Land ohne Lachen

Taxifahrer Constantinou hat am Athener Flughafen fünf Stunden auf eine Fuhre gewartet. Jetzt breitet er sofort sein ganzes Gefühlschaos aus, als er hört, dass der Fahrgast Deutscher ist. Dass früher, als es die Drachme noch gab, alles besser war, sagt er, und dass der Euro nicht zu den Griechen passt. Wir wollen leben, meint er, "go slowly", wir sind nicht wie die Deutschen

 Jung, frech, manchmal arrogant: Alexis Tsipras, Chef der linksradikalen Partei Syriza, ist derzeit der Star der griechischen Politik. Hier lässt er sich in Athen feiern. Europa zittert vor Tsipras: Er will die Schulden nicht zurückzahlen und die Sparvorgaben nicht umsetzen. Foto: dpa/PANAGIOTOU

Jung, frech, manchmal arrogant: Alexis Tsipras, Chef der linksradikalen Partei Syriza, ist derzeit der Star der griechischen Politik. Hier lässt er sich in Athen feiern. Europa zittert vor Tsipras: Er will die Schulden nicht zurückzahlen und die Sparvorgaben nicht umsetzen. Foto: dpa/PANAGIOTOU

Taxifahrer Constantinou hat am Athener Flughafen fünf Stunden auf eine Fuhre gewartet. Jetzt breitet er sofort sein ganzes Gefühlschaos aus, als er hört, dass der Fahrgast Deutscher ist. Dass früher, als es die Drachme noch gab, alles besser war, sagt er, und dass der Euro nicht zu den Griechen passt. Wir wollen leben, meint er, "go slowly", wir sind nicht wie die Deutschen. Oh, die Deutschen, das sind "good people", radebrecht er, die haben mit ihren Transfers vom Flughafen zu den Fährschiffen viele Jahre lang den Mann und seine Familie ernährt. 62 ist er jetzt. Aber nun bleiben die Touristen aus, niemand fährt mehr Taxi. Nur Angela Merkel, die ist "no good", das hat er an ihren Augen gesehen. Ein Schwall von Empörung ergießt sich, beide Hände arbeiten, zeitweilig hält nur noch Gottvertrauen das Steuer.Constantinou wird am Sonntag die linkssozialistische Syriza-Partei von Alexis Tsipras wählen, der die Schulden nicht zurückzahlen und die EU-Sparvorgaben nicht umsetzen will. Dass das Land dann sofort pleite ist - egal. Constantinou will sowieso raus aus dem Euro, aus der EU. "Kein Geld für die Banken", ruft er.

Ankunft am Syntagma-Platz. Hier haben sie demonstriert gegen die Kürzungen von Renten und Löhnen und gegen die Liberalisierung des Taxigewerbes. "Next time fire", sagt er und zeigt zum Parlamentsgebäude, das er also anstecken will. Diese wilde Mischung aus Wut, Verzweiflung und Revolutionsstimmung ist kurz vor Wahl überall spürbar in Athen. Griechenland bräuchte, um aus der Krise herauszukommen, derzeit vor allem politische Stabilität, die es aber genau wegen der Krise nicht gibt.

Dilemma ist ein griechisches Wort. Tragödie auch. Tsipras Partei liegt in Umfragen auf Platz 1 mit 25 bis 30 Prozent. Die stärkste Partei bekommt nach dem Wahlrecht einen Aufschlag von 50 Abgeordneten, das ist viel bei einem Parlament von 300 Mitgliedern. Tsipras könnte dann regieren, zusammen mit den Kommunisten.

Man wolle die Schulden schon zurückzahlen, sagt der Syriza-Politiker und Europaabgeordnete Nikos Chountis. Nur eben nicht jetzt und nicht so schnell. Es gehe um eine Neuverhandlung der Verträge. Doch Neuverhandlungen hat die EU-Troika, hat auch Merkel ausgeschlossen. Ist das Land dann nicht sofort pleite? Deutschland könne es sich nicht leisten, Griechenland fallen zu lassen, sagt Chountis kühl. Dann kippe nämlich der ganze Euro. Seine Partei will offenbar pokern, hoch pokern. Chountis fügt noch ganz bescheiden hinzu, dass man sich keinesfalls als Muskelprotz gebärden wolle. Aber er fühlt sich so.

