Machtmensch, Glückspilz, Einheitskanzler

Einmalig. Dieser Mann, das wusste schon sein heimlicher Bewunderer Joschka Fischer, ist ein Gesamtkunstwerk. Er war groß und mächtig, ehrgeizig und machtbewusst, warmherzig und eiskalt. Kaum ein Adjektiv, das nicht auf Helmut Kohl zuträfe. Der Mann aus der Pfalz, Ex-Ministerpräsident, Ex-CDU-Chef und Ex-Kanzler, wird an diesem Samstag 80 Jahre alt

Einmalig. Dieser Mann, das wusste schon sein heimlicher Bewunderer Joschka Fischer, ist ein Gesamtkunstwerk. Er war groß und mächtig, ehrgeizig und machtbewusst, warmherzig und eiskalt. Kaum ein Adjektiv, das nicht auf Helmut Kohl zuträfe. Der Mann aus der Pfalz, Ex-Ministerpräsident, Ex-CDU-Chef und Ex-Kanzler, wird an diesem Samstag 80 Jahre alt. Zahlreiche Bücher sind über ihn geschrieben worden und ungezählte Zeitungsartikel. Er hat tausende Interviews gegeben und war jahrzehntelang Dauergast in Fernseh- und Radiostationen. Helmut Kohl war und ist eine der öffentlichsten Persönlichkeiten, welche die Bundesrepublik je gesehen hat. Und dennoch, fraglos ein Phänomen, kennen ihn viele Bürger vor allem als den freundlichen "Einheitskanzler", der nichts anderes im Sinn hatte als das Wohl des geliebten Vaterlandes. Schön wär's. Kohl war nicht bloß Staatsdiener und Patriot. Er war zeitlebens auch Solist und Egoist, einer, der stets auch sein eigenes Geschichtsbild im Blick hatte und selbst enge Freunde (Heiner Geißler, Norbert Blüm, Lothar Späth, Wolfgang Schäuble) gnadenlos fallen lassen konnte. Ein Mechaniker der Macht, der seit frühester Jugend an seiner Karriere feilte. Als er das "System" durchschaut hatte, war sein Weg durch die Instanzen vorgezeichnet. Und das gehört auch zur Ironie der Geschichte: Nicht die linken Brüder und Sektierer, nicht die rebellischen 68er, sondern der konservative Beamtensohn aus Oggersheim machte sich das politische System zu Nutzen, um sein persönliches Fortkommen zu beschleunigen. Instinktiv witterte der aufstrebende Pfälzer, was ein Politiker haben muss, um zu reüssieren: Ellenbogen, Stehvermögen, Seilschaften und einen Doktortitel. Viel Gehirnschmalz musste er darin nicht investieren, praktischerweise promovierte der Heidelberger Student über "Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945". Auf seinen Titel hat der Kleinbürger Kohl immer viel Wert gelegt. Auch als er es längst nicht mehr nötig hatte, verlangte er von Journalisten barsch, mit "Herr Dr. Kohl" angeredet zu werden. Damit wollte er ein Manko kaschieren, das ihn trotz eines bräsig demonstrierten Selbstbewusstseins lange quälte: Minderwertigkeitsgefühle. Er wollte doch so gerne eloquent sein wie Strauß, beliebt wie Brandt und souverän wie Schmidt. Es sollte ihm unendliche Genugtuung bereiten, dass er als "Einheitskanzler" und "Vater des Euro" am Ende bedeutender war als die großen Drei. Kohl, der sich den alten Adenauer zum Vorbild erkoren hatte, wusste schon früh, dass er Kanzler werden wollte. Bereits 1971 versuchte er, CDU-Vorsitzender zu werden, scheiterte jedoch auf dem Saarbrücker Parteitag am Konkurrenten Rainer Barzel. Wie so oft, hatte Kohl aber auch diesmal Glück: Weil (ausgerechnet!) die Stasi der DDR mindestens zwei Bundestagsabgeordnete bestochen hatte, verlor Barzel 1972 das denkwürdige Konstruktive Misstrauensvotum und danach auch die Bundestagswahl gegen den legendären SPD-Kanzler Willy Brandt. Als Barzel zurücktreten musste, weil er nicht mehr genügend Rückhalt in der CDU verspürte, schlug Kohls Stunde. Er wurde neuer Parteichef - und sollte das Amt 25 Jahre lang nicht mehr abgeben. Der dunkelhaarige Pfälzer mit der großen Hornbrille galt seinerzeit als ungelenker Typ, der nicht recht ernst genommen und von den Linken als "Birne" verspottet wurde. Sein Sprachtalent war eher bescheiden, seine Reden wirkten hölzern und gestelzt. Kohls größter Gegner saß indes nicht in der SPD, sondern in den eigenen Reihen: Franz Josef Strauß. Die politische Dampfwalze aus Bayern fühlte sich Kohl in allen Belangen überlegen, scheiterte aber an ihrer Hybris. In seiner