Maas will 175er-Urteile aufheben

Berlin · Homosexualität war auch in der Nachkriegszeit noch lange verboten. Rund 50 000 Menschen wurden nach Paragraf 175 verurteilt. Justizminister Maas will sie entschädigen, doch in der Union könnte es Widerstände geben.

Angekündigt hatte er es schon, einen Gesetzentwurf aber traute sich Heiko Maas (SPD ) offenbar noch nicht zu. Gestern legte der Justizminister "Eckpunkte" für ein Gesetz zur Rehabilitierung aller Homosexuellen vor, die wegen des inzwischen abgeschafften Paragrafen 175 verurteilt worden waren. Grund der Vorsicht: In der Unionsfraktion gibt es Widerstände.

Maas will laut dem Papier, das der SZ vorliegt, alle wegen Paragraf 175 ergangenen Urteile pauschal aufheben und aus dem Strafregister streichen. Rund 50 000 Menschen, meist Männer, wurden in der alten Bundesrepublik auf der Basis verurteilt, die meisten bis 1969. Der Paragraf sah wegen "Unzucht" Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vor, und zwar auch dann, wenn der gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakt einvernehmlich und zwischen Erwachsenen stattfand. In der Nazizeit waren mithilfe dieses Paragrafen Zigtausende Homosexuelle verfolgt und vielfach ermordet worden. Die komplette Abschaffung gelang erst 1994 nach der Wiedervereinigung.

Im Mai hatten Gutachter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes festgestellt, dass der Paragraf und damit alle Verurteilungen gegen Menschenrechte verstoßen hätten und der Gesetzgeber zur Rehabilitierung verpflichtet sei. Diese Argumente machte sich Maas jetzt zu Eigen. Es sei das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit nach dem Grundgesetz und nach der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt worden; das müsse ohne Prüfung des Einzelfalles mit einem "Aufhebungsgesetz" korrigiert werden.

Maas will die Betroffenen so entschädigen, wie alle zu Unrecht Verurteilten: mit 25 Euro pro Tag im Gefängnis; auch sollen Prozesskosten und mögliche Strafgelder erstattet werden. Für Härtefälle, etwa wenn es nicht mehr alle Nachweise gibt, soll es einen Zusatzfonds geben. Das ist dem grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck zu wenig. Oft habe schon die Einleitung von Ermittlungsverfahren zum Job- oder Wohnungsverlust geführt, sagte Beck der SZ. Auch dafür müsse es einen Fonds geben. Positiv fand er Maas' Vorschlag, neben der Individualentschädigung auch eine kollektive Entschädigung für die Gruppe der Homosexuellen insgesamt zur Verfügung zu stellen.

In der Unionsfraktion unterstützt der Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak (CDU ) die Vorschläge. Die Rehabilitierung müsse noch in dieser Wahlperiode umgesetzt werden, forderte er. Mit der Feststellung, er werde in seiner Fraktion dafür werben, gestand der Abgeordnete freilich indirekt auch ein, dass es in der Union Bedenken gibt. Maas will nun nächste Woche im Bundestag mit dem Koalitionspartner das Gespräch suchen und dann "so schnell wie möglich" einen richtigen Gesetzentwurf einbringen.

Meinung:

Es war damals schon Unrecht

Von SZ-Korrespondent Werner Kolhoff

Schwul sagte man nicht im Nachkriegsdeutschland , man sagte: "Ein 175er". Und man hat die Betroffenen dann aufgrund des entsprechenden Paragrafen wegen "Unzucht" in Gefängnisse gesteckt. Diese Verurteilungen waren nichts anderes als eine schwere Menschenrechtsverletzung, nebenbei auch eine Grundgesetzverletzung. Und das nicht nur aus heutiger Sicht. Schon damals galt das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Die sehr späte Initiative, die Urteile aufzuheben und die noch lebenden Betroffenen zu entschädigen, wird womöglich noch Folgen in anderen Bereichen haben. Etwa bei Opfern des Paragrafen 218, Abtreibung. Man kann die Betroffenen nur ermuntern.

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