Die politische Klasse wirkt ein bisschen wie Saigon vor dem Einmarsch der Vietkong. Hilflos, ratlos, teilweise panisch. Überall hängen nur Syriza-Plakate: "Wir öffnen einen neuen Weg für Griechenland". Die Partei hält sich als einzige nicht an das Plakatierungsverbot, und niemand schreitet dagegen ein. Die langjährige Regierungspartei Pasok, die Sozialdemokratie, ist komplett abgetaucht. Anni Podimata, Pasok-Politikerin und Vizepräsidentin des Europaparlaments, weiß, was nach der Wahl kommt: "Ein neues Programm, neue Personen, neuer Name." Ein radikaler Neuanfang also, vielleicht ohne sie. "Ich könnte wieder als Journalistin arbeiten", sagt sie. Die konservative Nea Dimokratia kämpft noch mit Syriza um den ersten Platz. Eine Koalition mit den Linkssozialisten schließt Giorgos Papanikolaou, lange Vorsitzender der ND-Jugend, nicht aus. Voraussetzung sei nur, dass Griechenland im Euro bleibe. Man passt sich an.

In die Kategorie Umorientierung der bürgerlichen Kräfte darf man auch den FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis aus dem Saarland einstufen, der derzeit ständig in seinem Mutterland ist. Er ist für Eurobonds, für ein Wachstumsprogramm und dafür, den Griechen mehr Zeit zu geben. Den Hinweis, er rede schon wie Oskar Lafontaine, jedenfalls nicht wie sein Parteichef Philipp Rösler, beantwortet er trotzig: "Dann rede ich eben wie Lafontaine." Selbst ein besonnener Ökonom wie Panagiotis Roumeliotis, Vizepräsident der Piräus-Bank, singt jetzt das Lied von der Transferunion, das man in Deutschland nicht hören will. Seit fünf Jahren schrumpft die Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit ist auf über 20 Prozent, bei der Jugend auf 50 Prozent hochgeschnellt. Durch einen Austritt aus dem Euro werde nichts besser, warnt Roumeliotis, im Gegenteil. Dann gehe es um Spanien, Italien, Belgien, "die Brandmauer ist durchlässig". Da ist sie wieder, die Drohung: Helft uns - oder es trifft euch selbst.

Dazwischen sind die einfachen Leute, die der plötzliche Niedergang mit Wucht trifft. Dimitra Kavvadia, 23, studiert internationale Politik und sagt: "Ich habe das Gefühl, dass mein Leben in eine Sackgasse geraten ist." Es gibt nicht die geringste Jobaussicht für sie und ihre Kommilitonen, eine verlorene Generation. Viele überlegen, ob sie das Studium noch beenden sollen, viele wollen ins Ausland, sagt sie. Dimitra bettelt fast: "Gebt uns die Chance zu beweisen, was wir alles gelernt haben." So wie eine andere Frau auf der Straße den Besucher unvermittelt anspricht, fragt, wo er herkommt und dann sagt: "Es stimmt nicht, dass wir faul sind. Wir wollen arbeiten, wir sind fleißig." Diesen Satz hört man häufig. Manche gegenteiligen Behauptungen in deutschen Zeitungen haben die Griechen tief verletzt.

Efi Bouthou ist Sozialarbeiterin und wohnt im Vorort Acharnes. Dort und in anderen Vorstädten macht sich jetzt die neofaschistische Partei Goldene Morgenröte breit und jagt nachts Ausländer. Es gab schon Tote. Efi schildert, wie schnell es in der Krise nach unten ging und die Kriminalität in die Höhe. Die Leute horten ihre Euro zu Hause, das wissen Räuber und Mörder. Wie erst die Zahl der Obdachlosen stieg und jetzt die Zahl der Selbstmorde. "Mehr als psychologische Hilfe kann ich auch nicht leisten", sagt sie. Es fehlt einfach Arbeit. Dabei könnte die Sozialarbeiterin selbst Hilfe gebrauchen. Ihr Familieneinkommen hat sich seit der Arbeitslosigkeit ihres Mannes und durch die Lohnkürzungen für den öffentlichen Dienst auf 900 Euro mehr als halbiert. "Wir versuchen, unsere beiden Kinder nichts merken zu lassen", sagt die 39-Jährige. Efi Bouthou lächelt während des Gesprächs kein einziges Mal.