berüchtigten Wienerwald-Rede von 1976 fällte der frustrierte CSU-Chef über den CDU-Kollegen ein vernichtendes Urteil: "Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen (fürs Kanzleramt)". Kohl sei "total unfähig". Welch ein Trugschluss! Straußens unmäßige Pauschalkritik spornte den Geschmähten erst richtig an. Kohl reagierte ausgesprochen klug - und ließ den Stänkerer ins Leere laufen. Zwar schaffte es Strauß 1980 noch einmal, sich gegen den Rivalen (als Kanzlerkandidat) durchzusetzen, doch seine deutliche Niederlage gegen den angesehenen Kanzler Helmut Schmidt schuf klare Verhältnisse: Strauß blieb Ministerpräsident in Bayern, Kohl hatte - endlich - freie Fahrt. Und abermals stand ihm das Glück zur Seite, diesmal in Person des FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher. Der taktisch versierte Liberale hatte sich von Schmidt entfremdet, ihm passte die sozialliberale Richtung nicht mehr. Also provozierte Genscher, gemeinsam mit "Marktgraf" Otto Graf Lambsdorff, den Bruch und wechselte mitten in der Legislaturperiode die Seiten. Schmidt hatte keine Mehrheit mehr, Kohl wurde im Herbst 1982 vom Bundestag zum sechsten Kanzler der Repubik gewählt. Auch dieses Amt sollte er ungewöhnlich lange (16 Jahre) behalten. Das größte Glücksmoment erreichte den lange Zeit blass vor sich hin regierenden Kanzler, dessen "geistig-moralische Wende" durch die Kießling-Affäre und die Flick-Affäre kräftig konterkariert wurde, am 9. November 1989. Der Fall der Mauer veränderte nicht nur die Welt, sondern auch die Person Kohl. Quasi über Nacht wurde aus dem Provinzpolitiker ein Staatsmann, aus der "Birne" ein strahlender Polit-Stern. Ob sein "Zehn-Punkte-Papier" oder seine Verhandlungen mit Sowjet-Führer Michail Gorbatschow und US-Präsident George Bush, ob seine leidenschaftlichen Reden in Dresden und Erfurt oder sein einheitsbeseeltes Versprechen der "blühenden Landschaften": Kohl machte instinktiv richtig, was sein SPD-Kontrahent Oskar Lafontaine objektiv falsch machte. Und das Wunder geschah: Moskau und Washington akzeptierten die deutsche Einheit, auch die europäischen Partner stimmten (zähneknirschend) zu. Als Deutschland souverän wurde, wurde auch Helmut Kohl souverän. Er war auf dem Zenit seiner Macht. 1998, als seine Zeit dann abgelaufen war, ging Kohl als international geachteter Staatsmann von der Brücke. Er hatte sich Renommee und Respekt erworben, seine joviale Art, sein pathetischer Provinzialismus vermittelten Regenten und Bürgern auf der ganzen Welt das Gefühl, es mit einem "neuen Deutschland" zu tun zu haben, das "ungefährlich" war. Kohl, der zuhause als burschikoser Machtmensch auftrat, wirkte im Ausland freundlich und verbindlich, selbst der sensible François Mitterrand war seinem rustikalen Charme erlegen. Lange konnte Kohl von seinem Glanz indes nicht zehren, schon im Jahr 2000 holte ihn die CDU-Spendenaffäre ein: Der Einheitskanzler, in seiner CDU längst Kultfigur, war tief in den Spendensumpf verstrickt. Als die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel zur Aufklärung und zum Neuanfang aufrief, geriet das Denkmal Kohl ins Wanken. Verbittert gab er schließlich den Ehrenvorsitz der CDU ab, zerstritt sich mit seinem langjährigen Weggefährten Schäuble und zog sich zurück. Bis heute verweigert er die Namen der angeblich edlen Spender, deren "Bimbes" er in den schwarzen Kassen hat verschwinden lassen. Persönlich schlug das Schicksal ein Jahr später zu, als Ehefrau Hannelore vor einer unheilbaren Krankheit in den Freitod floh. Dann spielte seine eigene Gesundheit nicht mehr mit, heute sitzt das einst so stolze Mannsbild im Rollstuhl, gepflegt von seiner zweiten Frau Maike Richter, die 34 Jahre jünger ist. Helmut Kohl, der in sentimentalen Momenten von seiner eigenen Bedeutung ergriffen sein konnte, rührt jetzt an. Insbesondere seine Freunde von der Springer-Presse, die unermüdlich versuchen, ihm den Friedensnobelpreis zuzuschreiben. Es wäre die letzte Ehre, die ihm noch fehlt.

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