Mehr Sicherheit oder Schnüffelei?

Brüssel. Der Name klingt unaufgeregt technisch: "Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht"

Brüssel. Der Name klingt unaufgeregt technisch: "Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht". Doch was die EU-Kommission da derzeit vorbereitet, schockt Datenschützer in ganz Europa: Alles, was die Polizei über Straftäter und Terroristen weiß (Schengen-Informationssystem SIS), soll mit dem künftigen Visa-Informationssystem, das Angaben über einreisende Nicht-EU-Bürger erfassen wird, und der Fingerabdruckdatei für Asylsuchende (Eurodac) zusammengefasst werden. 113 Millionen Euro kostet der gewaltige Informationsspeicher, für dessen Betrieb eine EU-Agentur "mit eigener Rechtspersönlichkeit" gegründet werden soll. Man wolle Synergien nutzen, heißt es in Brüssel. Skeptiker spekulieren, dass die Innenminister der 27 EU-Staaten, die mehrheitlich hinter dem neuen System stehen, etwas ganz anderes im Sinn haben: "Man will Profile von Menschen erstellen können", sagt der FDP-Europa-Abgeordnete Alexander Alvaro.

Tatsächlich handelt es sich um einen Tabubruch. Bis heute laufen die drei Datenbanken strikt voneinander getrennt. Im Schengen-Informationssystem sind derzeit rund elf Millionen Einträge über Strafsachen inklusive Tätern und Delikten erfasst. Das Visa-Informationssystem wird errichtet, um die biometrischen Angaben von allen Urlaubern und Geschäftsleuten zu speichern, die aus einem Nicht-EU-Land in die Gemeinschaft einreisen. In der Fingerabdruckdatei Eurodac werden seit 2003 Informationen von allen Asylbewerbern für mindestens 14 Jahre gespeichert. Damit soll vermieden werden, dass Menschen in verschiedenen Ländern des Schengen-Raumes Asyl beantragen können. In der Praxis von morgen kann jeder Polizeibeamte von jedem Ort der EU aus Fingerabdrücke eines Tatortes mit der EU-Datei abgleichen, die "an sieben Tagen 24 Stunden lang betriebsbereit" sein wird. Der Europäische Rat für Flüchtlinge und Exilanten kritisierte den Vorstoß bereits als "Stigmatisierung" der Asylbewerber, die mit Kriminellen und Terroristen in "einen Topf" geworfen würden. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Angaben in das Herkunftsland von Flüchtlingen gelangen könnten und die Betroffenen dort gefährden.

Nicht nur im Europäischen Parlament wächst inzwischen der Widerstand gegen solche "gigantischen Datenmengen" (Alvaro). Erst vor wenigen Monaten warnte der finnische Jurist Martin Scheinin, der im Auftrag der Vereinten Nationen die Einhaltung der Menschenrechte im Kampf gegen den Terror überwachen soll, vor dem so genannten Data Mining, also dem langsam Verschwinden der Grenze zwischen gezielter Beobachtung von Verdächtigen und einer Massenüberwachung. Eine große Gefahr, so heißt es in einem Bericht für den UN-Weltsicherheitsrat, gehe auch von der "schlechten Qualität der Daten" aus. Foto: dpa

Meinung

Höheres Risiko durch Missbrauch

Von SZ-Korrespondent

Detlef Drewes

Wer jede auch nur theoretisch denkbare Sicherheitslücke durch immer neue und größere Datenbanken schließen will, muss wissen, dass er ebenso absehbar neue Risiken durch den Missbrauch schafft. Der Zugewinn durch eine Vereinigung aller europäischen Datenspeicher wird mit einem gleichzeitigen Verlust an Sicherheit vor Missbrauch persönlicher Daten erkauft.

Dass man sich Straftäter und Verbrechen merkt, kann keine Frage sein. Dass sich die EU- Länder gegen Asyl-Hopping wehren, geht auch in Ordnung. Aber schon die Erfassung aller einreisenden Urlauber und Geschäftsleute, die man künftig mit der Straftäterdatei abgleicht, kommt einem Generalverdacht gleich, gegen den wir uns bei anderen Staaten wehren. Die EU sollte nicht kopieren, was ihre eigenen Bürger im umgekehrten Fall verurteilen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Sichere EnergieGleich zwei Großprojekte für eine sicherere Energieversorgung Europas sind gestern auf den Weg gebracht worden: der Bau der Nabucco-Pipeline für eine bessere Gasversorgung und die visionären Pläne für Solarkraftwerke in den Wüsten Nordafrik
Sichere EnergieGleich zwei Großprojekte für eine sicherere Energieversorgung Europas sind gestern auf den Weg gebracht worden: der Bau der Nabucco-Pipeline für eine bessere Gasversorgung und die visionären Pläne für Solarkraftwerke in den Wüsten Nordafrik