Leben wie Gott an der Grenze

Selten war die Stimmung in Frankreich so schlecht wie in diesen Tagen und Wochen. Die Wirtschaft schwächelt, Präsident François Hollande ist so unbeliebt wie keiner seiner Vorgänger.

 Einen Schwenk über die Grenze weiß man im Saarland zu schätzen. Bild: Robert Zimmermann

Einen Schwenk über die Grenze weiß man im Saarland zu schätzen. Bild: Robert Zimmermann

Trotzdem schätzen und lieben viele Saarländer das außergewöhnliche Nachbarland. Denn das Leben an der Grenze hat etliche unschlagbare und einmalige Vorteile.

Frankreich an sich

Das Land Frankreich selbst ist ein großer Vorteil! Da Deutschland leider keine Grenze zu Italien hat, ist Frankreich eben einfach das schönste Land, an das Deutschland grenzt. Mit ein bisschen Fantasie liegen das Mittelmeer, die Bretange und die Stadt der Liebe direkt vor der Haustür.

Paris, unvergesslich

Die Stadt der Liebe hat zwar nicht direkt mit der saarländischen Grenze zu tun, ist aber mit der Bahn von Saarbrücken aus schneller erreichbar als Frankfurt. Von keiner anderen Stadt in Deutschland gelangt man so schnell ins Herz von Paris wie von Saarbrücken. Da lohnt sich sogar ein Tagesausflug. Wer um acht Uhr in den Zug steigt, kann schon um kurz nach zehn Uhr einen Kaffee im Marais trinken.

Lothringen und ElsassOstfrankreich, also Elsass und Lothringen, hat wie das Saarland eine bewegte Geschichte und wird von den eigenen Landsleuten häufig belächelt. Das Wissen über die Außenseiterstellung im eigenen Land bringt Verständnis für den anderen, eine gute Nachbarschaft und im Saarland viele Pendler mit französischem Akzent. Allerdings könnte auf offizieller Ebene zwischen Behörden, Verwaltungen und Institutionen die Kommunikation verbessert werden.

Département Moselle

Im Département Moselle haben viele saarländische Orte ihre Partner-Gemeinde. Der Austausch, besonders unter Schülern und Vereinen, kann durch die kurzen Wege intensiv gepflegt werden. Hier, in diesem Département mit der Nummer 57, ist Europa ohne nationale Grenzen. Viele Saarländer haben sich Häuser gebaut, und tausende Franzosen pendeln aus diesem Verwaltungsbezirk zur Arbeit nach Deutschland.

Metz, oft unterschätztDie lothringische Hauptstadt hat einen sehr schönen Stadtkern mit Parkanlagen und hervorragenden Restaurants. Lange Zeit war der berühmte Dichter Paul Verlaine das kulturelle Aushängeschild von Metz. Seit der Eröffnung der Außenstelle des Centre Pompidou im Jahr 2010 hat Metz ein wunderschönes Museum, das weit über die Landesgrenze für Furore sorgt (siehe Kultur) und auch ein bisschen auf das Saarland strahlt.

Ein Gläschen CrémantWährend im Rest der Bundesrepublik meist mit einfachem Sekt angestoßen wird, gibt es im Saarland kaum eine Veranstaltung ohne den köstlichen Schaumwein aus dem Elsass, der in allen grenznahen Supermärkten in Frankreich günstig angeboten wird. Ähnlich gut versorgt sind in Deutschland nur noch die Münchner. Sie trinken gerne Prosecco aus Italien, müssen allerdings auch wesentlich mehr dafür bezahlen.

Französischer WeinNeben den vielen guten Weinhändlern im Saarland haben die Grenzbewohner mehrmals im Jahr die Möglichkeit auf den Weinmessen der Supermärkte etliche Weine zu probieren und günstig zu erwerben. Das Angebot "zwei Kisten kaufen, eine Kiste geschenkt" wird von vielen intensiv genutzt. Oftmals erkennt man den Menschen hinter den hochbeladenen Einkaufswagen nicht mehr. Und wenn man ihn dann doch sieht, sagt er meistens: "Ei samo, bisschde a nommo do?"

Frischer FischSelbst kleine französische Supermärkte haben eine Theke mit frischem Fisch und Meeresfrüchten. Die Auswahl übertrifft dabei meist das Angebot von Feinkostläden auf unserer Seite der Grenze, vom Preis ganz zu schweigen.

