„Lemminge mit Sprengstoffwesten“

Washington · Die „Tea Party“-Fraktion der Republikaner legt derzeit die USA lahm. Furcht vor dem Zorn ihrer Wähler haben die Rechtspopulisten dabei nicht. Ganz im Gegenteil: Viele Menschen feiern sie sogar für ihre Blockade-Poli tik.

Marlin Stutzman (37) sieht keinen Grund, die Stilllegung der Regierung ("Government Shutdown") aufzugeben. Auch eine Staatspleite nimmt der "Tea Party"-Mann aus dem dritten Kongress-Bezirk im ländlichen Indiana locker in Kauf. Selbst wenn er ahnt, wie aussichtslos die Strategie ist, die verhasste Gesundheitsreform Barack Obamas auf diesem Weg rückgängig zu machen. "Obamacare" ist geltendes Recht. Jeder Änderung stünden die Demokraten im Senat und ein Veto Obamas im Weg.

Stutzman geht es ums Prinzip. Und um seine Wähler daheim im Mittleren Westen. Die Bevölkerung in seinem Bezirk ist weißer, älter, religiöser und weniger gebildet als der nationale Durchschnitt. Sie bekommen ihre Nachrichten von Fox, hören auf den konservativen Radio-Moderator Rush Limbaugh und lokale Prediger verschiedener Fundamentalisten-Kirchen.

Die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung wird im Nordosten Indianas nicht als Fortschritt, sondern gefährliche Einbahnstraße in den Sozialismus gesehen. Stutzman gilt hier nicht als Radikaler, sondern Repräsentant des Wählerwillens, 2012 mit Zweidrittel der Stimmen wiedergewählt.

Er sitzt so sicher im Sattel wie die meisten anderen der 80 "Tea Party"-Abgeordneten, die im August an den Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus, John Boehner, schrieben. "Weil die meisten Bürger, die wir repräsentieren, glauben, das Obamacare niemals in Kraft treten sollte, fordern wir sie auf, die Mittel für die Einführung und Durchsetzung von "Obamacare" zu stoppen," heißt es im Brandbrief.

"Sie leben in einem komplett alternativen Universum zum Rest des Landes", beschreibt David Wasserman vom Wahlforschungsinstitut "Cook Political Report" die Welt, aus der die "Tea Party"-Abgeordneten stammen. In den Hochburgen der "Tea Party" im Süden, Mittleren Westen sowie in den ländlichen Regionen des Rostgürtels und des Westens stimmten die Menschen bei Präsidentenwahl 2012 klar für Mitt Romney. An den bevölkerungsreichen Küsten der USA und in den Großstädten sieht es genau umgekehrt aus. Dort dominieren die Demokraten.

Gleichzeitig sind die Wahlkreise zum Repräsentantenhaus dank des sogenannten "Gerrymandering" sehr viel homogener geworden: Anhand sozio-ökonomischer Kenndaten wie Alter, Ethnie, Einkommen, Religion und Bildung werden Wahlkreisgrenzen so gezogen, dass Mehrheiten dauerhaft garantiert werden. Über die Jahre entstand so ein Flickenteppich aus Wahlbezirken, die zum Teil nicht einmal aus einer zusammenhängenden Landmasse bestehen. Die Republikaner haben das "Gerrymandering" in den Bundesstaaten sehr aggressiv betrieben. Laut "Cook Political Report" stammt heute jeder zweite Republikaner aus einem Bezirk, in dem im Schnitt zehn Prozent mehr Parteigänger registriert sind als Demokraten. Die eigentliche Auseinandersetzung findet dort nicht mehr zwischen Parteien sondern innerparteilich bei den Vorwahlen statt. Daraus ziehen die Rechtspopulisten ihre Stärke.

Traditionellere Konservative wie George W. Bushs ehemaliger Strippenzieher Karl Rove erkennen die Gefahren dieser Verzerrungen für die Aussichten auf eine Rückeroberung des Weißen Hauses oder des Senats. Sie rieten deshalb dringend vom eingeschlagenen Kurs ab. Der konservative Vordenker Charles Krauthammer nannte Stutzman und Co. sogar die "Kamikaze-Fraktion". Er hoffe, es fänden sich genügend moderate Republikaner, "um John Boehner zu einer Mehrheit zu verhelfen". Davon ist der Republikaner-Sprecher zu Beginn der zweiten Woche des Regierungsstillstands weit entfernt. "Das wird ein bisschen länger dauern", prophezeit "Tea Party"-Liebling Steve King aus dem ländlichen Iowa. Anders als bei der letzten Regierungsblockade 1995/96 verspüren die Drahtzieher diesmal wenig Druck von ihren Wählern. Wer sich regt, sind die 17 Republikaner, die Wahlkreise holten, die 2012 bei den Präsidentschaftswahlen an Obama gingen. Einer davon ist Devin Nunes aus Kalifornien, der die Totalverweigerer in der Fraktion als "Lemminge mit Sprengstoffwesten" bezeichnet. "Wir lassen uns nicht ignorieren", verspricht Rechtspopulist Stutzman hart zu bleiben. Wie die anderen "Tea Party"-Rebellen, die Haushalt und Staatsschulden benutzen, um eine Mehrheit im Kongress politisch zu "tyrannisieren". Nicht weniger als dies sei er seinen Wählern schuldig. In einem Interview mit dem "Washington Examiner" räumte der Abgeordnete aus Indiana ein, nicht zu wissen, wie sich diese Strategie von Erfolg krönen lasse. "Wir müssen irgendetwas aus alldem herausholen. Und ich weiß nicht einmal, was das sein könnte."

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