Terror in London London trotzt dem Terror

London · Und schon wieder Großbritannien. Am Pfingstwochenende haben Islamisten in der britischen Hauptstadt sieben Menschen getötet.

Behutsam legt die Frau den Strauß Blumen an einem gelben Verkehrspoller nieder. Sie hält kurz inne, wischt sich eine Träne aus dem Auge und blickt dann zu den Absperrbändern. Dahinter liegt die Gegend, wo sich sonst Touristen und Einheimische in Bars und Pubs tummeln, rote Doppeldeckerbusse im Stau stehen, Briten zur Arbeit eilen, das Leben pulsiert. Nun herrscht im Herzen der Metropole gespenstische Stille. Lediglich einige Forensiker in weißen Anzügen durchforsten Zentimeter für Zentimeter die leeren Straßen. Am Samstagabend rannten hier unzählige Menschen um ihr Leben, als drei Terroristen einen verheerenden Anschlag verübten. Es war kurz vor 22 Uhr. Rhiannon Owen, eine Krankenschwester in Ausbildung, hob gerade Geld ab, als ein Taxifahrer neben ihr hielt und schrie: „Lauf, lauf.“ Da sah sie bereits einen Mann mit einem langen Messer auf sie zukommen. Rhiannon rannte „so schnell sie konnte“.

Zuvor waren drei Männer in einem weißen Geländewagen über den Fußweg der berühmten London Bridge gerast. Danach sprangen sie aus dem Van, attackierten Menschen mit Messern und stürmten in die Bars und Restaurants rund um das Ausgehviertel um den Borough Market. Auch hier stachen sie wahllos auf Feiernde ein, einige der Angegriffenen wehrten sich, warfen Stühle, Tische und Biergläser nach den Tätern, die Vorrichtungen am Körper trugen, die wie Sprengstoffwesten aussahen. „Wegrennen, verstecken, andere informieren“ – so lautete die Aufforderung der Polizei bereits kurz nach dem ersten Notruf. Nur acht Minuten danach waren die Beamten zur Stelle und erschossen die Angreifer.

Trotz des schnellen Eingreifens wurden sieben Menschen getötet, darunter eine Kanadierin, die für ihren Verlobten nach London gezogen war, und ein Franzose. Dutzende wurden teils schwer verletzt. Auch Polizisten erlitten Verletzungen. So stieß ein Verkehrspolizist vor der U-Bahn-Station auf die Angreifer und versuchte, diese allein mit einem Schlagstock niederzustrecken. Er wurde dabei schwer verletzt. In der Regel tragen die Bobbies, wie die Ordnungshüter mit den glockenförmigen Hüten genannt werden, keine Waffe.

Obwohl die Stadt erschüttert ist, zeigen die Menschen in diesen Tagen vor allem eines: Trotz. Der Alltag wird fortgeführt. „Wir dürfen nicht nachgeben, sondern müssen den Geist dieser vielfältigen, multikulturellen und geeinten Gemeinschaft aufrechterhalten“, befand die Engländerin Sarah und sprach damit für etliche Londoner, die sich ähnlich äußerten. Sie war wie viele andere Briten gestern bereits wieder auf der London Bridge unterwegs zur Arbeit.Tausende Trauernde legten gestern am Tatort Blumen und bewegende Botschaften nieder. Londons Bürgermeister Sadiq Khan, selbst Muslim, hatte zu der Gedenkveranstaltung aufgerufen, um „der Welt zu zeigen, dass wir gemeinsam denjenigen entgegenstehen, die uns und unsere Lebensart schädigen wollen“.

Zum dritten Mal innerhalb von gut zehn Wochen und nur wenige Tage vor den Parlamentswahlen am Donnerstag wurde das Vereinigte Königreich Ziel eines islamistischen Anschlags. Die Bilder der vergangenen Tage ähneln jenen von vor zwei Wochen in Manchester. Nach einem Konzert der US-Sängerin Ariana Grande hatte sich dort der Brite Salman Abedi im Foyer der Konzerthalle in die Luft gesprengt und 22 Menschen mit in den Tod gerissen. Bei einem Benefizkonzert, das am Sonntag von Grande organisiert wurde, trat die US-amerikanische Sängerin mit Schulkindern auf, von denen einige selbst die Horrornacht miterlebt hatten.

In London kündigte Premierministerin Theresa May am Sonntag Maßnahmen an. „Genug ist genug“, sagte May. Etliche Beobachter verurteilten ihre Rede – und die Tatsache, dass sie vor der Übernahme des Regierungspostens in ihrer sechsjährigen Amtszeit als Innenministerin rund 20 000 Polizeistellen gestrichen hatte. Labour-Chef Jeremy Corbyn forderte gestern deshalb ihren Rücktritt.

Auch der von May vorgeschlagene Vier-Punkte-Plan zog kritische Kommentare nach sich. Sie monierte etwa, dass Islamisten zu viele „Rückzugsorte“ im Internet fänden, weshalb man den Kampf gegen die extremistische Ideologie auch online verschärfen wolle. Zudem sollten auch Maßnahmen gegen den radikalen Islam ausgeweitet werden. May forderte in ihrer Rede auch höhere Freiheitsstrafen für islamistische Extremisten. „Was sie sagte, war erwartbar, aber leider hat sie über keinen dieser Punkte Kontrolle“, sagt Michael Clarke, der ehemalige Direktor des unabhängigen Forschungsinstituts RUSI. „Wir müssen aufhören, uns darüber Sorgen zu machen, ob wir unsere muslimischen Gemeinden verärgern, wenn wir ihnen sagen: Ihr habt ein Problem“, so Clarke. Tatsächlich legte bereits 2016 eine Studie im Auftrag der Regierung nahe, dass viele muslimische Gemeinden sozial ausgegrenzt und mangelhaft integriert seien. Die Politik habe oft aus Angst vor Rassismusbeschuldigungen umstrittene religiöse Praktiken, frauenfeindliches oder patriarchalisches Verhalten ignoriert oder geduldet, hieß es.

Während die Ermittlungen andauern, gab es am Sonntag im Osten der Hauptstadt mehrere Razzien und Hausdurchsuchungen. Die Polizei nahm zwölf Verdächtige im Stadtteil Barking fest. Einer von ihnen wurde mittlerweile wieder auf freien Fuß gesetzt.

Dass der Anschlag einen direkten Effekt auf das Ergebnis der Wahl am Donnerstag haben wird, bezweifeln Experten, auch wenn sich die Konservativen stets als die Partei „von Recht und Ordnung“ bezeichnet haben. „Wenn es jemandem hilft, dann vielleicht der Labour-Partei, denn dieser Anschlag war wie Manchester ein Angriff auf junge Menschen“, so Clarke. Es könne sein, dass mehr von ihnen aus Protest wählen gehen.

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