Mehr Milch, aber weniger Geld für die LandwirteEine erfolgreiche Premiere: Ilse Aigner beeindruckt die EU"Das grenzt an Scheinheiligkeit"

Brüssel. Eine schlaflose Nacht für Agrarministerin Ilse Aigner, aber viele schlaflose Nächte für die betroffenen Bauern: Die rund 100000 deutschen Milchviehhalter sowie 1738 ostdeutsche Hof-Besitzer bezahlen mit Millionen-Einbußen für den Brüsseler Kompromiss

Brüssel. Eine schlaflose Nacht für Agrarministerin Ilse Aigner, aber viele schlaflose Nächte für die betroffenen Bauern: Die rund 100000 deutschen Milchviehhalter sowie 1738 ostdeutsche Hof-Besitzer bezahlen mit Millionen-Einbußen für den Brüsseler Kompromiss. "Wir haben nicht alles erreicht", gestand Berlins neue Bauern-Frau Aigner am frühen Donnerstagmorgen nach 17-stündigem Ringen. Vor allem die CSU-Politikerin hatte es den EU-Vertretern schwer gemacht.

Am Ende gab es einen Kompromiss, aber keinen Erfolg: Bis zum Jahr 2013 dürfen Europas Milchbauern pro Jahr ein Prozent mehr produzieren (allerdings wird 2010 und 2012 der Markt erst noch einmal überprüft), was die Preise gehörig unter Druck bringt. "Absolut marktwidrig", konterte der Deutsche Bauernverband. Dabei hat Aigner immerhin durchgesetzt, dass zwei Jahre lang die Quote nicht angehoben wird, ehe sie 2015 endgültig fallen soll. Außerdem bekommen die Betroffenen Ausgleichszahlungen aus einem neuen Milchfonds, den Deutschland mit 350 Millionen Euro füllen darf.

Dieses Geld aber werden sich andere Landwirte vom Mund absparen müssen, vor allem die im Osten. Denn Berlin erhält aus Brüssel nicht mehr als die bisherigen 5,4 Milliarden Euro aus dem 53-Miliarden-Euro-Agrarfonds. Die Rückführung der Direktbeihilfen wird sogar noch um zehn Prozent ab einem jährlichen Zuschuss von 5000 Euro gekürzt. Wer über 300000 Euro an Subventionen bekommt, muss auf weitere vier Prozent (also insgesamt 14 Prozent) verzichten. Das macht unterm Strich 240 Millionen Euro weniger für die deutschen Höfe. Hätte die Kommission sich durchgesetzt, wären es 425 Millionen gewesen. Doch die Einschnitte tun weh. Vor allem im Osten der Republik, wo viele Agrar-Großbetriebe aus den früheren LPGs hervorgegangen sind. Ihnen wird Berlin mutmaßlich sogar noch mehr Geld vorenthalten, denn der 350-Millionen-Euro schwere Milchfonds soll aus eingesparten Direktzahlungen gefüllt werden. Dass parallel dazu der Topf für die ländliche Entwicklung aufgestockt wird, kommt bei den Bauern nicht an. Schließlich sollen diese Mittel nur die Mehrausgaben für Umwelt- und Klimaschutz sowie die Risikovorsorge auffangen.

"Unterm Strich ein Erfolg", wertete Ministerin Aigner das Ergebnis. Die Bauernvertreter sehen das anders. "Wir sind geschockt", kommentierte Thomas Dosch vom Bioland-Verband den Ausgang des nächtlichen Ringens, weil so wenig von den ökologischen Ansätzen übriggeblieben ist. Von Seiten der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) hieß es, der Bauernverband habe Vereinbarungen zur Milchquote hintergangen.

