"Krieg" in Kundus

Neu Delhi/Kabul. Als der Bundestag am vergangenen Donnerstag die Verlängerung des Bundeswehr-Mandats beschloss, interessierte das eine breite Öffentlichkeit kaum noch. Die Finanzkrise hatte das Thema verdrängt

Neu Delhi/Kabul. Als der Bundestag am vergangenen Donnerstag die Verlängerung des Bundeswehr-Mandats beschloss, interessierte das eine breite Öffentlichkeit kaum noch. Die Finanzkrise hatte das Thema verdrängt. Dabei wünschten sich deutsche Soldaten in Afghanistan kurz vor der Parlamentsdebatte - wie es ein Offizier ausdrückte - "mehr Würdigung des Engagements, bei dem man schließlich sterben kann für Deutschland". Genau das ist nun erneut passiert, und aus diesem bitteren Grund eroberte der Einsatz dann doch wieder mit Wucht die Schlagzeilen. Zwei Soldaten des Fallschirmjägerbataillons 263 der Saarlandbrigade in Zweibrücken und fünf afghanische Kinder wurden gestern bei einem Selbstmordanschlag der Taliban nahe der nordafghanischen Stadt Kundus getötet.

Der Gouverneur der Provinz Kundus, Engineer Mohammad Omar, sagte, ein Selbstmordattentäter habe sich auf einem Fahrrad in der Nähe der Soldaten in die Luft gesprengt. Den fünf getöteten Kindern wurde zum Verhängnis, dass sie in der Nähe spielten. Die Taliban bekannten sich nur wenige Stunden später zu dem Anschlag im Distrikt Char Dara. In Char Dara war der bis zum Attentat vom Montag letzte deutsche Soldat getötet worden, als sein Konvoi Ende August in eine Sprengfalle geraten war. Der Distrikt, der nur wenige Kilometer entfernt vom deutschen Lager in Kundus beginnt, ist einer der unsichersten in der Provinz geworden.

Ein junger Afghane, der für eine westliche Organisation arbeitet und deswegen vor den Taliban aus Char Dara nach Kundus-Stadt geflohen ist, erzählte vor wenigen Wochen, die Aufständischen verteilten in dem Distrikt Drohbriefe. Darin würden die Menschen aufgefordert, ihre Jobs bei Ausländern oder afghanischen Behörden sofort zu kündigen - sonst würden sie getötet. Tagsüber bewegten sich die Taliban frei in dem Distrikt, wenn auch mit versteckten Waffen. Nachts, so erzählten Bauern, liefen Gruppen von zehn bis 15 Aufständischen mit Kalaschnikows und Panzerfäusten durch die Gegend. Aus Char Dara werden nachts immer wieder Raketen auf das deutsche Camp in Kundus abgefeuert. Die Sicherheitslage im Einsatzgebiet der Bundeswehr im Norden - und dort besonders in der Provinz Kundus - hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. Die Gegend galt einst als eine der sichersten Afghanistans, doch dann häuften sich die Anschläge. Gouverneur Omar sprach mit Blick auf die Lage in Kundus im vergangenen Monat von einem "Krieg".

Anfang des Jahres hatten die wieder erstarkten Taliban angekündigt, sie würden ihren Kampf vom Süden und Osten des Landes zunehmend in den Westen und Norden tragen. Der afghanische Vize-Verteidigungsminister Mohammad Akram warnte zu Monatsbeginn, die Aufständischen sickerten verstärkt in die nördlichen Provinzen ein.

Sie wollten ihren Aufstand als "landesweiten Kampf" darstellen. Um den Taliban diesen Erfolg nicht zu lassen, fahren die deutschen Soldaten in Char Dara und anderswo Patrouillen - unter Lebensgefahr.

30 Tote hat die Bundeswehr inzwischen beim Afghanistan-Einsatz zu beklagen, und glaubt man Gouverneur Omar, dann warten noch andere Attentäter auf die Deutschen in der Provinz. Omar sagte nach dem Anschlag, man habe Informationen, dass vier weitere Selbstmordattentäter aus Pakistan nach Kundus eingesickert seien.

Die Propaganda-Abteilung der Taliban ließ nach dem jüngsten Blutbad nicht lange auf sich warten. Einer ihrer Attentäter namens Islamuddin habe die Deutschen angegriffen, teilten die Aufständischen auf ihrer Homepage mit. Die Rebellen sprachen von einem Anschlag gegen die "Invasionsarmee". Das freilich dürfte die große Mehrheit der Afghanen in Char Dara und Kundus ganz anders sehen. Die meisten von ihnen halten die Bundeswehr nicht für Besatzer, im Gegenteil: Sie wollen, dass die Deutschen unbedingt in Afghanistan bleiben. "Das ist Krieg."

Gouverneur Mohammad Omar

zur Lage

in Kundus

Hintergrund

Kundus in Nordost-Afghanistan ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz nahe der tadschikischen Grenze. In der Stadt rund 250 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kabul leben nach Schätzungen 57000 bis 120000 Menschen.

Die Provinz Kundus hat etwa 850000 Einwohner und ist mit rund 8000 Quadratkilometern halb so groß wie Schleswig-Holstein.

 Eine Fallschirmjäger-Patrouille sichert den Nahbereich des Bundeswehr-Feldlagers in Kundus. Wenige Tage nach der Mandatsverlängerung für die Bundeswehr sind bei einem Selbstmordanschlag der Taliban nahe Kundus zwei Soldaten der Saarlandbrigade getötet worden. Foto: dpa

Eine Fallschirmjäger-Patrouille sichert den Nahbereich des Bundeswehr-Feldlagers in Kundus. Wenige Tage nach der Mandatsverlängerung für die Bundeswehr sind bei einem Selbstmordanschlag der Taliban nahe Kundus zwei Soldaten der Saarlandbrigade getötet worden. Foto: dpa

 Eine Fallschirmjäger-Patrouille sichert den Nahbereich des Bundeswehr-Feldlagers in Kundus. Wenige Tage nach der Mandatsverlängerung für die Bundeswehr sind bei einem Selbstmordanschlag der Taliban nahe Kundus zwei Soldaten der Niederauerbach-Kaserne getötet worden. Foto: dpa

Eine Fallschirmjäger-Patrouille sichert den Nahbereich des Bundeswehr-Feldlagers in Kundus. Wenige Tage nach der Mandatsverlängerung für die Bundeswehr sind bei einem Selbstmordanschlag der Taliban nahe Kundus zwei Soldaten der Niederauerbach-Kaserne getötet worden. Foto: dpa

Die Bundeswehr ist seit 2003 in Kundus im Einsatz und soll dort für ein sicheres Umfeld beim Wiederaufbau sorgen. dpa

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