Lebenslanges Lernen als Fitnessprogramm

Was hat die Hamburger FDP-Politikerin Katja Suding (39) mit der saarländischen Sozialdemokratin Marianne Granz (72) gemein? Tolle Beine. Die von Suding wurden dieser Tage zum Aufrege-Thema in der "Tagesschau". Für Marianne Granz blieb es einst, 1990, bei einer Schrecksekunde, als sie ein Foto in der Saarbrücker Zeitung entdeckte, das sie beim Tanz zeigte. Der Schlitz im Kleid war nicht wirklich kompatibel mit ihrem Amt als Bildungsministerin, das sie gerade erst angetreten hatte. Das Privateste, was damals über Granz medial kursierte, war ihr Titel "Miss Landtag" und der Kosename, mit dem ihr Chef, Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD ), sie zu sich zu bitten pflegte: "Mariandl". Weitgehend ausgespart wurde einst das Privatleben: Scheidung (1972), der Alltag als Alleinerziehende, die Leidenschaft für Asien-Fernreisen, der neun Jahre jüngere Partner, heute ist er ihr Ehemann. Verborgen blieb der Öffentlichkeit auch, dass Granz bereits 1977 ein Coaching-Fernstudium in der Schweiz aufnahm. Denn: "Die Partei ist eine launische Dame, kein höflicher Herr." Diese frühe Erkenntnis zitiert Granz beim Interview in ihrem Saarbrücker Haus. Bis vor zwei Jahren war das der Sitz für ihre Ein-Frau-Firma "Cokon" (Coaching und Konfliktberatung). Vor 20 Jahren erwarb sie das mächtige Gebäude in toskanischem Baustil, innen herrscht nostalgische Gemütlichkeit, fast Wohngemeinschafts-Flair. Es gibt viele steile Treppen. Passend für eine Altersunerschrockene, die Immernoch- und Ewig-Sportliche? Von wegen. Eine Hüftoperation zwang Granz dazu, Tennis und Skifahren - jahrzehntelange Passionen - aufzugeben. Die rotbraune Mähne von einst ist weiß, der Friseur riet zu blond. Na und? Ihr Lächeln wirkt noch so, wie man es in Erinnerung hat: gewinnend, mädchenhaft. Heute sei ihr das Sich-Wohlfühlen wichtiger als das reine gute Aussehen, sagt sie: "Ich hatte keine Alterskrise". Andererseits will sie ihr Alter nur ungern in der Zeitung lesen: "Ich weiß nicht, welcher Teil meiner Eitelkeit damit berührt wird." Stolz ist sie freilich darauf, dass sie in den vergangenen zwei Jahren 15 Kilo "Matronenspeck" abgelegt hat. Ein bisschen Weisheit kam wohl auch mit dem Alter. Sie fühlt sich befreit von "ideologischen Scheuklappen". Sie spricht von der "sehr hoch geschätzten Annegret Kramp-Karrenbauer" und von besten Beziehungen zu anderen CDUlern: zu Doris Pack , Peter Jacoby , Stephan Toscani . Und wie steht's mit dem einstigen Vertrauten Lafontaine? "Ich habe mich nie ganz mit ihm ausgesöhnt", sagt sie. Und nennt als Grund überraschenderweise nicht ihre ruppige Abberufung 1996 nach nur zwei Jahren als Ministerin. Sondern Lafontaines Fahnenflucht 1999 aus dem Gerhard-Schröder-Kabinett. Wie blickt sie selbst auf ihre politische Karriere? "Man hat immer nur Erfolg auf Zeit", sagt sie und nennt die flächendeckende Einführung der Gesamtschule als Erfolg. In der Bildungspolitik fühlte sich die ehemalige Gymnasiallehrerin pudelwohl und sattelfest. Doch als Ministerin für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales kam es zu einem Spießrutenlauf zwischen Pannen, Pech und Patzern. Heute sagt sie: "Dieses Bauchladen-Ressort war nicht mein Ding." Über seinen Abberufungs-Beschluss habe Lafontaine sie nicht persönlich informiert, sagt sie. Noch einen Tag vor der Kabinettsumbildung sei sie als fröhliche Ahnungslose auf einem Empfang aufgetaucht - sie schildert das wie eine Humoreske. Die kritische Distanz zur Politsphäre ist aber beachtlich. Schon zu ihrer Ministerinnen-Zeit, sagt Granz, sei sie Geisel eines "wohl geplanten" Tagesablaufs "sich überstürzender Ereignisse" gewesen. "Gefährlich" nennt sie das. Wenn Minister täglich fünf bis sieben Reden halten müssten, schaffe das niemand mit solider Vorbereitung und schon gar nicht mit nachfolgender Reflexion. Heute sind "Innehalten" und "Nachdenken" die von ihr am häufigsten gebrauchten Vokabeln. Trotzdem will sie sich einen "strengeren Tagesrhythmus" verordnen. Sie lebt das Klischee der Rentnerin, die nie Zeit hat. Obwohl sie seit zehn Jahren aller Parteiämter ledig ist und auch das Coachen aufgegeben hat. Ihre freiwilligen Aktivitäten seien eben allesamt zeitraubend, sagt sie. Aber auch Freizeit-Aktivitäten wie Paartanz-Training und Golf-Spiel. Zudem besucht Granz regelmäßig ihre 95-jährige Mutter in Berlin. Als Vize-Präsidentin des Fördervereins Myanmar reist sie mindestens einmal im Jahr dorthin, etwa um Schul-Bauvorhaben zu betreuen. Und beim großregionalen Senioren-Netzwerk "Europ'Age", das sich für ein neues Altersbild einsetzt, organisiert sie als Präsidentin intergenerationelle Begegnungen. Woher rührt die Motivation für all das? Erlebnisoffenheit und Neugier, aber wohl auch eine ausgeprägte pädagogische Ader: "Ich möchte etwas weitergeben. Es macht mir Spaß, Menschen in ihrer Entwicklung zu fördern." Granz spricht fließend Französisch und Englisch. Als Politikerin habe sie wegen der saarländisch-georgischen Freundschaft Georgisch gelernt. Da wird sie doch heute das bisschen Burmesisch stemmen? Es steht als erster Punkt auf ihrer To-do-Liste.