Kurioserweise dürfte die in der Nacht zum Donnerstag vereinbarte Quotenanhebung unterm Strich aber zu einer Entlastung des Etats führen. In den vergangenen Jahren hatten nämlich fast alle Mitgliedsstaaten mehr Milch geliefert, als ihre Quote erlaubte. Erst im Vorjahr mussten die Landwirte deshalb eine Millionen-Strafe zahlen. Diese entfällt nun wegen der höheren Quote - zumindest dann, wenn die Produktion nicht noch weiter ausgedehnt wird. Das gilt übrigens auch für die europäischen Nachbarn. Italien bekam eine um fünf Prozent höhere Milchmenge zugestanden. Die wird aber ohnehin längst ausgeschöpft, so dass nun lediglich die bisherige Strafe entfällt. Dieser so genannte "Gesundheitscheck" für den Agrarmarkt war genau genommen nur eine Überprüfung der großen Reform von 2003. Wirklich hart wird es 2012 oder 2013: Dann soll nämlich die Zukunft der Landwirtschaft Europas grundlegend auf den Prüfstand. Brüssel. "Sie hat wirklich hart verhandelt." EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel ist an diesem Donnerstagmorgen sichtlich beeindruckt. Ilse Aigner (43, CSU, Foto: afp), Berlins neue Landwirtschaftsministerin, hat in Brüssel alle überrascht. "Wir können uns mit dem Ergebnis sehen lassen", sagt sie selbst, die nach 17-stündigen Verhandlungen keineswegs angeschlagen wirkt. Gleich zwei Mal musste sie in dieser Nacht bei Fischer Boel und Michel Barnier, dem französischen Agrarminister und Vertreter der Ratspräsidentschaft, antreten: Sie ließ nicht locker. Dass am Morgen danach sogar der Deutsche Bauernverband, der die Beschlüsse strikt verurteilt, "anerkennt, dass es Ministerin Aigner gegen erheblichen Widerstand gelungen ist", den Milchfonds abzusichern, sagt viel. Lob aus dem Munde des Gegners ist selten genug.

"Die kann zuhören und kennt sich aus", sagt ein deutscher EU-Diplomat über ihre Verhandlungsführung. Den ersten Pflock habe sie eingerammt, als sie - schon zum Auftakt des Verhandlungsmarathons - einen französischen Kompromiss rundweg ablehnte. Sachkenntnis attestieren ihr die Mitarbeiter. Tatsächlich ist es ihr gelungen, die geplanten Streichungen der Direktzahlungen auf fast die Hälfte zu drücken. "Für mich ist das unterm Strich schon ein Erfolg", meint sie. dr

Wie beurteilen Sie das Ergebnis des Agrargipfels?

Lauer: Wir sind ganz und gar nicht zufrieden. Wieder einmal wird den Bauern in die Tasche gegriffen.

Wie stark belastet der Beschluss die saarländischen Landwirte?

Lauer: Mehr als 1000 saarländische Bauern sind von den Kürzungen der direkten Hilfen betroffen. Das macht einen Betrag von 700000 Euro pro Jahr aus. Das schmerzt erheblich.

Die deutschen Bauern hatten sich immer gegen eine Anhebung der Milchquote ausgesprochen. Jetzt kommt sie doch, jedes Jahr steigt sie bis 2013 um ein Prozent. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?

Lauer: Sie ist für mich nicht nachvollziehbar. Das Mengenangebot an Milch wird erhöht, obwohl bereits heute zu viel Milch auf dem deutschen Markt ist. Der Preis wird noch weiter sinken. Die Einkommen der Milchbauern werden noch geringer, und die Existenz so mancher Betriebe ist gefährdet.

Die EU-Kommission sieht in der Anhebung der Milchquote eine Vorbereitung auf das Auslaufen dieser Mengenbegrenzung im Jahr 2015.

Lauer: Wenn die Kommission fair wäre, würde sie besser die Quote früher abschaffen. Dann würde ein Teil der Bauern schlagartig aus der Milchproduktion aussteigen, und andere würden mehr Milch liefern. Der Markt würde sich dann selbst regulieren. Jetzt wird die Menge künstlich hochgezogen. Das Verhalten der Kommission grenzt an Scheinheiligkeit.

Gibt es überhaupt etwas Positives an den jetzigen Beschlüssen?

Lauer: Positiv ist die Einführung des Milchfonds zu bewerten, mit dem die Bauern unterstützt werden können. Das war eine wichtige Forderung unseres Berufsstandes.

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