„Lieb' Vaterland magst ruhig sein . . .“

Noch herrscht unbeeinträchtigt die strahlende Helle des Sommertages. Aber im Laufe des Monats August lässt sich das Nahen des Herbstes doch nicht verkennen, selbst wenn das Witterungsbild bis unmittelbar an seine Schwelle hochsommerlich bleibt.

 Die Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 70 vor der 70er-Kaserne in Saarbrücken. Das Foto zeigt offenbar die Truppen-Verabschiedung im August 1914. Fotos: Landesarchiv Saarbrücken

Die Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 70 vor der 70er-Kaserne in Saarbrücken. Das Foto zeigt offenbar die Truppen-Verabschiedung im August 1914. Fotos: Landesarchiv Saarbrücken

" Diese meteorologische Betrachtung aus der Saarbrücker Zeitung vom 1. August 1914 könnte sinnbildlich stehen für die Stimmung zu Beginn des Ersten Weltkriegs - nicht nur an der Saar.

Krieg liegt in der Luft seit dem Attentat eines serbischen Nationalisten auf den österreichischen Kronprinzen in Sarajewo. Die Menschen in Deutschland halten den Atem an, erst recht nach der Kriegserklärung von Österreich-Ungarn an Serbien. "Eine außerordentliche Spannung hatte gestern unsere Bürgerschaft erfaßt, als das Gerücht sich in der Stadt verbreitete, der Kaiser habe die Mobilisation von Heer und Flotte angeordnet", heißt es am 31. Juli in der SZ. Hochfliegendes Pathos begleitet die Mobilisierungs-Gerüchte auch aus journalistischer Feder: "Sollte das Schicksal es wollen, daß die Schärfe der deutschen Waffen erneut erprobt werden müßte, wir sind überzeugt, in Saarbrücken würden die Wogen vaterländischer Begeisterung hoch gehen und ihren Ausdruck finden in dem treudeutschen Wort: ‚Lieb Vaterland magst ruhig sein, Wir alle wollen Hüter sein!'".

Keine Frage, die Bevölkerung war rechtzeitig vorbereitet auf einen Waffengang, feierten in den deutschen Zeitungen doch vor allem seit der Bluttat in Sarajewo alte Feind- und Zerrbilder, etwa vom Erbfeind Frankreich und vom neidvollen Engländer, glorreiche Auferstehung. Vor allem Russland stand - als Schutzmacht Serbiens - zunächst im Kriegsvisier des Deutschen Kaiserreichs.

Just am 1. August trafen denn auch bewegende Töne auf die sensibilisierten Ohren gediegener Saarbrücker beim Promenadenkonzert in der Luisenanlagen, "als patriotische Weisen unserer 70er (des 70er Infanterieregiments, d. Red.) erklangen, die allen an das Herz griffen". Da hatten die Bürger bereits Gewissheit: Die offizielle Mobilmachung des Kaisers kurz zuvor wurde quasi als Erlösung wahrgenommen, obwohl schon in den Tagen zuvor Tausende Männer einberufen wurden.

"Mobil!", so heißt es in der SZ, "dieser Kriegsruf wirkte am Samstag in der hiesigen Bevölkerung in der unerträglichen Spannung der letzten Tage wie eine Befreiung vom dumpfen Druck, der sich beängstigend über alle Kreise gelegt hatte. (...) Als wir kurz vor dreiviertel sechs den Anschlag vollzogen, wurde die Nachricht zunächst mit ernstem Schweigen aufgenommen. Dann brauste aber ein erlösendes dreifaches Hoch auf Deutschland durch die Luft, eine Begeisterung auslösend, die ordentlich befreiend wirkte."

Begeisterter Patriotismus auf der einen, zermürbende Angst auf der anderen Seite - die Gefühle der Deutschen waren zu dieser Zeit durchaus zwiespältig. Bereits vor der Mobilmachung war der Andrang bei den Sparkassen im Saargebiet so groß, dass gelegentlich Gendarmen eingreifen mussten, um Ordnung zu schaffen. Der bevorstehende Krieg ließ die Menschen um ihr sauer erspartes Geld fürchten. Auch Lebensmittelgeschäfte wurden von Saarbrücker Hausfrauen förmlich gestürmt: In wenigen Tagen waren haltbare Lebensmittel wie Mehl, Reis, Erbsen, Linsen restlos ausverkauft. Der Salzpreis, so heißt es, stieg innerhalb kürzester Zeit um 200 Prozent an.