Käse, c'est si bon!"Es ist schwer, ein Volk zu regieren, das 246 Sorten Käse hat." Das hat der ehemalige französische Präsident Charles de Gaulle gesagt. Den Saarländern dürfte dieses Problem relativ egal sein, sie sind froh, dass sie, genau wie beim Fisch, schon in einem kleinen Supermarché eine riesige Käseauswahl haben und auf die Mehrzahl der mindestens 246 Sorten zugreifen können.

Backwaren à la bonheurBaguette oder Flûtes backt keiner so gut wie die Franzosen, ist ja auch ihre Erfindung. Es gibt zwar keinen gesetzlich vorgeschriebenen Baguette-Preis mehr, trotzdem ist das Flûtes in Frankreich meist günstig und kostet noch keinen Euro. An Sonntagen verkaufen es viele Bäcker aus mobilen Verkaufsständen auf der Grenze. Hier gibt es dann auch die reichhaltigen Croissants, die natürlich auch keiner besser zubereitet als die Erfinder, und die einem ein Urlaubsgefühl auf den Frühstückstisch zaubern.

DosenpfandNeben vielen Köstlichkeiten gibt es in den französischen Supermärkten mehrere weitere "Grund"-Lebensmittel, die viele Saarländer gerne kaufen. Dazu gehören unter anderem Wasser und Dosenbier - diese Produkte werden seit einigen Jahren gerne bei Cora & Co gekauft, weil sie ohne Pfand angeboten werden. Dass es beim Umweltschutz eine unterschiedliche Grundeinstellung gibt, sei an dieser Stelle mal vernachlässigt.

Schönes für alle LebenslagenDas Brautkleid muss nicht unbedingt aus Paris kommen. Saarländische Bräute pilgern mit Mutter, Schwester und Freundin über die Grenze, denn Auswahl und Preise von Brautkleidern sind dort attraktiv. Auch für die Vielfalt an Babyausstattung ist bei den Nachbarn gesorgt - hat die französische Frau doch durchschnittlich 2,01 Kinder und schlägt damit alle europäischen Länder. Dabei ist die Anti-Baby-Pille dort billiger als in Deutschland - die Saarländerinnen fahren auch aus diesem Grund auf die andere Seite der Grenze.

Tanken und Tabak Es gibt einige Produkte, die mal in Deutschland, mal in Frankreich billiger sind. Bei Zigaretten und Benzin wechselt der günstigere Ort immer wieder hin und her. Die Menschen auf der Grenze profitieren davon. Schließlich ist es egal, ob sie hüben oder drüben tanken und Rauchwaren kaufen. Wer ganz sicher den allerbesten Preis für diese Artikel will, überquert jedoch eine andere Grenze in der Region.

Allez, Allez! Da weder Kaiserslautern noch Saarbrücken zurzeit eine Rolle im europäischen Fußball spielen, müssen die Fans von internationalem Fußball ein wenig reisen. Zum Beispiel nach Metz oder Nancy. Hier wird zwar auch nicht in der Champions League gekickt und auch nicht immer erstklassig, dafür aber auf jeden Fall international.

Le Tour de FranceRadfahren ist nicht die sauberste Sportart, aber doch immer wieder ein Erlebnis. Das wichtigste Radrennen der Welt schaut fast jedes Jahr im Grenzgebiet vorbei und kann hautnah erlebt werden.

Essen wie Gott in . . .Neben den verschiedenen hervorragenden Einkaufsmöglichkeiten sind es die vielen guten Restaurants, die das Feinschmecker-Leben an der Grenze beeinflussen und lebenswert machen. Eine Auflistung würde den Rahmen sprengen, aber viele Saarländer haben einen Geheimtipp auf der anderen Seite der Grenze. Der Einfluss der französischen Küche wirkt sich zudem positiv auf die Gastronomie im Saarland aus. Von kleinen Restaurants bis hin zu den Sterneköchen spiegelt sich der französische Einfluss auf der Speisekarte und in der Einstellung der Köche wider. Zum Thema "foie gras" und "cuisses de grenouille": Politisch korrektes Essen wird in Deutschland immer wichtiger. Fans von Froschschenkeln, Gänsestopfleber und Schnecken haben es da oft schwer. An der Grenze ist das jedoch anders. Auf beiden Seiten finden sich diese verpönten Gerichte auf den Speisekarten. Nur Vegetarier haben es in der Grenzregion ein bisschen schwer, aber auch sie wissen: Guten Käse gibt es auf jeder Speisekarte.

