DDR-Staatschef „Meine liebe kleine Genossin“

Berlin · Vor 25 Jahren kam der gestürzte SED-Chef Erich Honecker in Haft. Dort schrieb er einer Verehrerin intime Briefe, die jetzt öffentlich wurden.

Der spröde Erich Honecker liest im Knast den Bestseller „Fegefeuer der Eitelkeiten“ von Tom Wolfe und hört die Musik des Barockkomponisten Antonio Vivaldi. Eine „liebe Genossin“ aus dem Westen hatte dem einstigen DDR-Staats- und SED-Parteichef die „geistige Nahrung“ ins Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit geschickt. „Liebe Eva“, schreibt Honecker an die Verehrerin, die seine Standfestigkeit bewundert. Jetzt ist ein Buch mit dem Briefwechsel erschienen, der eine neue Seite des einst obersten DDR-Politfunktionärs zeigt.

Vor 25 Jahren, am 29. Juli 1992, wurde Honecker nach langem diplomatischen Tauziehen von seiner letzten Fluchtstation Moskau nach Deutschland geflogen, wo er in Berlin sofort in U-Haft kam. Doch in dem als historisch eingestuften Prozess wegen der tödlichen Schüsse auf DDR-Flüchtlinge gegen sechs frühere SED-Funktionäre kam es nicht mehr zu einer Bewertung der Rolle Honeckers. Anfang 1993 wurde der Prozess gegen Honecker wegen dessen Krebserkrankung eingestellt. Er reiste zu seiner Frau Margot ins chilenische Exil, wo er am 29. Mai 1994 im Alter von 81 Jahren starb.

Die westdeutsche Lehrerin Eva Ruppert habe den einstigen Staatsmann erstmals zu dessen 80. Geburtstag im Gefängnis besucht, es habe sich eine intensive Korrespondenz entwickelt, sagt Verleger Frank Schumann. Ruppert habe ein Solidaritätskomitee für Honecker mitgegründet. Die Briefe habe die heute 84-Jährige dem Verlag Edition Ost erst vor kurzem übergeben. Ihre erste Begegnung beschreibt Ruppert in dem Buch mit dem Titel „Liebe Eva“ als Dialog mit wechselseitiger Sympathie: Honecker sei wesentlich kleiner gewesen, als er im Fernsehen wirkte, habe aber selbst im Jogginganzug Haltung bewahrt. „Er hat mich stets beeindruckt.“ Die DDR sei die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung gewesen, sie habe nur positive Eindrücke gehabt, schreibt sie. „Für mich war Honecker die DDR.“

Der Ton wird immer vertrauter. „Lass Dich umarmen, Erich“, unterzeichnet Honecker den Brief vom 5. September 1992 oder schreibt wenige Tage später „meine liebe kleine Genossin“. Verleger Schumann meint, wären sie Teenager gewesen, hätten sie sich verknallt. Nirgendwo anders habe er seine Gefühle so offenbart wie in den Briefen.

Es gibt auch andere Dokumente aus dem letzten Lebensabschnitt des einstigen DDR-Spitzenmannes. 2012 kamen „Letzte Aufzeichnungen“ heraus, die Honecker ebenfalls in der Untersuchungshaft schrieb. In dem Gefängnis-Tagebuch notierte er: „Eine Diktatur, wie man sie der DDR unterstellt, hat so nicht existiert.“ Die Perestroika sei ein Unglück, Michail Gorbatschow ein Verräter. Und: „Die BRD ist kein Rechtsstaat, sondern ein Staat der Rechten.“ Der Prozess gegen ihn sei Rache und Fortsetzung des Kalten Krieges. Die DDR habe keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Und die Maueropfer? „Dass an der Grenze geschossen wurde, war nichts Besonderes. An fast allen Grenzen wird geschossen, wenn diese verletzt werden“, so Honecker.

In dem Brief an Ruppert offenbart Honecker am 5. Oktober 1992 mehr Persönliches: „So ist es, liebe Eva, alles kann man mit eisernem Willen doch nicht bezwingen – den Krebs, der in mein Leben eingreift, schon gar nicht. Wenn ich ein Christ wäre, würde ich sagen: alles andere liegt bei Gott.“

Honecker sammelt die Antworten in einem Hefter und bekennt: „Deine Briefe bereichern meine Gedanken und Gefühle.“ Oder ein anderes Mal: „Liebe compañera, ich habe jede Zeile Deines Briefes in mich aufgenommen.“ Er beklagt auch, dass er durch seine Krankheit und Schwäche im Prozess die DDR nicht verteidigen könne. Er habe dem Sozialismus gedient – „dem schönsten Abschnitt in der deutschen Nachkriegsgeschichte“, schreibt er an die Lehrerin an einem Gymnasium in Bad Homburg. Am 8. November 1992 lässt Honecker seine Brieffreundin wissen: Er habe dafür gekämpft, dass es den anderen besser geht. „Das, so denke ich, ist doch unsere bleibende Idee.“ Und er habe den Wunsch gehabt, in einer der neuen Plattenbausiedlungen in Marzahn, Hellersdorf oder Hohenschönhausen zu leben. 

Nach dem Tod Erich Honeckers korrespondiert Witwe Margot weiter mit der Genossin im fernen Deutschland. Am 13. Dezember 2015 notiert die einstige DDR-Ministerin für Volksbildung in Santiago de Chile: „Dieses verfaulende imperialistische System kommt ohne Kriege nicht aus... Und Deutschland ist natürlich wieder ganz vorn mit dabei... Wann endlich wird der deutsche Michel begreifen, was mit ihm gespielt wird? Aufklärung tut not.“ Es ist ihr letzter Brief an Eva Ruppert, im Mai 2016 stirbt die 89-Jährige.

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