Mehr als Humba Täterä: Mit einem Funkenmariechen durch die saarländische Fastnachts-Session
Wiebelskirchen · Schon als Baby schnuppert Louisa Klär aus Wiebelskirchen Fastnachtsluft. Mit zwei Jahren steht sie bereits selbst auf der Bühne. Für die Zwölfjährige ist Gardetanz ein Leistungssport, der viel Training und Disziplin fordert.
Louisa Klär sitzt im tadellosen Spagat auf der Bühne im Kulturhaus Wiebelskirchen . Nur der schwere blaue Vorhang schirmt die Zwölfjährige vom Gewimmel vor der Bühne ab, wo bunt kostümierte Faasebooze schon zu Schlagern wie "Anneliese" schunkeln. Neben ihr versucht die kleine Leonie Schmidt immer wieder in den Handstand zu springen. Louisa biegt ihren Oberkörper nach hinten, um Leonies Beine aufzufangen - eine Figur aus dem Programm der vier Funkenmariechen, die gleich die erste Kappensitzung der Session des Karneval- und Unterhaltungsvereins (KUV) "Blau Gelb" Wiebelskirchen eröffnen werden. Doch noch fehlen ein paar Zentimeter zwischen Leonies Beinen und Louisas Armen. "Das kriegen wir hin", muntert Louisa die Kleine auf - und soll recht behalten. Sie selbst? Von Aufregung kurz vor der Show keine Spur!
Sieht man das zierliche brünette Mädchen mit dem strahlenden Lächeln und den großen braunen Augen zum ersten Mal, ahnt man nicht, welch abgeklärtes Energiebündel in dem kleinen Körper steckt. Die Erfahrung lässt sie da ganz cool sein, wo andere feuchte Hände bekommen - vor einem Auftritt vor gut 150 Menschen. Für Louisa ist Fastnacht weit mehr als Humba Täterä, es ist ein Leistungssport geworden. Louisa tanzt schon seit zehn Jahren Garde, mit zwei bereits in der Schnullergarde. Dabei war ihr närrischer Werdegang sogar noch früher vorgezeichnet. Gerade mal vier Wochen alt, begleitete sie ihre Eltern - beide ehemals Gardetänzer - zum Turnier. Man will fast sagen, sie konnte nicht anders, als in deren Fußstapfen zu treten. "Ihren heute 17 Jahre alten Bruder hatten wir früher auch immer dabei", versucht Louisas Mutter Heike Klär zu relativieren: "Und der ist ein Fastnachtsmuffel."
Louisa aber tritt wie ihre Eltern bei Wettkämpfen an, solo als Funkenmariechen und in der Gruppe. 2013 schaffte sie mit der Juniorengarde des KUV Wiebelskirchen Platz drei bei den Saarlandmeisterschaften. Fünfeinhalb Stunden pro Woche trainiert sie. "Da bleibt nicht viel Zeit für andere Hobbys", gibt die Sechstklässlerin des Steinwald-Gymnasiums Neunkirchen zu. "Manchmal wird es mir schon ein bisschen zu viel", sagt sie. "Aber dann macht es mir auch wieder viel Spaß." Das beweist sie bei der Kappensitzung des KUV, ihrem persönlichen Höhepunkt der Session. Dabei startete die Fastnachtszeit bereits viel früher.
Es ist der Abend des 11. November. Die Pauluskirche in Neunkirchen ist hell erleuchtet. Doch weder ist das Gotteshaus von Orgelmusik erfüllt, noch sitzt jemand auf den Bänken und betet. Ein Marsch des US-Dirigenten John Philip Sousa schallt stattdessen aus einem CD-Rekorder; die Sitzbänke sind über und über mit Perücken und Kleidern bedeckt, der Gang ist zur Schminkzone und Umkleidekabine umfunktioniert. Acht Neunkircher Fastnachtsvereine treffen sich gleich zum Auftakt der Session im angrenzenden Paulussaal. Auch die Juniorengarde wird tanzen. Noch sitzen die elf bis 14 Jahre alten Mädchen schwatzend auf dem Boden und dehnen sich, andere ziehen sich um oder hängen über ihren Smartphones. Louisa wird derweil von Carina Hottenbacher geschminkt, neben Nadine Backes und Giulia Governali Trainerin der Juniorengarde. Lidschatten und Rouge sind bereits aufgelegt, nur der Lippenstift fehlt noch. "Fertig", verkündet Hottenbacher dann und Louisa schwirrt davon. "Hast du deine Hosenträger an?", fragt die Mutter. Louisa zieht ihr Oberteil hoch und grinst schief. Hat sie nicht. "Wie lange tanzt du?", fragt Heike Klär, halb mahnend, halb belustigt.
