Merkel lässt Ex-Minister Jung allein im Regen stehen

Berlin. Was soll man von einem Untersuchungsausschuss noch erwarten, dessen Mitglieder gedanklich schon beim Abschlussbericht sind? Bei der mit Spannung erwarteten Vernehmung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihres einstigen Vizekanzlers Frank-Walter Steinmeier (SPD, Fotos: dpa) waren gestern nicht einmal alle Zuschauerplätze des Bundestagssaales besetzt

Berlin. Was soll man von einem Untersuchungsausschuss noch erwarten, dessen Mitglieder gedanklich schon beim Abschlussbericht sind? Bei der mit Spannung erwarteten Vernehmung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihres einstigen Vizekanzlers Frank-Walter Steinmeier (SPD, Fotos: dpa) waren gestern nicht einmal alle Zuschauerplätze des Bundestagssaales besetzt. Aus dem U-Ausschuss über das Kundus-Bombardement vom 4. September 2009 ist die Luft raus. Es gab wenig Neues, eine kleine Überraschung aber doch.

Was in jener Nacht passiert ist, ist nach über einem Jahr und 40 Zeugenvernehmungen klar. Der deutsche Oberst Georg Klein wies amerikanische Kampfpiloten an, ihre Bomben auf zwei von den Taliban entführte Tanklastfahrzeuge zu werfen, eine Entscheidung, bei der er unter Stress stand, vagen Informationen folgte und Einsatzregeln missachtete. Bis zu 142 Menschen starben, darunter viele Zivilisten. Klar ist auch, dass der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) anschließend fälschlicherweise tagelang darauf bestand, dass es bei der Aktion keine zivilen Opfer gab. Dafür musste Jung drei Monate später zurücktreten.

"Auf die Vorstellung der Person können wir verzichten", begann die Ausschussvorsitzende Susanne Kastner und ließ Steinmeier seine vorbereitete Stellungnahme vortragen. Die Nachrichtenlage sei schon zu Beginn sehr unübersichtlich gewesen, meinte der damalige Außenminister. Da habe er, auch aus seiner politischen Erfahrung heraus, zivile Opfer des Bombardements lieber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Anderes Wissen als Jung habe er nicht gehabt - "nur eine andere Bewertung". Allerdings erinnerte sich Steinmeier, dass ihn der Vorgang alarmierte. Auffällig war, dass der SPD-Mann offenbar intern nichts gegen Jungs beschönigende Darstellung unternahm. Der Grund dafür blieb trotz hartnäckiger Nachfragen des FDP-Abgeordneten Joachim Spatz unklar. Angela Merkel wirkte ebenso unaufgeregt, hatte sich noch detaillierter vorbereitet als Steinmeier. Zweierlei war an ihrem 40-minütigen Vortrag bemerkenswert. Erstens, wie stark sie betonte, dass sie von Anfang an richtig mit dem Kundus-Zwischenfall umgegangen sei. Sie zitierte ausführlich ihre eigene Regierungserklärung vom 8. September 2009, in der sie vier Tage nach dem Zwischenfall mögliche zivile Opfer bedauerte, volle Aufklärung zusagte und Vorverurteilungen ablehnte. So sei alles auch gekommen, sagte die Kanzlerin.

Zweitens fiel auf, wie kühl, fast brutal sie sich von ihrem einstigen Verteidigungsminister Franz Josef Jung distanzierte. Das kam einer nachträglichen politischen Hinrichtung des eigenen Parteifreundes gleich. Schon am 4. September 2009 nachmittags habe sie mit Jung telefoniert und ihn um umfassende Aufklärung gebeten. Schon da habe sie angesichts der Massivität der Bombardierung zivile Opfer nicht ausgeschlossen. Jung aber ließ an jenem Freitag erklären, dass es nur Taliban-Opfer gab; ein Anschlag auf die Bundeswehr sei verhindert worden. Am nächsten Tag, schilderte Merkel, telefonierte sie erneut mit dem Minister und bat ihn "eindringlich, die Möglichkeit ziviler Opfer nicht auszuschließen". Ergebnis: Am Tag darauf erschien ein Zeitungsinterview Jungs mit der erneuten Aussage, dass es keine Hinweise auf zivile Opfer gebe. Als Merkel Jung an jenem Sonntag bei einer Wahlkundgebung in Düsseldorf traf, nahm sie ihn zur Seite und forderte ihn jetzt im direkten Gespräch auf, seine Pressestatements zu korrigieren. Erst ab diesem Zeitpunkt lenkte Jung zögerlich ein, sprach erstmals von Bedauern, falls doch jemand unschuldig ums Leben gekommen sein sollte.

Einen derartigen Einblick in die internen Meinungsverschiedenheiten einer Regierung im Angesicht eines monströsen Fehlers hat es noch nicht gegeben. SPD-Obmann Rainer Arnold frohlockte: "Wir dachten schon, wir erfahren hier nichts Neues." Offen bleibe für ihn nur, sagte Arnold, warum die Kanzlerin Franz Josef Jung nach der Wahl trotzdem noch für zwei Monate zum Arbeitsminister machte. Diese Frage beantwortete die ansonsten sehr redselige Kanzlerin nicht.

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