Lafontaine, der Krebs und die Spekulationen

Saarbrücken/Berlin. Ist das die Erklärung für alles? Für den plötzlichen Verzicht auf den Fraktionsvorsitz im Bundestag? Für das Desinteresse an der Bundespolitik nach dem grandiosen Wahlerfolg vom 27. September, dessen Vater er doch ist? Oskar Lafontaine ist ernsthaft erkrankt

Saarbrücken/Berlin. Ist das die Erklärung für alles? Für den plötzlichen Verzicht auf den Fraktionsvorsitz im Bundestag? Für das Desinteresse an der Bundespolitik nach dem grandiosen Wahlerfolg vom 27. September, dessen Vater er doch ist? Oskar Lafontaine ist ernsthaft erkrankt. "Ich werde mich am Donnerstag zu einem seit längerem geplanten chirurgischen Eingriff in eine Klinik begeben. Es handelt sich um eine Krebserkrankung." Die Gerüchte darüber gab es schon länger. Gestern, 15.18 Uhr, verschickte die Pressestelle die schnörkellose Bestätigung des Linken-Parteichefs. Lafontaine hatte eine solche Mitteilung in der Saarbrücker Zeitung schon angekündigt, jedoch erst für die nächsten Tage. Nun schien ihm offenbar Eile geboten. Der 66-Jährige will, wie es in der Pressemitteilung heißt, "zu Beginn des neuen Jahres unter Berücksichtigung meines Gesundheitszustandes und der ärztlichen Prognosen darüber entscheiden, in welcher Form ich meine politische Arbeit weiterführe". Es handelt sich vertraulichen Informationen zufolge um eine ernsthafte Krebserkrankung, die jedoch - so ein Freund - noch "im Frühstadium" sei. Man erwarte, dass Lafontaine "bald wieder zurück" sei, wahrscheinlich schon vor Weihnachten. Über die genaue Art der Erkrankung wollte Lafontaine keine Angaben machen. Bei der Klinik handelt es sich nach Informationen unserer Zeitung um die Universitätsklinik in Homburg. Überschrieben war die Pressemitteilung, die von der Berliner Parteizentrale verteilt wurde, mit der Formulierung: "Um weiteren Spekulationen vorzubeugen". Damit war noch eine andere Geschichte über Lafontaines Privatleben gemeint, die des "Spiegel". Der hatte zu Wochenbeginn als Grund für Lafontaines Rückzug eine Affäre mit der Parteilinken Sahra Wagenknecht (40) vermutet. Lafontaine-Gattin Christa Müller habe ihren Mann sozusagen zurück nach Hause ins heimische Saarland beordert, weg von der Bundesfraktion, in die Wagenknecht am 27. September eingezogen war, lautete der Tenor der Story. Lafontaines Pressestelle dementierte diesen Artikel wütend als "erstunken und erlogen". Verbunden hatte der "Spiegel" die Enthüllung mit der Behauptung, intern hätten viele bei den Linken schon vor der Wahl von dem beabsichtigten Rückzug ins Private gewusst, wenn auch nicht unbedingt von den Frauengeschichten. Lafontaines Spitzenkandidatur für den Bundestag sei nie ernst gemeint gewesen. Auch diese Vermutungen könnten jetzt in sich zusammenfallen, wenn die Erkrankung der tatsächliche Hintergrund für Lafontaines Entscheidungen ist. Allerdings können die Gerüchte auch stimmen und die Erkrankung kann erst später dazu gekommen sein. Lafontaine ist die Galionsfigur der Linken, er hat die Partei erst so attraktiv gemacht, dass sie auch im Westen wählbar wurde. Andererseits ist er in letzter Zeit intern zunehmend zum Problemfall geworden, besonders für die pragmatischen Kader aus dem Osten. Sie kritisieren die Sprunghaftigkeit und den Radikalismus ihres Vormannes, der zuletzt sogar noch versucht hatte, eine rot-rote Koalition in Brandenburg zu verhindern - wegen angeblich zu vieler Kompromisse mit der SPD. Der Parteivorsitz ist, solange Lafontaine krank ist, praktisch vakant, denn Lothar Bisky, der andere Co-Vorsitzende, hat sich ins Europa-Parlament zurückgezogen. Andererseits hatte sich Lafontaine schon in der Vergangenheit kaum für das Karl-Liebknecht-Haus interessiert, so dass sich, so ein Insider, in der Praxis wohl kaum etwas ändere. Oskar Lafontaine hat eine existenziell bedrohliche Situation schon einmal erlebt. 1990, als er Kanzlerkandidat der SPD war, stach ihm eine psychisch kranke Frau mit einem Messer in den Hals. Er überlebte nur knapp. 1999 verließ er im Streit mit Kanzler Gerhard Schröder urplötzlich seine Ämter als SPD-Parteivorsitzender und Finanzminister. 2005 trat er zur Linkspartei über und half mit, sie als bundesweite Partei zu etablieren.Lafontaine ist noch immer wieder hoch gekommen. Nicht nur seine Anhänger hoffen, dass ihm das auch diesmal wieder gelingt, auch er will es offenbar allen Skeptikern beweisen: Heute will Lafontaine, der neben seinen Berliner Jobs ja auch noch den Fraktionsvorsitz der Linken im Saarland inne hat, vor dem Landtag reden. "Ich werde mich am Donnerstag zu einem seit längerem geplanten chirurgischen Eingriff in eine Klinik begeben".

HintergrundOskar Lafontaine war schon immer für Überraschungen gut. Die ernste Form der gestrigen Mitteilung erklärt indes manche Ungereimtheit, die der Linke-Vorsitzende in letzter Zeit der politischen Öffentlichkeit zumutete. So verblüffte er vor wenigen Wochen Freund und Feind, als er zwei Tage vor der Koalitions-Entscheidung der Grünen im Saarland plötzlich bekannt gab, entgegen den Erwartungen neben seinem Bundestagsmandat auch das Landtagsmandat behalten zu wollen und "Fraktionsvorsitzender im Saar-Landtag zu bleiben". Die Nachricht war ein gefundenes Fressen für Grünen-Chef Hubert Ulrich, der eifrig und stiekum an einem "Jamaika"-Bündnis gebastelt hatte und die Begründung für diese Entscheidung von Lafontaine nun frei Haus geliefert bekam. "Oskar" wolle sich in einer rot-rot-grünen Landesregierung wohl als Nebenministerpräsident aufspielen. Aber er, Ulrich, habe "keinerlei Vertrauen mehr zu diesem Mann und dieser Partei". Danach votierten die Grünen mit großer Mehrheit für ein Bündnis mit CDU und FDP. red

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