Menschenrechtler empört über Obamas Amnestie für Folterer

Washington. Kurz nachdem das mutmaßliche Al-Qaida-Führungsmitglied Abu Zubaidah im Internierungslager Guantanamo Bay eingetroffen war, wollte ihn ein Team von CIA-Verhörbeamten befragen. Man rechnete nicht mit Kooperation, also bat der Geheimdienst das Justizministerium um Absegnung einiger besonders perfider Methoden

Washington. Kurz nachdem das mutmaßliche Al-Qaida-Führungsmitglied Abu Zubaidah im Internierungslager Guantanamo Bay eingetroffen war, wollte ihn ein Team von CIA-Verhörbeamten befragen. Man rechnete nicht mit Kooperation, also bat der Geheimdienst das Justizministerium um Absegnung einiger besonders perfider Methoden. Man wußte beispielsweise, dass Zubaidah Angst vor Wespen und Hornissen hatte. Deshalb sollte der zuvor bei einem Schusswechsel in Pakistan verletzte und noch an den Folgen leidende Häftling in eine enge Kiste gesperrt werden, wobei man ihm dann mit Hilfe von Raupen suggerieren würde, dass er dort auch eben jene so gefürchteten Insekten vorfinden werde. Am 1. August 2002 stimmte Jay Bybee, damals Staatsanwalt und heute ein Bundesrichter in den USA, dem Anliegen der CIA zu. Und autorisierte gleichzeitig in einer Hausmitteilung noch neun weitere Verhörmethoden für den Verletzten - von Schlägen ins Gesicht und den Unterleib über stundenlanges Stehen in anstrengenden Positionen bis hin zum gefürchteten "Waterboarding", einem vorgetäuschten Ertränken.

Doch auch wenn Menschenrechtsgruppen in den USA fest davon überzeugt sind, dass es sich bei diesen Methoden um Folter handelt - eine Strafverfolgung müssen die an dieser Befragung und an anderen Verhören beteiligten Agenten nicht fürchten. Denn seit US-Präsident Barack Obama (Foto: dpa) am Donnerstag feststellte, dass er trotz der "dunklen und schmerzhaften Episode unserer Geschichte" die unmittelbar Beteiligten nicht zur Rechenschaft ziehen will, solange diese nur Befehle der politischen Ebenen der Bush-Regierung ausgeführt hätten, können sich hunderte von CIA-Mitarbeitern sicher wähnen. Die meisten von ihnen hatten bereits Versicherungen abgeschlossen, um sich im Falle einer Strafverfolgung einen Anwalt leisten zu können, nun überraschte sie Obama mit einer weiteren guten Nachricht: Es werde sogar kostenlosen Rechtsbeistand geben, falls ein ausländischer Staat ein Verfahren einleite oder der US-Kongress weitere Untersuchungen anstelle.

Die Entscheidung von Barack Obama für eine derartige Amnestie kommt nicht überraschend, hatte doch der Präsident bereits kurz nach Amtsantritt festgestellt: "Ich bin mehr daran interessiert, nach vorne als zurück zu blicken." Nun sei "Zeit zum Nachdenken, nicht zur Vergeltung", formulierte Obama deshalb auch am Donnerstag und verwies darauf, dass die Methoden längst nicht mehr angewandt würden. Doch seitdem will der Proteststurm im Land nicht abebben. Denn die vier bisher geheimen Memoranden, mit denen die Bush-Regierung in den Jahren 2002 bis 2006 ihre insgesamt 14 Verhörmethoden präzisierte und juristisch absichern wollte, lassen Menschenrechtlern kalte Schauer über den Rücken laufen. Obama hatte die Dokumente als Reaktion auf eine Gerichtsklage der Bürgerrechts-Organisation ACLU (American Civil Liberties Union) freigegeben, und deren Inhalt belegt eine schockierende Brutalität. Beim "beengten Einsperren" wurde der Gefangene beispielsweise bis zu 18 Stunden lang auf engstem Raum im Dunkeln zum Stehen gezwungen. Ein Schlafentzug wurde bis zu einer Dauer von 180 Stunden - also über eine Woche lang - genehmigt. Als angemessen galten auch Schläge ins Gesicht, die zwar keinen bleibenden Schmerz verursachen sollten, dessen Ziel aber "Schreck und Beleidigung" seien. Das "Waterboarding", bei denen das Opfer Luftnot und Panik-Attacken erfährt, durfte bis zu 20 Minuten lang angewandt werden.

Die Menschenrechtsgruppe "Amnesty International" bezeichnete gestern die Obama- Entscheidung als "Freifahrtschein aus der Haft" für Menschen, die an Folter beteiligt gewesen seien. Die ACLU, die die Herausgabe der Memos erzwang, nannte die Amnestie "unhaltbar" und fordert einen staatlichen Sonderermittler. Die Debatte in den USA dürfte sich nun darauf konzentrieren, ob und wie man die Verfasser der "Folter-Memos" und die damals politisch Verantwortlichen - bis hin zum Präsidenten - zur Rechenschaft ziehen kann.

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