Die Angst vor einer Hungersnot nutzten viele Geschäfte zu einer kräftigen Preiserhöhung. Dies wiederum schürte Misstrauen in der Bevölkerung, die nun mit großen Geldscheinen bezahlte und ihr Münzgeld zurückhielt, in dessen Wertbeständigkeit sie mehr Vertrauen hatte. Münzgeldknappheit war die Folge.

Derweil sorgten diverse Spionage-Gerüchte für Verunsicherung, bisweilen kam es zu Aggressionen gegen völlig unbescholtene Menschen. In der SZ vom 3. August 1914 gibt der Königliche Polizei-Direktor bekannt, dass "mehrere harmlose Passanten als angebliche Spione von größeren Menschenmengen erheblich verletzt" worden seien.

Schlimmste Befürchtungen neben hochfliegendem Patriotismus - die Stimmung war aus dem Gleichgewicht: V or allem in ländlichen Gebieten der Saarregion hielt sich der Jubel über den bevorstehenden Waffengang sehr in Grenzen - offensichtlich zeigte die Propaganda dort weniger Wirkung. Von gedrückter Stimmung bei den Männern ist die Rede, von Frauen und Müttern, die viele Tränen vergossen. Anders offenbar Arbeiter und Bürger in den Städten. Dort zog man tapfer "Mit Gott für Kaiser und Reich" in den Krieg. Selbst Anhänger der Sozialisten, die zunächst vor dem Krieg gewarnt hatten, zeigten sich "in der Stunde der Gefahr" von pa triotischen Gefühlen überwältigt. Auch die Kirchen unterstützten die Politik der Reichsregierung, ohne den Krieg als Tötungsmaschinerie in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Er kam manch Geistlichem durchaus gelegen, um seinen Schäfchen ihre Sündhaftigkeit vorzuhalten. Michael von Faulhaber etwa, katholischer Bischof von Speyer und zuständig für den bayerischen Teil der Saarregion, sprach von der Pflicht des Staates zur bewaffneten Notwehr. In der Rangordnung der Liebe habe das Heimatland Vorrang vor dem Ausland.

Zu einem emotionsgeladenen Erlebnis wurde der Buß- und Bettags-Gottesdienstes 1914 in der Saarbrücker Ludwigskirche in Anwesenheit Seiner Kaiserlichen Hoheit, Kronprinz Wilhelm von Preußen. Als man das Schutz- und Trutzlied "Ein feste Burg ist unser Gott", begleitet von gewaltigem Orgelspiel, anstimmte, wurde der Kronprinz, wie damals in der Saarbrücker Zeitung geschildert, "von der Gewalt des Augenblicks erfasst": Er "erhob sich und mit ihm die Gemeinde, und der Choral brauste wie ein Kampf- und Siegeslied durch die weiten Hallen des herrlichen Gotteshauses". Als großer Kriegsprediger pries der evangelische Pfarrer von St. Johann und spätere Superintendent, Wilhelm Reichard, eine junge Männerwelt, "der die Kampflust und das Siegverlangen dieses großen Krieges mit heißer Blutwelle durch die Adern kreist, mit raschem ungestümen Herzschlag an die Rippen hämmert" (W. Reichard: "Das eiserne Kreuz"). Parallel zur Gesellschaft hatte der Militarismus längst auch in den Schulen Einzug gehalten: Ein militärischer Kommando-Ton war ohnehin üblich. Um die Begeisterung der Jugend zu steigern, wurde den Schulen der Besuch von Manövern und Paraden nahegelegt. Die patriotische Erziehung trug denn freilich Früchte: So meldeten sich im August 1914 beispielsweise von den 194 Schülern der Oberklasse des Saarbrücker Ludwigsgymnasiums 92 freiwillig zum Kriegsdienst . In den Primen lag die Quote im September 1914 gar bei 87 Prozent. Bürgerlich-akademische Schichten stellen die Mehrzahl der Kriegsfreiwilligen, aber die Begeisterung erfasst auch kleinbürgerliche Schichten und die Arbeiterschaft. Die große Zahl der Einberufungen führte vor allem zu Kriegsbeginn zu einer Massenarbeitslosigkeit in der Saar-Industrie, da Unternehmen wie die Röchling'schen Stahlwerke, Gebrüder Stumm und die Burbacher Hütte den Betrieb weitgehend einstellen und den größten Teil der nicht einberufenen Belegschaft entlassen mussten. Die dadurch entstandene Notlage bewirkte auch bei den anfänglich Kriegsbegeisterten, dass sich bald Ernüchterung und Trostlosigkeit einstellten.

Literatur: "Als der Krieg über uns gekommen war…". Die Saarregion und der Erste Weltkrieg. Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloss, 1993.

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