Dass Louisa an diesem 11. November tanzen kann, ist nicht selbstverständlich. Denn im Sommer vergangenen Jahres fiel sie bei einem Mariechen-Lehrgang auf die Schulter und verletzte sich schwer. "Im Krankenhaus fanden sie erst nichts", erinnert sie sich. Tags darauf war ihre Schulter ganz dick, die Schmerzen noch schlimmer. Ihre Mutter brachte sie erneut ins Krankenhaus. Diagnose: Die Wachstumsfuge in der Schulter war gebrochen. "Die Narkoseärztin sagte, dass sie mich gleich operieren müssen, ansonsten würde ich nie wieder den Arm richtig heben können." Keine 30 Minuten später lag Louisa im OP: "Ich hab einfach nur noch gezittert." Einen Tag musste sie in der Klinik bleiben, sechs Wochen eine Schlinge tragen, zwölf Wochen beim Training aussetzen. "Ich habe aber trotzdem immer zugeschaut, damit ich nicht den Anschluss verliere." Im Sommerurlaub in Italien übte sie am Strand erstmals wieder Radschlagen - und holte mit starkem Willen, Disziplin und Kampfgeist den Trainingsrückstand auf.
All das will sie an diesem Mittwoch im November auch auf der Bühne zeigen. Die Juniorgarde des KUV marschiert ganz traditionell zum Narrhalla-Marsch ein. Die Mädels erobern tanzend die Bühne, zeigen komplizierte Schrittfolgen, springen zum Finale in den Spagat, der Saal jubelt und johlt. Dann ist es schon vorbei. Zurück im Flur streckt Louisa erschöpft die Zunge raus. Lief es etwa nicht so wie gewollt? "Geht so", sagt sie.
Spätestens bei der Generalprobe vor der ersten Kappensitzung im Wiebelskircher Kulturhaus Mitte Januar wird klar, was Louisa damit meinte. Dank des harten Trainings tanzen die Mädchen synchroner und selbstsicherer als noch in der Pauluskirche. "Und vergesst am Samstag das Lächeln nicht, das kostet nix und sieht viel schöner aus!", ruft Oliver Zangerle, der zusammen mit Kurt Rein Elferratspräsident ist und bei der finalen Probe zuschaut.
Zwei Tage später ist Louisa eine derjenigen, die den Rat beherzigt. Und das bei vier Auftritten, die sie bei der Kappensitzung mit dem Motto "Faase-nacht macht Kinder froh und Erwachsene ebenso" hinter sich bringen wird: im Quartett, beim Soloauftritt, mit der Juniorengarde und der Schautanzgruppe. Im Keller des Kulturhauses summt es wie in einem Bienennest. 120 Faasebotze machen sich bereit für ihren Einsatz. Da wird sich umgezogen, geschminkt, werden auf dem Boden sitzend Zöpfe geflochten, wird Haarspray gesucht, noch eine Kleinigkeit gegessen.
Dann ist es soweit. 20.11 Uhr - die Kappensitzung beginnt. Nach dem Quartett und einer Büttenrede hat Louisa ihren Soloauftritt, vor den Augen ihrer stolzen Eltern und von 150 Gästen. Scheinbar mühelos schlägt sie die Beine bis zu den Ohren, macht einen Handstütz-Überschlag rückwärts. Wendig und mit ausgestreckten Füßen wirbelt sie über die Bühne und entlockt den Zuschauern ein Raunen, als sie aus dem Radschlag direkt in den Spagat rutscht. "Ein tänzerischer Genuss", kommentiert Vereinspräsident Zangerle später - recht hat er.
Zurück in der Kabine zieht Louisa ihren Hut ab. In Gedanken ist sie schon weiter. Nein, nicht beim nächsten Auftritt mit der Garde in 30 Minuten. Sie denkt bereits ans Jahr 2016. "Da werde ich für mein elfjähriges Jubiläum beim KUV mit einem Pokal ausgezeichnet", erzählt sie stolz. Elf - die für Narren bedeutendste Zahl. Darauf "drei Mo Wiwwelskerjer alleh hopp, alleh hopp, alleh hopp!"