Kulinarische Vorlieben eines Museums-Chefs
Saarbrücken. Keine Rechtfertigungen, keine Entschuldigungen - also auch kein Schuldbewusstsein? Dieser Eindruck musste entstehen. Denn Ralph Melchers zweistündige Aussage lieferte gestern hauptsächlich eins: die nahezu romanhafte Schilderung von Lebensumständen
Saarbrücken. Keine Rechtfertigungen, keine Entschuldigungen - also auch kein Schuldbewusstsein? Dieser Eindruck musste entstehen. Denn Ralph Melchers zweistündige Aussage lieferte gestern hauptsächlich eins: die nahezu romanhafte Schilderung von Lebensumständen. Museums-Bau-Nöte, Leistungsdruck, Terminhetze, private Finanz-Malaise, Stress mit Versicherungen - bis in die letzten Verästelungen trieb Ralph Melcher gestern seine Aussage vor den fünf Richtern der Wirtschafts-Strafkammer. Eloquent, unaufgeregt-sachlich ließ er sich zu den Vorwürfen ein, die ihn Job, Ansehen und wohl auch eine zukünftige Karriere gekostet haben: Untreue in 46 Fällen und Bestechlichkeit. Es wurde eine Geduldsprobe im Saal 1. Nur ein, zwei Künstler waren gekommen, wenige Beobachter aus dem Kulturministerium, keine Stiftungs-Mitarbeiter, keine Kuratoren, keine Landtags-Abgeordneten - bis auf Günter Waluga (SPD). Und der konstatierte nach fünfeinhalbstündiger Verhandlung: "Keine Überraschungen".Immerhin konkretisierte sich gestern Melchers Entlastungs-Strategie. Die Vielfalt und Parallelität der Bau- und Ausstellungs-Aufgaben hätten einen enormen Abstimmungs-Bedarf erzeugt, sodass Termine mit dem Projektsteuerer Gerd Marx auch in die Mittagszeit geschoben wurden. "Es gab einen hohen Besprechungsbedarf", so Melcher. Man habe dafür Restaurants gewählt, die er, Melcher, auch mit Kuratoriums-, Beirats-Mitgliedern, mit Museumskollegen und Ministern angesteuert habe. Nichts Außergewöhnliches demnach? Die 85-minütige Anklageverlesung von Oberstaatsanwalt Eckhard Uthe erzählte etwas Anderes. Er durfte sie, nach einem Ruck-Zuck-Beschluss der Kammer, in Gänze vorlesen, was bedeutete: Jede einzelne kulinarische Position samt Preis in jedem der 43 Essen, zu denen Melcher den Projektsteuerer eingeladen hatte. Man fuhr bis Bitche und bis nach Zweibrücken. Ging auf Dienstreise nach Wolfsburg, wohnte im Ritz Carlton für 210 Euro die Nacht, trank Champagner für 23 Euro das Glas, produzierte eine Essens-Rechnung von 630 Euro.
Melchers Anwälte Christoph Clanget (Saarbrücken) und Michael Rosenthal (Karlsruhe) hatten diese Verlesung verhindern wollen, mit dem Hinweis darauf, die Nennung der Speisen diene dazu, Verschwendung zu suggerieren. Abgelehnt. So hörte man in einer Endlos-Kette von Taubenbrüstchen und Hummersalat, von Jakobsmuscheln und Gänseleber. In der Pause hagelte es sarkastische Kommentare unter Journalisten. Man wisse jetzt wenigstens: Marx und Melcher seien Fisch-Liebhaber und Dessertmuffel.
Härter traf der Schmiergeld-Vorwurf. Melcher "fingierte", so Staatsanwalt Uthe, einen Beratervertrag mit Marx. Dafür flossen 8225 Euro. Zudem hätten Mitarbeiter von Marx in Melchers Haus am Chiemsee gearbeitet, ohne eine Rechnung zu stellen. Die sei, so Uthe, erst geschrieben und beglichen worden, nachdem erste SZ-Berichte Melcher alarmiert hätten. Melcher zeichnete ein konträres Bild von den Vorgängen. Ein Exposé belege seine Berater-Leistung. Marx habe ihn gebraucht, um drei Bewerbungen, unter anderem für das Deutsche Museum München, vorzubereiten.
Dass er, Melcher, falsche Beratungs-Termine auf der Rechnung genannt habe, sei darauf zurückzuführen, dass er sie im Nachhinein habe rekonstruieren müssen, nachdem Marx' Steuerberater ein Pauschal-Honorar abgelehnt hatte. Und was sagte die Dienstherrin zu dieser Nebentätigkeit? Am 26. Februar 2008 habe die Kulturministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ihm eine mündliche Genehmigung erteilt. Bedenken wegen einer Arbeits-Überlastung habe sie nicht geäußert, sondern laut Melcher Folgendes gesagt: "Es wäre toll, wenn das Kompetenzteam von der Saar auch in München bauen würde."
Herrschte ein Missverständnis? Laut Regierungssprecher Thorsten Klein erinnert sich die Ministerpräsidentin an das Gepräch. Doch habe Melcher nur von einer "Unterstützung" für Gerd Marx gesprochen: "Von einer entgeltlichen Nebentätigkeit war zu keiner Zeit die Rede." Es sind Sachverhalte wie diese, die die politische Sphäre berühren, die eben den Ausnahme-Charakter des Melcher-Prozesses ausmachen. "Ich habe mich
stets bemüht,
eine günstige Übernachtungs-
Möglichkeit
zu finden."
Ralph Melcher, Ex-Stiftungs-Chef
Zur Person
Ralph Melcher (44) hat in Bonn Kunstgeschichte, Komparatistik und Romanistik studiert und mit einer Promotion abgeschlossen. 1999-2003 arbeitete er als Assistent und später als stellvertretender Direktor am Museum für Neue Kunst in Karlsruhe. Von 2004 bis 2010 war er Stiftungsvorstand in Saarbrücken.
Seit seiner Entlassung ist er als Freiberufler tätig. Er lebt von Honoraren für Beratungen und (Katalog-)Texte und dem Existenz-Gründer-Geld der Arbeitsagentur. Zuletzt verdiente er rund 7200 Euro netto bei der Stiftung im Saarland. Melcher ist verheiratet, hat zwei Kinder, fünf und sieben Jahre alt. ce