Le Carreau, ForbachAn der Kultur wird gespart, da ist es von Vorteil, wenn man auf die kulturellen Ereignisse von mehreren Ländern zugreifen kann. Ein Aushängeschild in der Region ist das Forbacher Carreau. Hierher verlaufen sich immer wieder Produktionen, die sich nicht nur für international bedeutend halten, sondern es auch sind.

Centre Pompidou, MetzWie man ein Museum baut und wie man ein Museum nicht baut, kann man nirgends besser studieren als an der saarländisch-lothringischen Grenze. Während das Negativ-Beispiel in der saarländischen Landeshauptstadt nicht der Rede wert ist, überzeugt die 2010 in Metz eröffnete Dépendance des Pariser Centre Pompidou immer wieder mit außergewöhnlichen Ausstellungen.

"perspectives"An verschiedenen Stellen beweist die saarländische Landeshauptstadt ihre Frankreich-Kompetenz. Ein exzellentes Beispiel sind die "perspectives" - das deutsch-französische Festival der Bühnenkunst. Seit vielen Jahren kommen herrausragende Produktionen zum Festival nach Saarbrücken.

Cinéma et médiasWer gerne französische Filme sieht, hat in Frankreich die besten Chancen. Ach, echt? Ja, dort laufen sie im Original und ohne Untertitel. Aber auch James- Bond-Fans, die es kaum erwarten können, den neuesten Streifen endlich zu sehen, haben an der Grenze einen Vorteil. In Frankreich starten die Filme oft früher als in Deutschland. Auch Fernsehen und Radio bieten eine Bereicherung. Zumindest für die Frankreichfans.

Live in AmnévilleUm die saarländische Landeshauptstadt machen viele Stars einen Bogen, warum auch immer. Trotzdem stehen sie in der Region oft live auf der Bühne. Entweder in Luxemburg oder eben in Amnéville.

Je ne parle pas . . .Wer an der Grenze wohnt, spricht natürlich perfekt die Sprache des Nachbarn, zumindest denken das alle anderen und sprechen vielen eine Kompetenz zu, die sie gar nicht haben. Die Franzosen denken übrigens auch, dass alle an der Grenze französisch sprechen, vergessen allerdings, dass sie ebenfalls an der Grenze wohnen und die Sprache des Anderen sprechen könnten. Natürlich können die Leute auf der Grenze nicht immer die Sprache des Nachbarn, aber man versteht sich, wenn man es will.

Sur la route

Um es positiv zu formulieren: Durch die Fahrweise der Franzosen werden schon Fahranfänger auf saarländischen Straßen direkt an internationales Niveau gewöhnt. Dadurch kann man später im Großstadtverkehr von Paris wesentlich unerschrockener navigieren.

Die Stadt/la ville

Durch die vielen französischen Besucher in den saarländischen Innenstädten bekommen die Einkaufsstraßen ein internationales Flair. Die Jugend präsentiert zwar leider nur selten den neuesten Pariser Chic, dafür aber um so häufiger die neuesten Jogginghosen-Trends. Aber auch diese scheinen manchen Saarländer zu inspirien.

Ein Leben ohne FeiertageDas Leben in der Region wird nur selten durch Feiertage gehemmt. Bei Feiertagen in Frankreich werden die Supermärkte in Deutschland gestürmt und bei Feiertagen im Saarland werden die französischen Supermärkte leergekauft. An solchen Tagen hört man auch in der Metzer Innenstadt häufig den ausführlichen saarländischen Dialog: "Unn? Gudd!"

Nix geschafft hann mir . . . Falls es im Saarland doch mal ein Wochenende ohne kleineres oder größeres Fest gibt, dann wird ganz sicher auf der anderen Seite in irgendeinem Örtchen gefeiert. Mal stehen die Mirabellen im Mittelpunkt, mal ein anderer Schnaps . . .

Dein Star, mein StarDie Franzosen glauben zwar, dass Patricia Kaas Französin ist, aber sie irren. Jeder in Saarbrücken weiß, dass sie ihre Karriere quasi in Saarbrücken gestartet hat und schon als Teenager in den Jazzkellern der Landeshauptstadt aufgetreten ist. Also ist sie quasi Saarländerin.

Man lernt nicht für die Schule Das Angebot ist da, man muss es nur nutzen. Ob französische Erzieherin im Kindergarten, Französisch-Stunden in der Grundschule, Deutsch-Französisches Gymnasium oder grenzüberschreitende Studiengängen: Für praktisch jedes Alter gibt es an der Grenze ein bilinguales Angebot.

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