Krise und kein Ende in Japan

Die Bilder schockten die Menschen in aller Welt: Rauchschwaden steigen über dem Atomkraftwerk Fukushima eins auf, die Dächer der Reaktoren sind durch Explosionen nach der Naturkatastrophe zerstört. Ganze Dörfer und Städte liegen nach dem Megabeben und dem Tsunami vom 11. März in Trümmern

 Viele Überlebende der Naturkatastrophe leben in provisorischen Einrichtungen, so wie die sechsjährige Kana Tateyama, die hier in einem Evakuierungszentrum ihre Schulaufgaben macht. Ihr gegenüber sitzt die Großmutter bei der Handarbeit. Foto: dpa

Viele Überlebende der Naturkatastrophe leben in provisorischen Einrichtungen, so wie die sechsjährige Kana Tateyama, die hier in einem Evakuierungszentrum ihre Schulaufgaben macht. Ihr gegenüber sitzt die Großmutter bei der Handarbeit. Foto: dpa

Die Bilder schockten die Menschen in aller Welt: Rauchschwaden steigen über dem Atomkraftwerk Fukushima eins auf, die Dächer der Reaktoren sind durch Explosionen nach der Naturkatastrophe zerstört. Ganze Dörfer und Städte liegen nach dem Megabeben und dem Tsunami vom 11. März in Trümmern. Zigtausende Alte und Kinder, Männer und Frauen, die bislang in Wohlstand gelebt hatten, stehen plötzlich zusammengedrängt in kargen Notlagern an Essensausgaben Schlange.Mit einer Mischung aus Staunen, Mitleid und Bewunderung schaut die Welt seither am Fernseher zu, wie die Japaner die Dreifach-Katastrophe zu bewältigen versuchen - und Durchhaltewillen beweisen.

Drei Monate sind seit Beginn der Krise vergangen. Wenn es inzwischen in Berichten um Fukushima geht, ist oft nur noch von der Atomkrise die Rede. Das andauernde Leid der Überlebenden der Naturkatastrophe, von denen noch immer Zehntausende in Notlagern hausen, gerät so leicht in Vergessenheit. Dabei türmen sich in den Krisengebieten weiter Trümmerberge, und noch immer sind nicht alle Toten geborgen.

An den schwer betroffenen Küstenregionen in den Provinzen Iwate und Miyagi gibt es weiter Wohngebiete, in denen die Wasserleitungen nicht funktionieren. Freiwillige Helfer sorgen sich um die Hygiene in den Notlagern.

"Angesichts der bevorstehenden Regenzeit müssen sich die betroffenen Ortschaften gegen Gefahren wie Lebensmittelvergiftung und Infektionen wappnen", schrieb die japanische Tageszeitung "Mainichi Shimbun" dieser Tage. An Not-Toiletten seien Krankheitserreger gefunden worden. Ärzte befürchten, dass die Widerstandskraft der Flüchtlinge nachlässt - nicht zuletzt wegen der einseitigen Ernährung in den Lagern.

Aber es gibt auch erkennbare Fortschritte: In der Stadt Iwanuma in der Provinz Miyagi zum Beispiel sind alle 6700 Flüchtlinge entweder in privaten Wohnungen oder in von der Regierung errichteten Behelfshäusern untergekommen. So konnten, wie die Zeitung "Asahi Shimbun" berichtete, alle Notunterkünfte aufgelöst werden.

Anders als andere Städte hat Iwanuma die Behelfshäuser nicht per Los unter den Menschen verteilt, sondern so, dass die früheren Nachbarschaftsstrukturen beibehalten wurden. "Es gibt ein sicheres Gefühl, dass wir wieder in der Nähe unserer Nachbarn einziehen können", erzählte ein junger Familienvater. "Ich suche zwar noch eine Arbeit, aber es ist jetzt ein neuer Start."

Andernorts sieht es schlimmer aus: In den Provinzen Iwate, Miyagi und Fukushima werden laut der Lokalzeitung "Kahoku Shinbo" 52 200 Behelfsunterkünfte benötigt. Doch bisher sei nur knapp die Hälfte fertig. Noch immer leben in rund 2400 Notlagern über 98 000 Menschen. Manche von ihnen zögern, in Behelfshäuser umzuziehen. Denn dann bekommen sie Lebensmittel nicht mehr kostenlos, und sie müssten Strom, Gas und Wasser selbst bezahlen.

Da die Riesenwelle im März außer ihren Häusern auch ihre Arbeitsplätze fortgespült hat, sind viele Menschen in Geldnot. Und zu der Unsicherheit und der Furcht vor den andauernden Nachbeben kommt die Sorge vor radioaktiver Verseuchung durch die Ruine von Fukushima.

Denn auch nach drei Monaten sind die Atommeiler dort längst nicht sicher. Mal melden die Techniker steigende Hitze an den Brennstäben, mal neue Strahlungsrekorde.

Erst vor kurzem hat der Betreiberkonzern Tepco eingeräumt, dass es gleich nach dem Tsunami bereits zu Kernschmelzen gekommen war. Immer wieder wird das Energieunternehmen dafür kritisiert, nicht richtig zu informieren und schlecht für die Sicherheit der Arbeiter zu sorgen. Trotzdem fühlen sich viele verpflichtet zu helfen, um die Krise in dem Atomkraftwerk zu überwinden. Umso problematischer empfindet es mancher in Japan, was die Politiker in der 250 Kilometer entfernten Hauptstadt Tokio veranstalten: Eine Koalition aus oppositionellen Liberaldemokraten (LDP) und einigen Abweichlern in der Demokratischen Partei (DPJ) von Ministerpräsident Naoto Kan nutzt die Gunst der Stunde für politische Ränkespiele. Es geht ihnen darum, Kan aus dem Amt zu jagen.

Dabei hatte die LDP das asiatische Land jahrzehntelang regiert und ist mitverantwortlich dafür, dass Atommeiler wie Fukushima ohne ausreichenden Schutz gegen Tsunamis errichtet wurden. Nur dadurch, dass er seinen Rücktritt in Aussicht stellte, konnte Kan kürzlich ein Misstrauensvotum der LDP im Parlament überstehen. Ihm wird in der Krise Missmanagement vorgeworfen. Gerade ein Jahr ist Kan im Amt, jetzt sind seine Tage endgültig gezählt.

Andererseits ist das nichts Neues in Japan. Naoto Kan ist bereits der fünfte Premierminister in fünf Jahren. "Wenn die Politiker für sowas Zeit haben, sollten sie lieber mal nach Fukushima kommen und bei der Bewältigung des Atomunfalls helfen", schimpfte ein Bürger in Fukushima über das Verhalten vieler Politiker.

Hintergrund

Milch, Gemüse, Fisch - im Umkreis der Atomruine Fukushima entdecken die Behörden in immer mehr Lebensmitteln radioaktive Partikel. Der Cäsium-Grenzwert liegt bei 500 Becquerel pro Kilogramm, für Jod-131 bei 2000. Mitte März berichtete Japans Gesundheitsministerium, in der Präfektur Fukushima wurden die Werte bei Brokkoli überschritten, in der Nachbarregion Ibaraki bei Rohmilch. Der Fernsehsender NHK berichtete über radioaktives Cäsium in Fischen aus dem Meer vor Fukushima. Untersuchter Spinat wies doppelt soviel Becquerel wie zulässig auf. Bei Fisch, Krebstieren und Seetang, die 22 bis 60 Kilometer vom Kraftwerk entfernt aus dem Meer geholt wurden, fand Greenpeace erhöhte Werte für Jod-131, Cäsium-134 und Cäsium-137. dpa

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