Liebeserklärung und Denkmal für ein "Kaff"

Alsweiler. Das Dorf Alsweiler ist keine Touristenschönheit. Eine Straßensiedlung, zerschnitten von der Bundesstraße 269, mit Kreissparkasse, Pfarrheim, Apotheke. Und einer fest schon gespenstisch leer gefegten Hauptstraße, gesäumt von Standard-Bürgersteigen. 2000 schloss das letzte Lebensmittelgeschäft, schon 2006 standen rund zehn Prozent der Häuser im Ortskern leer

Alsweiler. Das Dorf Alsweiler ist keine Touristenschönheit. Eine Straßensiedlung, zerschnitten von der Bundesstraße 269, mit Kreissparkasse, Pfarrheim, Apotheke. Und einer fest schon gespenstisch leer gefegten Hauptstraße, gesäumt von Standard-Bürgersteigen. 2000 schloss das letzte Lebensmittelgeschäft, schon 2006 standen rund zehn Prozent der Häuser im Ortskern leer. Hinter dem "Hiwwelhaus" (1712), dem ältesten Bauernhaus des Saarlandes, verläuft die Mühlenstraße, ein bordsteinloser Verbund-Pflasterweg. Das hat man jetzt so im deutschen Dorf. Dessen Optik hat sich zum Un-Ort gewandelt, undefinierbar wie so vieles in der Welt, was sich immer mehr ähnelt: Flughäfen, Autobahnkreuze, Einkaufszentren. Und wir lernen bei Klaus Brill: Menschenleere ist ein Globalisierungssymptom. Brill, aus Alsweiler stammend und nun der "Biograf" seines Dorfes, erklärt das wie folgt. Früher ging man zu Fuß, verweilte bei Menschen auf Türschwellen. Heute fährt auch der Dörfler mit dem Auto zur Kirche. Allgegenwärtiges Motoren-Geräusch hat die einst für den Dorfalltag charakteristische, Natur bedingte "feierliche Stille" abgelöst. Weil Globalisierung vor allem eins bedeutet: das Um-den-Weltball-Jagen von Informationen und Waren steigt auch in Alsweiler die Auto-Quote, bis auf 22 000.

Der heute in Prag lebende Auslandskorrespondent der "Süddeutschen Zeitung" setzt auf die Spuren des epochalen Umbruchs. 75 Interviews hat er für sein Buch geführt, das dieser Tage erschien: "Deutsche Eiche made in China. Die Globalisierung am Beispiel eines deutschen Dorfes" (Blessing Verlag, 19,95 Euro).

Brill wurde 1949 in Alsweiler, einem Ortsteil von Marpingen, geboren. Brach von hier aus auf, zunächst zum Studium nach Freiburg und München, später dann, für die "Süddeutsche" nach Rom und Washington. "Man fühlte sich damals im hintersten Winkel. Und ich bin unheilbar neugierig", erklärt Brill bei einem Treffen in Alsweiler sein Nix-wie-weg-Streben. Doch seit sechs Jahren ist er, der Heimatferne, der Inbegriff des modernen Nomaden, den er im Buch beschreibt, Vorsitzender des Alsweiler Geschichtsvereins. Ein Kuriosum. Oder auch nur folgerichtig. Denn vor etwa sieben Jahren begannen seine Recherchen, die ihn zum Heimatforscher machten. Sie wurden ausgelöst durch Beobachtungen, die Brill bei seinen Familienbesuchen machte. Er registrierte Veränderungen im Mikrokosmos, die er wiedererkannte - weil sie ihm überall auf der Welt begegneten. In seinem Buch begegnen sie uns als geschichts-raubender Irrwitz in 14 reportageartigen Kapiteln.

Brill schreibt detailverliebt, faktensatt, mitunter allzu gesprächig, immer aber ganz dicht an den Menschen. Wir lernen einen Karosserie-Fachmann kennen, der auf einem ehemaligen Drahtwarenfabrik-Gelände eine Werkstatt für Militär-Oldtimer betreibt. Bis nach Russland fährt er, um alte Wehrmachtsautos aufzutreiben, verkauft sie weiter nach Uruguay oder vermietet sie an Hollywood-Filmteams, etwa an die Tom-Cruise-Crew ("Operation Walküre). Der IT-Technolgie sei Dank hat sich die Erwerbs- und Berufsstruktur im Dorf, im 18. Jahrhundert von Steinmetzen, Schmieden, Schuhmachern und Bauern geprägt und eine autonome Versorgungseinheit, vollständig gewandelt. Unternehmensberater, Software-Spezialisten, Produktions-Projektmanager haben hier ihr "Home Office", um national oder international Geschäfte zu machen. Sie können teilnehmen, sind aber nicht angewiesen auf das, was Brill in einer bestechenden Sozial-Analyse herausarbeitet: die auf Wechselseitigkeit und Geselligkeit gegründete traditionelle "Kultur des Helfens". Die mediale Welt züchte den selbstbezogenen narzisstischen Charakter und bringe Menschen auf Distanz zu Nachbarn, die keine "Celebrities" seien, liest man.

Ebenso: Buchenholz aus dem Alsweiler Wald wird nach China verkauft, dort zu Endlosfurnier verarbeitet und auf Möbel gepappt, die im Baumarkt in Tholey wieder auftauchen. Auch Alsweiler Äpfel eignen sich, um die Weltmarkt-Systematik zu erläutern. Während das Obst auf den Wiesen verfault, fahren die Dörfler nach St. Wendel zu Globus, um dort die Sorte Braeburn zu kaufen, eine Apfel-Züchtung aus dem neuseeländischen Kaff Upper Moutere. Weltweit gibt es rund zwei Millionen solcher zivilisatorischer Mini-Einheiten, in Deutschland 30 000. Sie alle sind längst nicht mehr Provinz. Sie profitieren, auch das zeigt Brill, von der Enträumlichung, die die Globalisierung in Gang gesetzt hat. Die Silvesterparty am Times Square ist auch von Alsweiler aus kein Problem mehr. Und wenn die Familie Bruch (Globus) ihre Supermärkte nach Scholkolow nördlich von Moskau verpflanzt, hat das was Gutes.

Doch insgesamt überwiegen bei Brill die melancholischen und die warnenden Töne, selbst wenn er betont: "Ich bin kein Heimatdödel." Er wolle nichts zum "süßlichen Idyll" verklären. Doch ohne Zweifel geraten ihm nicht wenige Passagen als leidenschaftliche Liebeserklärung an eine Lebensform, die die Globalisierung bedroht.

Buchvorstellung: 1. Oktober, 19.30 Uhr, Mia-Münster-Haus St. Wendel.

"Ich bin kein Heimatdödel. Ich will nichts verklären."

Autor Klaus Brill

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