 Marianne Granz (SPD, Ministerin a. D.) in ihrem Saarbrücker Haus. Sie engagiert sich ehrenamtlich für soziale Projekte. Foto: Iris Maurer

Marianne Granz (SPD, Ministerin a. D.) in ihrem Saarbrücker Haus. Sie engagiert sich ehrenamtlich für soziale Projekte. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Was hat die Hamburger FDP-Politikerin Katja Suding (39) mit der saarländischen Sozialdemokratin Marianne Granz (72) gemein? Tolle Beine. Die von Suding wurden dieser Tage zum Aufrege-Thema in der "Tagesschau". Für Marianne Granz blieb es einst, 1990, bei einer Schrecksekunde, als sie ein Foto in der Saarbrücker Zeitung entdeckte, das sie beim Tanz zeigte. Der Schlitz im Kleid war nicht wirklich kompatibel mit ihrem Amt als Bildungsministerin, das sie gerade erst angetreten hatte. Das Privateste, was damals über Granz medial kursierte, war ihr Titel "Miss Landtag" und der Kosename, mit dem ihr Chef, Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD ), sie zu sich zu bitten pflegte: "Mariandl".

Weitgehend ausgespart wurde einst das Privatleben: Scheidung (1972), der Alltag als Alleinerziehende, die Leidenschaft für Asien-Fernreisen, der neun Jahre jüngere Partner, heute ist er ihr Ehemann. Verborgen blieb der Öffentlichkeit auch, dass Granz bereits 1977 ein Coaching-Fernstudium in der Schweiz aufnahm. Denn: "Die Partei ist eine launische Dame, kein höflicher Herr." Diese frühe Erkenntnis zitiert Granz beim Interview in ihrem Saarbrücker Haus. Bis vor zwei Jahren war das der Sitz für ihre Ein-Frau-Firma "Cokon" (Coaching und Konfliktberatung).

Vor 20 Jahren erwarb sie das mächtige Gebäude in toskanischem Baustil, innen herrscht nostalgische Gemütlichkeit, fast Wohngemeinschafts-Flair. Es gibt viele steile Treppen. Passend für eine Altersunerschrockene, die Immernoch- und Ewig-Sportliche? Von wegen. Eine Hüftoperation zwang Granz dazu, Tennis und Skifahren - jahrzehntelange Passionen - aufzugeben. Die rotbraune Mähne von einst ist weiß, der Friseur riet zu blond. Na und? Ihr Lächeln wirkt noch so, wie man es in Erinnerung hat: gewinnend, mädchenhaft. Heute sei ihr das Sich-Wohlfühlen wichtiger als das reine gute Aussehen, sagt sie: "Ich hatte keine Alterskrise". Andererseits will sie ihr Alter nur ungern in der Zeitung lesen: "Ich weiß nicht, welcher Teil meiner Eitelkeit damit berührt wird." Stolz ist sie freilich darauf, dass sie in den vergangenen zwei Jahren 15 Kilo "Matronenspeck" abgelegt hat.

