Landarzt verzweifelt gesucht"Der Arztberuf ist heute für viele offensichtlich unattraktiv"

Berlin. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP, Foto: dpa) will den Ärztemangel in Deutschland unter anderem mit einer "Landarztquote" bekämpfen. Doch mangelt es wirklich an Ärzten? Die Statistik scheint dagegen zu sprechen. In den öffentlichen Kliniken zum Beispiel liegt die Zahl der Mediziner seit 2005 nahezu unverändert bei etwa 70 000

Berlin. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP, Foto: dpa) will den Ärztemangel in Deutschland unter anderem mit einer "Landarztquote" bekämpfen. Doch mangelt es wirklich an Ärzten? Die Statistik scheint dagegen zu sprechen. In den öffentlichen Kliniken zum Beispiel liegt die Zahl der Mediziner seit 2005 nahezu unverändert bei etwa 70 000. Die Zahl der niedergelassenen Kassenärzte ist in den letzten Jahren sogar kontinuierlich gestiegen. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gab es im Jahr 2008 rund 120 500 Praxisärzte. Das waren 6000 mehr als im Jahr 2000.

Die Statistik verrät allerdings auch ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen den Ärztegruppen. Während etwa die Zahl der Pathologen steigt, haben immer mehr Hausarztpraxen Nachwuchsprobleme. Vor zehn Jahren gab es in Deutschland noch knapp 60 000 Allgemeinmediziner. Gegenwärtig sind es etwa 58 000. Dabei geht der Schwund praktisch komplett zu Lasten des ländlichen Raums. Und er ist nicht nur ein Ost-Problem. So waren im Jahr 2007 allein in Niedersachsen 195 Hausarztstellen unbesetzt. In Mecklenburg-Vorpommern fehlten damals "nur" 30 Allgemeinmediziner.

Hinzu kommt der demografische Faktor: Ebenso wie in anderen Berufsgruppen ist das Durchschnittsalter der Ärzteschaft spürbar gestiegen. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre war etwa jeder vierte Mediziner jünger als 35 Jahre. Heute ist es noch jeder sechste Arzt. Im Schnitt ist ein niedergelassener Mediziner 51 Jahre alt. Vor 15 Jahren lag das Durchschnittsalter bei 47. Derweil stagniert die Zahl der Medizinstudenten schon seit geraumer Zeit.

"Wenn wir jetzt nicht handeln, wird das Problem dramatisch schon in den nächsten zehn Jahren", warnte Gesundheitsminister Rösler. Seine Pläne sehen die Abschaffung des Numerus Clausus bei der Studienplatzvergabe und eine Aufwertung der Auswahlgespräche in den Universitäten vor. Schon jetzt können die Universitäten 60 Prozent ihrer Medizinstudenten selbst auswählen, wobei allerdings auch hier der Notendurchschnitt eine große Rolle spielt.

Darüber hinaus will der FDP-Politiker den Zugang zum Mediziner-Beruf auch über eine Art Landarztquote erleichtern. Schon heute gibt es ein Anreizsystem, um Studienabgänger in dünn besiedelte Regionen zu locken. Durch ein Zusammenspiel von Kommunen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen können junge Mediziner zum Beispiel besonders preiswert Räume mieten. Zugleich erhalten sie bestimmte Einnahmegarantien. Und für eine ausreichende Anzahl an Patienten ist ebenfalls gesorgt. Doch bei der individuellen Entscheidung geht es offenbar nicht nur um Geld. Deshalb verspricht Rösler: Wer sich von vornherein verpflichtet, als Arzt aufs Land zu gehen, der soll schneller einen Studienplatz bekommen. Schließlich übersteigt die Zahl der Bewerber die der Plätze um ein Mehrfaches.

Für sein Modell orientiert sich Rösler offenbar an der Bundeswehr, der er selbst als Arzt diente. Für die potenziellen Mediziner bei der Truppe sind laut Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) 1,8 Prozent der Studienplätze reserviert.

Eine entsprechende "Vorabquote" auch für Landärzte ist allerdings noch offen. Rösler könnte sie auch nicht einfach per Bundesgesetz bestimmen. Denn Hochschulpolitik ist grundsätzlich Ländersache. Der Bundesminister muss sich also mit seinen Amtskollegen in der Provinz zusammensetzen. Die Unterstützung der CDU-Bundestagsfraktion ist ihm dabei offenbar gewiss. "Wir begrüßen die Vorschläge und sollten uns in der Koalition noch vor der Sommerpause auf Eckpunkte einigen", sagte der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn. Dagegen äußerte sich die CSU skeptisch. Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) begrüßte Röslers Vorschläge zwar grundsätzlich, meinte jedoch: "Zentralistisch können wir das Problem schwer lösen. Auf dem Reißbrett ist vieles richtig - in der Realität ist es oftmals schwieriger", sagte er der "Tageszeitung".

Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Carl-Heinz Müller, sagte, Röslers Pläne allein reichten "nicht aus, um das Problem des Hausärztemangels zu lösen". Uneingechränkte Unterstützung fand der Vorschlag einer Landarztquote dagegen bei den Tierärzten. "Wir wünschen uns, dass die für uns Tierärzte zuständige Bundesministerin Ilse Aigner schnell ähnliche Maßnahmen ergreift, um den sich abzeichnenden Mangel an Nutztierärzten abzuwenden", sagte der Verbandspräsident Hans-Joachim Götz.Herr Mischo, Minister Rösler macht offenbar Ernst im Kampf gegen den Ärztemangel. Oder wie bewerten Sie seine Ideen?

Mischo: Grundsätzlich gefällt mir, dass jemand überhaupt anfängt, Vorschläge zu machen. Der Minister ist jedenfalls sehr engagiert. Vielleicht führt ja auch die gemeinsame Diskussion dazu, dass man in dieser Problematik vorankommt.

Was halten Sie von dem Vorschlag, den Numerus Clausus abzuschaffen und stärker auf Auswahlgespräche zu setzen?

Mischo: Mag sein, dass ein gutes Auswahlgespräch neue Möglichkeiten schafft. Aber natürlich würde auch der Verwaltungsaufwand größer, solche Gespräche stellen an die Universitäten erhebliche Anforderungen. Ihr Nutzen hängt sehr davon ab, wie viel Mühe man sich gibt. Insgesamt gilt es die Rate der Studenten, die später tatsächlich am Patienten arbeiten, zu erhöhen. Etliche brechen ihr Studium ab, andere gehen in die Industrie oder ins Ausland. Der Arztberuf ist heute für viele offensichtlich unattraktiv - etwa wegen der gestiegenen Bürokratisierung.

Rösler will auch eine "Landarztquote" einführen. Eine gute Idee?

Mischo: Ich bin skeptisch, dass ein Abiturient schon so tief in der Materie drin ist, dass er sagen kann: Ich ziehe das durch bis zum Landarzt. Er muss das ja praktisch zehn Jahre vorher festlegen, ohne dass er die Möglichkeit hatte, Erfahrungen zu sammeln. Wahrscheinlich wird der ein oder andere feststellen, dass er für ein anderes Fach doch besser geeignet ist.

Kritiker sagen, bei diesem Modell würden Anfänger auf die ländliche Bevölkerung losgelassen.

Mischo: Es gab ja früher den "Barfußarzt", der kurz nach dem Examen auf dem Land praktizierte. Das ist sicher keine gute Idee, wir brauchen eine solide Ausbildung. Und im Saarland sind wir gerade dabei, die Weiterbildung für Allgemeinmedizin zu systematisieren. Wir wollen Weiterbildungsverbünde etablieren, die dem Nachwuchs mehr Sicherheiten bieten und die ganze Sache einfacher und interessanter machen. "Wenn wir jetzt nicht handeln, wird das Problem schon in den nächsten zehn Jahren dramatisch."

Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP)

Meinung

Immerhin ein Anfang

Von SZ-Korrespondent

Stefan Vetter

Philipp Rösler scheint es wirklich Ernst zu sein, das deutsche Gesundheitswesen zu verändern. Gerade beim Thema Ärztemangel hat er den Finger in die Wunde gelegt. Eine Verpflichtung, sich für eine gewisse Zeit als Arzt auf dem Lande niederzulassen und dafür im Gegenzug bei der Studienvergabe bevorzugt zu werden, verspricht womöglich mehr Erfolg als der Versuch seiner Amtsvorgängerin Ulla Schmidt, das Problem durch gesetzliche Maßnahmen zu beheben. Allerdings birgt Röslers Plan viele offene Fragen. Kann der Staat überhaupt eine solche Verpflichtung vorschreiben? Wenn ja, welche Sanktionen drohen, wenn der Betroffene ihr nicht nachkommt? Obendrein ist die Mehrheit der Medizinstudenten inzwischen weiblich. Das hat Konsequenzen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Erst wenn Rösler den ländlichen Ärztemangel in seiner Vielschichtigkeit aufgreift, kann daraus ein Erfolg werden. Aber immerhin: Ein Anfang ist gemacht.

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