Löwin im goldenen Käfig

Washington · Seit fünf Jahren lebt Michelle Obama, die heute ihren 50. Geburtstag feiert, im Weißen Haus. Sie ist Stil-Ikone und Fitness-Lehrerin der Nation. Doch Amerikas Frauenbewegung hatte auf eine politischere First Lady gehofft.

Als Michelle Obama als First Lady ins Weiße Haus einzog, war sie ihren Landsleuten ein Rätsel. Ein Karikaturist des "New Yorker" verklärte sie zur Rebellin mit Afrofrisur, was ängstliche Publicity-Experten veranlasste, ihr Image umso weicher zu spülen, als wäre sie eine biedere Hausfrau ohne jegliche politische Ambitionen. Jetzt wird sie 50, aber ein Rätsel ist sie noch immer.

Als Stil-Ikone hat sie sich fest etabliert. Junge amerikanische Modeschöpfer verdanken ihr steile Karrieren, allen voran Jason Wu, ein New Yorker mit taiwanesischen Wurzeln, der zweimal in Folge, 2009 und 2013, ihre Kleider für die festlichen Inaugurationsbälle kreierte. Für "Let's Move", eine Fitness-Initiative, schlängelt sie sich durch Slalom-Stangen, übt Liegestütze, lässt Hula-Hoop-Reifen kreisen. Die Vorturnerin der Nation, eisern entschlossen, der Volkskrankheit Fettleibigkeit den Kampf anzusagen.

Die Gemüsebeete hinterm Rosengarten gehören inzwischen genauso symbolträchtig zum Weißen Haus wie Bo, der Portugiesische Wasserhund. Überhaupt, in ihrem Werben für gesunde Ernährung ging Michelle Obama so weit, dass sie an Halloween statt der üblichen Schokoriegel Trockenfrüchte verteilte. Worauf ihr Gatte kalauerte, nun würden wohl bald ein paar faule Eier gegen die Fenster der Residenz fliegen. Oder vor Jahresfrist die Sache mit der Pony-Frisur, wochenlang heißes Debattenthema. "Heute beginnen die nächsten vier Jahre des Präsidenten", meldete sich die Komödiantin Joan Rivers ironisch tadelnd zu Wort. "Lasst uns hoffen, dasselbe gilt nicht für die neue Frisur der First Lady."

Ob Brokkoli oder Pony, für Amerikas Feministinnen sind das alles nur Ablenkungsmanöver, Lückenfüller, Kleinkram für eine kluge, durchsetzungsstarke Frau, die sich der Etikette wegen verleugnen muss. Sie hatten auf eine politischere First Lady gehofft, auf eine zweite Hillary Clinton, die bei strittigen Themen selbstbewusst Farbe bekennt, sei es beim Abtreibungsrecht oder Relikten des Rassendünkels. Michelle Obama möge endlich die Strickjacke ablegen und die Hosenanzüge aus dem Kleiderschrank holen, schrieb neulich Keli Goff, Kolumnistin des afroamerikanischen Kulturmagazins "Root". Nun, da Barack nicht mehr antrete zu einer Wahl, brauche sie doch keine Angst mehr zu haben, dass ihr Image als "superstarke, superleidenschaftliche" schwarze Frau ihren Mann in der weißen Mitte Stimmen kosten könnte. Die Löwin im Käfig, so ungefähr lautet der Grundtenor.

Michelle Obama entgegnet der Kritik, indem sie auf ihre wichtigste Rolle verweist: Mom-in-Chief. Als Mutter wolle sie dafür sorgen, dass ihre Töchter Malia und Sasha halbwegs normal heranwachsen, auch in der Machtblase an der Pennsylvania Avenue. "Den Garten pflegen? Kindern vorlesen? Kinder betreuen? Im Grunde wurde sie zu einer englischen Lady, Tory-Partei, 1830er Jahre", polemisiert Linda Hirshman, eine der spitzesten feministischen Federn der USA. Und Leslie Morgan Steiner, Autorin des Bestsellers "Mommy Wars", fragt: "Sind Mode- und Fitnesstipps alles, was wir von der gebildetsten First Lady unserer Geschichte erhoffen dürfen?"

Es gibt seltene Momente, da wagt sich die frühere Juristin, einst bei der Anwaltskanzlei Sidley Austin Mentorin ihres künftigen Mannes, durchaus aus der Deckung. Etwa, wenn sie vom wahren Leben in Princeton berichtet. Dort, im Auslese-Milieu der Ivy League, hat sie studiert, bevor sie im noch edleren Harvard ihr Juradiplom machte. "So offen und tolerant manche meiner weißen Professoren und Kommilitonen auch waren", schildert sie den Campus von Princeton, "bisweilen fühlte ich mich wie eine Fremde. Oft schien es, als wäre ich immer zuerst eine Schwarze und erst dann eine Studentin". Über dieses Kapitel, finden ihre Fans, sollte sie viel ausführlicher erzählen, zeige es doch, wie es wirklich zugegangen sei und vielleicht noch zugehe hinter schönen Fassaden. Oder der Wahn exorbitanter Studiengebühren, der Studenten aus einfachen Verhältnissen, so sie denn kein Hochbegabtenstipendium beziehen, mit einem sechsstelligen Schuldenklotz am Bein ins Berufsleben ziehen lassen. Manchmal deutet Michelle Obama vorsichtig an, welche Chancen ein Land vergibt, wenn der elterliche Kontostand über Bildungschancen entscheidet, zumindest mitentscheidet. Doch wenn sie es tut, dann meist im Ausland. "Wir sehen immer wieder, welches Potenzial sich an den unwahrscheinlichsten Orten finden lässt", sagte sie einmal in Mexiko-Stadt. "Mein Mann und ich sind lebende Beweise dafür."

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