Lohnplus in vielen Branchen - trotz Krise

Berlin. Trotz Wirtschaftskrise bewegen sich die für 2010 von den Tarifparteien vereinbarten Lohnsteigerungen ungefähr auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr. Damals gab es ein durchschnittliches Plus von 2,9 Prozent. Der Tarifexperte des WSI-Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Reinhard Bispinck, warnte allerdings vor Euphorie

Berlin. Trotz Wirtschaftskrise bewegen sich die für 2010 von den Tarifparteien vereinbarten Lohnsteigerungen ungefähr auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr. Damals gab es ein durchschnittliches Plus von 2,9 Prozent. Der Tarifexperte des WSI-Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Reinhard Bispinck, warnte allerdings vor Euphorie. "Effektiv werden die Löhne deutlich weniger zulegen, vielleicht sogar schrumpfen", sagte Bispinck gestern unserer Zeitung. Als Ursache nannte er tarifvertragliche Öffnungsklauseln, die wegen der Krise stark genutzt würden, sowie die in vielen Unternehmen praktizierte Kurzarbeit.

Nach einer vorläufigen Übersicht des WSI-Instituts spielte sich das Tarifgeschehen in der zweiten Jahreshälfte vorwiegend auf regionaler Ebene ab. So gilt zum Beispiel für die Beschäftigten der baden-württembergischen Süßwarenindustrie seit September eine Lohnsteigerung von drei Prozent. Arbeitnehmer in der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie Niedersachsens bekommen seit November 1,5 Prozent mehr Geld. Bei den Beschäftigten des Groß- und Außenhandels in Sachsen-Anhalt legten die Bezüge im Oktober um zwei Prozent zu.

Zu den Spitzenreitern in der diesjährigen Lohnrunde zählt der RWE-Konzern, der ähnlich wie der Autobauer VW in der Metallbranche eine tarifliche Sonderstellung im Energiebereich hat. Bei RWE stiegen die Gehälter am 1. Januar um vier Prozent. Bei der Deutschen Telekom haben sich die Bezüge zeitgleich um drei Prozent erhöht. Für den öffentlichen Dienst in den Ländern gilt seit März ein Lohnplus von ebenfalls drei Prozent. Etwas bescheidener fiel der Zuwachs im Bauhauptgewerbe aus. Seit Juni haben die Beschäftigten dort tariflich 2,3 Prozent mehr in der Lohntüte. Aus Arbeitnehmersicht geradezu ernüchternd ist die jüngste Tarifrunde in der Druckindustrie gewesen. Hier soll es erst ab April 2010 zu einer Lohnanhebung von 2,1 Prozent kommen. Für die insgesamt zwölf Monate davor ist nur eine Pauschale von 280 Euro vereinbart. Dabei war die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit einer Tarifforderung von fünf Prozent in die Verhandlungen gestartet. Bei sämtlichen Lohnabschlüssen muss auch berücksichtigt werden, dass bundesweit nur 60 Prozent aller Beschäftigten tarifgebunden sind. In den neuen Ländern liegt die Quote lediglich bei 52 Prozent.

Die von Bispinck erwähnten tariflichen Öffnungsklauseln dürften viele Beschäftigte auch beim anstehenden Weihnachtsgeld zu spüren bekommen. In nahezu allen Tarifverträgen findet sich ein Passus, wonach die Extrazahlung wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten gekürzt oder verschoben werden kann. Auch deshalb war Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt auf dem Arbeitgebertag gestern in Berlin für die Gewerkschaften voll des Lobes. "Gerade jetzt in der Krise bewähren sich die tariflichen Öffnungsklauseln und betrieblichen Differenzierungsmöglichkeiten, die wir als Tarifvertragsparteien in den letzten Jahren vereinbart haben", sagte Hundt. Mit den Gewerkschaften sei eine "neue Form der Tarifkultur geschaffen" worden. Deshalb brauche es auch keine gesetzlichen Regelungen für betriebliche Bündnisse zur Sicherung von Arbeitsplätzen, so Hundt. Damit rückte der Arbeitgeberpräsident demonstrativ von einer alten Forderung der Wirtschaft an die Politik ab.

Für alle Beschäftigten bleibt übrigens der Trost, dass auch noch so geringe Lohnsteigerungen in diesem Jahr deutlich mehr wert sind als 2008. Seinerzeit lag nämlich die Inflationsrate bei 2,6 Prozent. In diesem Jahr tendiert die Teuerungsrate gegen Null.

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