Hintergrund

Sollte am Sonntag in Griechenland keine Partei die absolute Mehrheit erreichen, ist ein mehrtägiges Verfahren zur Regierungsbildung vorgesehen. Der Präsident beauftragt laut Gesetz den Chef der stärksten Partei damit, die Chance für eine Koalition auszuloten. Dieses Mandat gilt für drei Tage. Scheitert die Sondierung, erhält der Vorsitzende der zweitstärksten Partei ein dreitägiges Mandat. Sollte auch diese Bemühung scheitern, darf die drittstärkste Partei ihr Glück versuchen.

 Jung, frech, manchmal arrogant: Alexis Tsipras, Chef der linksradikalen Partei Syriza, ist derzeit der Star der griechischen Politik. Hier lässt er sich in Athen feiern. Europa zittert vor Tsipras: Er will die Schulden nicht zurückzahlen und die Sparvorgaben nicht umsetzen. Foto: dpa/PANAGIOTOU

Jung, frech, manchmal arrogant: Alexis Tsipras, Chef der linksradikalen Partei Syriza, ist derzeit der Star der griechischen Politik. Hier lässt er sich in Athen feiern. Europa zittert vor Tsipras: Er will die Schulden nicht zurückzahlen und die Sparvorgaben nicht umsetzen. Foto: dpa/PANAGIOTOU

Bleiben alle Sondierungen ohne Ergebnis, ruft der Präsident alle Parteichefs zu einer letzten Gesprächsrunde zusammen. Bleibt diese erfolglos, dann wird - wie nach den Wahlen im Mai geschehen - das eben erst gewählte Parlament aufgelöst, und es werden Neuwahlen binnen 30 Tagen angesetzt. Das Land wird in dieser Zeit von einer Übergangsregierung geführt. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Ein besonderer OrtDas Fort Carré ist die Hauptfestung im elsässischen Dorf Fort-Louis. Wer die Überreste dieses riesigen Vauban-Bauwerks besichtigt, der fühlt sich durchaus an einen besonderen Ort versetzt, auch wenn die kriegerischen Zeiten zum Glück der
Ein besonderer OrtDas Fort Carré ist die Hauptfestung im elsässischen Dorf Fort-Louis. Wer die Überreste dieses riesigen Vauban-Bauwerks besichtigt, der fühlt sich durchaus an einen besonderen Ort versetzt, auch wenn die kriegerischen Zeiten zum Glück der
Schicksalswahl in Griechenland Europa schaut mit bangen Blicken nach Athen: Vor dem Hintergrund der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte wählt Griechenland an diesem Sonntag erneut ein neues Parlament. Gute Chancen werden den Linksradikalen einge
Schicksalswahl in Griechenland Europa schaut mit bangen Blicken nach Athen: Vor dem Hintergrund der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte wählt Griechenland an diesem Sonntag erneut ein neues Parlament. Gute Chancen werden den Linksradikalen einge
Besser leben Die üblichen Ernährungsempfehlungen besagen, dass nicht mehr als 30 Prozent der täglichen Kalorien in Form von Fett aufgenommen werden sollen. Doch immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen, dass mehr Fett im Essen den Blutzucker- und Insul
Besser leben Die üblichen Ernährungsempfehlungen besagen, dass nicht mehr als 30 Prozent der täglichen Kalorien in Form von Fett aufgenommen werden sollen. Doch immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen, dass mehr Fett im Essen den Blutzucker- und Insul
Ethik in der Wirtschaft!Gewerkschaften, Firmen und Betriebsräte in modernen Zeiten. Fragen nach Alternativen zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem stehen im Mittelpunkt einer neuen mehrteiligen Serie der Saarbrücker Zeitung. Teil 13: Die kirchliche Sicht.
Ethik in der Wirtschaft!Gewerkschaften, Firmen und Betriebsräte in modernen Zeiten. Fragen nach Alternativen zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem stehen im Mittelpunkt einer neuen mehrteiligen Serie der Saarbrücker Zeitung. Teil 13: Die kirchliche Sicht.