Liberale suchen Konfrontation mit der Union

Berlin. Den neuen Takt hatte Parteichef Guido Westerwelle bereits in einem Interview für den "Spiegel" vorgegeben: "Ich habe eine Engelsgeduld. Aber die FDP kann auch anders". Von diesem kämpferischen Geist muss dann auch die vierstündige Krisensitzung der Partei- und Fraktionsspitze am Sonntagabend im Reichstag durchdrungen gewesen sein

Berlin. Den neuen Takt hatte Parteichef Guido Westerwelle bereits in einem Interview für den "Spiegel" vorgegeben: "Ich habe eine Engelsgeduld. Aber die FDP kann auch anders". Von diesem kämpferischen Geist muss dann auch die vierstündige Krisensitzung der Partei- und Fraktionsspitze am Sonntagabend im Reichstag durchdrungen gewesen sein. FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler meinte jedenfalls danach: "Wir werden mehr auf unsere Positionen achten und eine Stufe härter schalten". Und als Generalsekretär Christian Lindner gestern vor die Presse trat, da kassierte er mal eben eine mühsam gefundene Verabredung mit der Union zur Steuerpolitik ein. Nach wochenlangem Gezerre über ein Für und Wider von massiven Steuersenkungen hatten sich die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP Mitte Januar unter sechs Augen in die Hand versprochen, die Sache bis zur offiziellen Steuerschätzung Anfang Mai ruhen zu lassen. Das tiefere Kalkül bestand darin, die Wahlbevölkerung in Nordrhein-Westfalen nicht mit Spar-Ideen zu verunsichern. Am 9. Mai wird dort ein neuer Landtag bestimmt. Und die Liberalen dümpeln als Teil der schwarz-gelben Landesregierung in den Umfragen nur noch bei etwa sechs Prozent dahin. Deshalb nun ihre Offensive: Statt zu mauern, will man den Wählern reinen Wein einschenken und neben konkreten Entlastungen auch eine "Gegenfinanzierungsperspektive" nicht verschweigen. "Die Steuerschätzung im Mai ist überbewertet", begründete Lindner die neue Linie. Ein entsprechendes Konzept werde die FDP deshalb schon auf ihrem Bundesparteitag im April vorlegen. Darüber hinaus kündigte Lindner die Einsetzung einer Parteikommission zur Reform der Gemeindefinanzen an. Auch das dürfte nicht zuletzt auf die NRW-Wahl gemünzt sein - und gegen CDU-Regierungschef Jürgen Rüttgers. Der hatte seine Ablehnung von massiven Steuersenkungen in einem Interview mit dem Hinweis begründet, dass ihm das Wohl seiner Kommunen wichtiger sei als geringere fiskalische Belastungen, für die es in Wahrheit keinen Spielraum gebe. Auch bei der Gesundheitspolitik wollen die Liberalen offenbar einen Zahn zulegen. "Da gibt es kein Tempolimit", meinte Lindner, ohne jedoch näher auf Details einzugehen. Das Gesundheitswesen ist ebenfalls ein wunder Punkt in der Koalition. Die FDP peilt eine radikale Umstellung des Finanzierungssystems auf einkommensunabhängige Pauschalen an, derweil die Union allenfalls für zarte Korrekturen plädiert. Im Kern gehe es um einen "offenen Diskurs über die Konkretisierung des Koalitionsvertrages", erklärte Lindner. In der Union hält sich die Begeisterung darüber stark in Grenzen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe machte deutlich, dass die FDP in Sachen Steuern zwar vorlegen könne, was sie wolle. Für eine "abschließende Entscheidung" werde seine Partei aber trotzdem die Steuerschätzung am 6. Mai abwarten. Deutlicher wurde Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU): Über ein Steuerkonzept werde man erst im Juni gemeinsam entscheiden. Fazit: Die Gräben in der Koalition haben sich nach dem FDP-Krisentreffen vergrößert. "Ich habe eine Engelsgeduld. Aber die FDP kann auch anders." FDP-ChefGuido WesterwelleMeinung

Falsch verstanden

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter Ihren Liebesentzug beim Wahlvolk wollen die Liberalen jetzt durch ein höheres Reformtempo bekämpfen. Die Westerwelle-Partei muss da etwas falsch verstanden haben. Nicht die Vermittlung ihrer Politik ist das Problem, sondern die Politik selbst. Zu den stärksten Pfunden einer Partei gehören Seriosität und Vertrauenswürdigkeit. Doch damit ist es bei den Freidemokraten nicht weit her. Im Wahlkampf war es Guido Westerwelle noch meisterhaft gelungen, seine Liberalen als eine Bewegung für das ganze Volk zu positionieren. Gemessen an den aktuellen Umfragen hat die FDP ihr sensationelles Bundestagswahlergebnis inzwischen fast halbiert. Damit ist man ganz offensichtlich in den alten Zustand einer reinen Klientelpartei zurückgefallen. Den Absturz haben allerdings nicht irgendwelche finsteren Mächte zu verantworten, sondern die hausgemachte Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Nur ein paar Kostproben: In der Opposition wollte die FDP noch das Entwicklungshilfeministerium demonstrativ abschaffen. Nun ist dort einer der ihren Chef. Das große Heer der Staatssekretäre war den Oppositions-Liberalen ebenfalls immer ein Dorn im Auge. Als Regierungs-Liberale haben sie ihre Zahl sogar noch aufgestockt. Die einseitige Förderung von Erben und Hoteliers sorgte ebenfalls für Ernüchterung. Dass die Freidemokraten nun wie angekündigt mit einem Eilkonzept für grundlegende Steuersenkungen aufwarten wollen, ist wohl kaum ein Gewinn. Mit dem Vorstoß sorgt die FDP nur für neuen Zoff in der Koalition. Genau den gibt es aber schon jetzt zuhauf. Soll sich das Publikum dafür noch bei den Liberalen bedanken?

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