Ein bisschen Weisheit kam wohl auch mit dem Alter. Sie fühlt sich befreit von "ideologischen Scheuklappen". Sie spricht von der "sehr hoch geschätzten Annegret Kramp-Karrenbauer" und von besten Beziehungen zu anderen CDUlern: zu Doris Pack , Peter Jacoby , Stephan Toscani . Und wie steht's mit dem einstigen Vertrauten Lafontaine? "Ich habe mich nie ganz mit ihm ausgesöhnt", sagt sie. Und nennt als Grund überraschenderweise nicht ihre ruppige Abberufung 1996 nach nur zwei Jahren als Ministerin. Sondern Lafontaines Fahnenflucht 1999 aus dem Gerhard-Schröder-Kabinett.

Wie blickt sie selbst auf ihre politische Karriere? "Man hat immer nur Erfolg auf Zeit", sagt sie und nennt die flächendeckende Einführung der Gesamtschule als Erfolg. In der Bildungspolitik fühlte sich die ehemalige Gymnasiallehrerin pudelwohl und sattelfest. Doch als Ministerin für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales kam es zu einem Spießrutenlauf zwischen Pannen, Pech und Patzern. Heute sagt sie: "Dieses Bauchladen-Ressort war nicht mein Ding."

Über seinen Abberufungs-Beschluss habe Lafontaine sie nicht persönlich informiert, sagt sie. Noch einen Tag vor der Kabinettsumbildung sei sie als fröhliche Ahnungslose auf einem Empfang aufgetaucht - sie schildert das wie eine Humoreske. Die kritische Distanz zur Politsphäre ist aber beachtlich. Schon zu ihrer Ministerinnen-Zeit, sagt Granz, sei sie Geisel eines "wohl geplanten" Tagesablaufs "sich überstürzender Ereignisse" gewesen. "Gefährlich" nennt sie das. Wenn Minister täglich fünf bis sieben Reden halten müssten, schaffe das niemand mit solider Vorbereitung und schon gar nicht mit nachfolgender Reflexion. Heute sind "Innehalten" und "Nachdenken" die von ihr am häufigsten gebrauchten Vokabeln. Trotzdem will sie sich einen "strengeren Tagesrhythmus" verordnen. Sie lebt das Klischee der Rentnerin, die nie Zeit hat. Obwohl sie seit zehn Jahren aller Parteiämter ledig ist und auch das Coachen aufgegeben hat. Ihre freiwilligen Aktivitäten seien eben allesamt zeitraubend, sagt sie. Aber auch Freizeit-Aktivitäten wie Paartanz-Training und Golf-Spiel. Zudem besucht Granz regelmäßig ihre 95-jährige Mutter in Berlin. Als Vize-Präsidentin des Fördervereins Myanmar reist sie mindestens einmal im Jahr dorthin, etwa um Schul-Bauvorhaben zu betreuen. Und beim großregionalen Senioren-Netzwerk "Europ'Age", das sich für ein neues Altersbild einsetzt, organisiert sie als Präsidentin intergenerationelle Begegnungen.

Woher rührt die Motivation für all das? Erlebnisoffenheit und Neugier, aber wohl auch eine ausgeprägte pädagogische Ader: "Ich möchte etwas weitergeben. Es macht mir Spaß, Menschen in ihrer Entwicklung zu fördern." Granz spricht fließend Französisch und Englisch. Als Politikerin habe sie wegen der saarländisch-georgischen Freundschaft Georgisch gelernt. Da wird sie doch heute das bisschen Burmesisch stemmen? Es steht als erster Punkt auf ihrer To-do-Liste.

 Die Landtagsabgeordnete Marianne Granz mit SPD-Chef Oskar Lafontaine und dem Fraktionsvorsitzenden Friedel Läpple. Das Verhältnis blieb gespalten. Foto: Schmidt

Die Landtagsabgeordnete Marianne Granz mit SPD-Chef Oskar Lafontaine und dem Fraktionsvorsitzenden Friedel Läpple. Das Verhältnis blieb gespalten. Foto: Schmidt

Foto: Schmidt

Zum Thema:

Auf einen BlickMarianne Granz engagiert sich ehrenamtlich für zwei Vereine. Als Präsidentin für den Verein Europ'Age - Älterwerden in Saar-Lor-Lux und als Vizepräsidentin für den Förderverein Myanmar , der sich schwerpunktmäßig für fortschrittliche Lehrerausbildung und Schulbildung einsetzt. Infos: Europ'Age Saar-Lor-Lux e.V. (Altes Rathaus am Schloßplatz, 66119 Saarbrücken; Tel.: (0681) 506 4315; eMail: info@europ-age.eu.). Förderverein Myanmar e.V. (Europa Allee 22, 66113 Saarbrücken, Tel. (0681) 9592288; info@help-myanmar.net). ce

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