Lichtblick an den US-Küsten: Öl-Leck erstmals verschlossen

Washington. Kindra Arnesen traut nicht, was sie wie Millionen Menschen rund um die Welt auf den Aufnahmen vom Meeresboden vor der Küste Louisianas sieht. Das Monster in 1600 Meter Tiefe hat aufgehört, seinen giftigen Ölstrom in den Golf von Mexiko zu spucken. Gebändigt durch eine neue Stahlglocke, die BP in den vergangenen Tagen installiert hatte

Washington. Kindra Arnesen traut nicht, was sie wie Millionen Menschen rund um die Welt auf den Aufnahmen vom Meeresboden vor der Küste Louisianas sieht. Das Monster in 1600 Meter Tiefe hat aufgehört, seinen giftigen Ölstrom in den Golf von Mexiko zu spucken. Gebändigt durch eine neue Stahlglocke, die BP in den vergangenen Tagen installiert hatte. Seit der so genannte "Integritätstest" Mitte der Woche begann, schlossen Experten ein Ventil nach dem anderen. Am Donnerstag um genau 3.25 Uhr Ortszeit versiegte der Strom. "Was gibt es da schon zu feiern?", fragt die zu einiger Prominenz gelangte Fischersfrau aus Plaquemine-Parish, dem Ground Zero der Ölkatastrophe, einen amerikanischen Reporter vor Ort. "Die haben alles zerstört, was ich kannte und was ich liebte", klagt Arnesen über den Verlust ihrer Lebensweise in den Bayous und Marschen Louisianas. Auch der Bürgermeister von Gulf Shores im US-Bundesstaat Alabama, Robert Kraft, sieht keinen Anlass, die Korken knallen zu lassen. "Geben Sie mir 48 Stunden, meine Skepsis zu überwinden", sagt er. Zu oft schon habe er sich falschen Hoffnungen hingegeben.

Davor warnt auch US-Präsident Barack Obama (Foto: dpa). "Es ist wichtig, dass wir den Dingen nicht vorauseilen", meint er in einer kurzen Stellungnahme im Rosengarten des Weißen Hauses. Erst wenn der Ölfluss durch die Entlastungsquelle endgültig gestoppt sei, gebe es Anlass zur Entwarnung. Die Arbeiten "bewegen sich in diese Richtung".

Nicht einmal BP selbst verkündet den Erfolg der Mission. Kent Wells, der den Test auf Seiten des Konzerns überwacht, spricht lediglich von Fortschritten, "die sehr ermutigend sind". Er wolle aber auf keinen Fall "einen fehlgeleiteten Sinn von Begeisterung" erzeugen. Zumal auf den Konzern gleich in mehrfacher Hinsicht neues Ungemach wartet. Am Donnerstag musste BP einräumen, sich für die vorzeitige Freilassung des Drahtziehers des Terroranschlags von Lockerbie, Ali al-Megrahi, eingesetzt zu haben. Das Eingeständnis kam, nachdem US-Außenministerin Hillary Clinton am Mittwoch eine Untersuchung der Affäre angeordnet hatte. Auch der Auswärtige Ausschuss des Senats ermittelt und wird am 29. Juli Zeugen anhören.

Der Ölkonzern kam um das Eingeständnis nicht herum, nachdem der ehemalige britische Justizminister Jack Straw zugab, die Interessen BPs an einem 900-Millionen-Dollar-Erkundungsvertrag für Ölfelder vor der Küste Libyens hätten bei der Entscheidung eine Rolle gespielt. In den USA löste die Freilassung al-Megrahis vor elf Monaten aus humanitären Gründen eine Welle der Empörung aus. Der Libyer hat das Leben von 270 Menschen auf dem Gewissen, darunter 189 Amerikaner. Der angeblich unheilbar krebskranke Mann verbringt nach seiner Helden-Rückkehr ein Luxus-Leben in der Hauptstadt Tripolis.

Das andere Problem ergibt sich aus dem Drängen des Nationalen Katastrophen-Koordinators für den Golf, Thad Allen. Dieser sieht in dem Verschluss der Quelle mit der Stahlglocke nur eine Notlösung für den Fall eines Hurrikans. Der mit rund 462 Bar gemessene Druck liegt in einer Grauzone, die nicht mit Sicherheit ausschließen lässt, dass kein Öl am Meeresboden ausweicht. Außerdem hat die Regierung ein Interesse, die genaue Ölmenge festzustellen, die über 88 Tage in den Golf von Mexiko sprudelte. Die Höhe der Strafen berechnet sich je Barrel. Es "bleibt wahrscheinlich", erklärt Allen, dass das Öl nach dem Test wieder auf den "Helix Producer", die "Q4000" und zwei weitere Tanker geleitet wird, die auf dem Weg zur Unglücksstelle seien. "Wir befinden uns in einer besseren Position als vorher."

Mit Blick auf die enormen Forderungen, die auf den Konzern zukommen, trieb BP seine Verkaufsbemühungen von Unternehmensteilen weiter voran. Die "Financial Times" berichtet, bei Vorlage des Quartalsberichts von BP am 27. Juli dürften erste Verkäufe bekannt gegeben werden. Kurz vor dem Abschluss steht offenbar die Veräußerung der Zwölf-Milliarden-Dollar-Beteiligung an dem Öl- und Gas-Erkundungsunternehmen "Apache", das sich auf die Erkundung von Rohstoffen in Alaska spezialisiert hat. "Es ist wichtig, dass wir den Dingen nicht vorauseilen."

US-Präsident

Barack Obama

Meinung

Das Öl soll bald wieder fließen

Von SZ-Korrespondent

Thomas Spang

Die Bilder aus den Tiefen des Golfs von Mexiko lassen aufatmen. Das Ungeheuer in 1600 Meter Tiefe hat aufgehört, das Meer weiter zu vergiften. Es gibt jedoch gute Gründe, die Ventile an der Stahlglocke bald wieder zu öffnen. Nicht, um das Öl ins Meer fließen zu lassen, sondern um es per Steigleitung auf Tanker an der Meeresoberfläche abzupumpen. Die Verantwortlichen gehen damit auf Nummer sicher, dass kurz vor der Fertigstellung der Entlastungsquelle keine unnötigen Risiken eingegangen werden. Zum Beispiel durch den Einbruch der Quelle. Das kontrollierte Abpumpen via Stahlglocke erlaubte aber auch erstmals eine exakte Messung, mit wie viel Öl am Tag BP das Meer verpestet. Da die Strafen je Barrel berechnet werden, machen ein paar tausend Barrel mehr oder weniger am Ende leicht Milliardenbeträge aus. Angesichts der Aufräumarbeiten, die in den kommenden Jahren bevorstehen, muss die Regierung versuchen, jeden Dollar zu sichern, den sie bekommen kann.

Hintergrund

Die Umweltstiftung WWF hat einen weltweiten Stopp von Tiefseebohrungen verlangt, solange die Technik nicht zu beherrschen ist. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko zeige, dass man die Technik nicht im Griff habe, sagte WWF-Sprecher Jörn Ehlers am Freitag. "Außerdem brauchen wir eine internationale Kontrolle. Das heißt, es kann eigentlich nicht angehen, dass jeder Staat selber entscheidet, wer wann wo bohren darf." Es müsse vor allem darum gehen, solche Katastrophen künftig zu verhindern. "Da ist man kein Stück weitergekommen." Die notwendigen Konsequenzen seien nicht gezogen worden. dpa

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