Mehr Touristen, doch die Skrupel wachsen

Lampedusa. Es sei nun eine andere Insel, sagt Mario Liberatore am Telefon, man müsse jetzt unbedingt einmal kommen. 26 Grad sei es gestern noch gewesen, die ganze Saison sei prima gewesen, viel mehr Touristen als sonst. Ein gutes Jahr für Mario Liberatore vom Gran Hotel del Sole auf Lampedusa: Denn das Problem, das dem Tourismus im Weg stand, gibt es nicht mehr

Lampedusa. Es sei nun eine andere Insel, sagt Mario Liberatore am Telefon, man müsse jetzt unbedingt einmal kommen. 26 Grad sei es gestern noch gewesen, die ganze Saison sei prima gewesen, viel mehr Touristen als sonst. Ein gutes Jahr für Mario Liberatore vom Gran Hotel del Sole auf Lampedusa: Denn das Problem, das dem Tourismus im Weg stand, gibt es nicht mehr. Vor einem Jahr las man das, was er als geschäftsschädigend empfand, täglich in den Zeitungen: Dass wieder einmal 20, 100 oder 500 Flüchtlinge aus Afrika auf der kleinen Insel - die näher an Tunesien, als an Italien liegt - angelandet seien. Dazu: Tote, Verletzte, Aufstände in überfüllten Lagern, auf Fotos und im Fernsehen. Jetzt sind diese Meldungen Geschichte: Letztes Jahr kamen laut italienischem Innenministerium bis Ende November 16 000 Bootsflüchtlinge, dieses Jahr waren es 92 Prozent weniger - rund 1300. "Dass kaum jemand mehr nach Lampedusa kommt, bedeutet nicht, dass es keiner mehr versucht", sagt Loris de Filippi von "Ärzte ohne Grenzen" in Rom, "sondern es bedeutet, dass die Menschen, die aus Verfolgung und Not fliehen wollen, abgefangen und in ihr Elend zurückgeschickt werden." Doch weil keiner mehr nach Lampedusa kommt, hat die Organisation ihre Räume in Lampedusa aufgegeben. Und auch die Organisation "Aufnahme Lampedusa" hat rund 50 Mitarbeiter auf der Insel entlassen, die früher mit Flüchtlingen arbeiteten: Das italienische Innenministerium hat die Verträge nicht verlängert - es gibt keinen Bedarf mehr. Der Grund für den drastischen Wandel von Lampedusa liegt in den italienisch-libyischen Vereinbarungen von diesem Frühjahr: Libyen verpflichtete sich darin, Boote mit Flüchtlingen selbst abzufangen, aber auch solche Flüchtlinge wieder aufzunehmen, die ihnen von der italienischen Küstenwache überstellt wurden. Dies geschah im Mai: Mehrere hundert Flüchtlinge wurden nach Libyen zurückeskortiert, ohne dass die italienischen Behörden deren Anspruch auf Schutz überprüft hätten. Doch Italien hatte sich des Problems entledigt, Innenminister Roberto Maroni sprach von einem "historischen Wendepunkt". Die Rechte lobt sich selbst als Problemlöser, Mitte-Links schweigt sich aus, weil man selbst keine menschlichere Lösung fand, als man an der Regierung war, und deshalb gar nichts geschah. Selbst wenn doch noch ein Boot tief in die italienischen Gewässer eindringt, wird Lampedusa in Ruhe gelassen, es wird nach Sizilien umgeleitet. Das alte Aufnahmelager für die Flüchtlinge soll im Frühjahr schließen - und dann möglicherweise ein Museum werden. Laut der Turiner Zeitung "La Stampa" plant eine private Initiative, das bisherige Lager in ein Museum umzubauen, zu einem italienischen "Ellis Island" - auf dieser Insel vor New York wurden früher Einwanderer nach Amerika untersucht, zugelassen, abgelehnt. Doch ein neues Lager ist ebenfalls im Bau, wer doch Lampedusa erreicht, soll von hier aus abgeschoben werden können. Die Menschen auf Lampedusa wissen, dass ihr neues, ruhiges Leben zu Lasten von anderen geht. "Im Sinne der Menschenrechte ist das sicher diskussionswürdig", meint Filippo Marino, 26 Jahre, Präsident des Verbandes "Junge Alternative", die sich früher für die Einwanderer stark machte, "doch wir haben hier nichts als den Tourismus, und dafür ist das gut." Und auch Mario Libertore vom Gran Hotel del Sole meint: "Für uns ist das sehr gut, aber für die Flüchtlinge tut es mir leid." Und meint am Ende, man solle doch unbedingt einmal die Insel besuchen, das neue Lampedusa.

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