für den Meinungswandel an. Benedikt XVI. redet am 22. September nachmittags im Bundestag. Da wäre es vormittags "doch sehr eng geworden", heißt es jetzt. Die reguläre Bundesratssitzung am 23. September wird nach dem neuen Fahrplan allerdings nicht mehr erreicht. Die Länderkammer muss nun am 30. September zu einer Sondersitzung zusammen kommen.

Spricht schon aus diesem Entgegenkommen eine gewachsene Sensibilität der Führung im Umgang mit dem heiklen Thema, so gilt das erst recht für die Frage der künftigen Beteiligung des Bundestages an Rettungsaktionen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte durch einen Brief in der letzten Woche den Eindruck erweckt, er wolle das Parlament nur einmal grundsätzlich mit der Frage befassen, und danach nie wieder. Dagegen waren FDP, CSU und die komplette Opposition Sturm gelaufen. Im konkreten Gesetzentwurf der Regierung soll das Thema ganz ausgespart werden. Begründung: Der Bundestag solle seine Beteiligungsrechte "selbst regeln und durchsetzen". Völlig autonom also in den Gesetzentwurf einfügen. Allerdings wird aus der Regierung gleichzeitig gewarnt: Das Ganze müsse auch praktikabel sein. Es gehe nicht, dass für jede Überweisung an einen notleidenden Staat immer erst der ganze Bundestag zusammenkommen müsse. Eine Variante zeichnet sich inzwischen als Kompromiss ab: Dass der gesamte Bundestag immer die Entscheidung trifft, welchem Land in welchem Umfang unter die Arme gegriffen wird. Die Ausreichung der einzelnen Tranchen und andere Details sollen dann aber einem neu zu gründenden "Bewilligungsausschuss" überlassen werden, der aus den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, des Europaausschusses und den Fraktionsvorsitzenden besteht. Eine Art Super-Gremium.

Europa-Ausschuss-Vorsitzender Gunther Krichbaum (CDU) befürwortet dieses Modell. "Die Euro-Rettung darf kein Routinegeschäft werden", sagte Krichbaum unserer Zeitung und erinnerte daran, dass es einen Parlamentsvorbehalt auch bei Bundeswehreinsätzen gibt. "Das hat auch immer schnell funktioniert". Eine Vorentscheidung wird wohl am Donnerstag fallen, wenn die Fraktionsführungen von Union und FDP zu getrennten Klausursitzungen zusammenkommen.

Krichbaum versuchte gestern ebenso wie andere Koalitionäre auch, die Spannung aus den bevorstehenden Abstimmungen zu nehmen. Die Entscheidung über den dauerhaften Euro-Stabilitäts-Mechanismus (ESM) stehe erst Ende des Jahres an, sagte der CDU-Politiker. Und dann gehe es auch um die grundsätzlichen Themen wie Schuldenbremsen, Sanktionen gegen Eurosünder, Eurobonds oder eine europäische Wirtschaftsregierung.

Jetzt im September gelte die Entscheidung zwei Dingen, die es bereits im Prinzip gebe. Der vorübergehende, bis 2013 geltende Eurorettungsschirm (EFSF) solle finanziell erweitert werden, auf 750 Milliarden Euro, und für Griechenland werde das in der EU besprochene zweite Rettungspaket aufgelegt, an dem sich diesmal auch die Banken beteiligen. In der Debatte würden kurz- und langfristiger Rettungsschirm oft vermischt, beklagte der Europa-Experte.

CSU-Chef Horst Seehofer, dessen Partei am Wochenende ein Papier vorgelegt hatte, in dem die langfristigen Euro-Hilfen an harte Bedingungen geknüpft sind, sieht das offenbar ähnlich. "Ich glaube schon, dass die CSU das mittragen kann", sagte der bayerische Ministerpräsident, ausdrücklich mit Blick auf die im September anstehenden Entscheidungen. Aber zunächst auch nur auf die.

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