Krank durchs Krankenhaus

Der Tod der Mainzer Säuglinge, für den vermutlich verkeimte Infusionen verantwortlich sind, wirft ein tragisches Licht auf ein Problem, das es in vielen deutschen Kliniken gibt: 500 000 bis zu einer Million Menschen erkranken dort jährlich an so genannten Krankenhaus-Infektionen, schätzen Experten der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

Der Tod der Mainzer Säuglinge, für den vermutlich verkeimte Infusionen verantwortlich sind, wirft ein tragisches Licht auf ein Problem, das es in vielen deutschen Kliniken gibt: 500 000 bis zu einer Million Menschen erkranken dort jährlich an so genannten Krankenhaus-Infektionen, schätzen Experten der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH). Bis zu 15 000 sterben nach Angaben der Berliner Universitätsklinik Charité sogar an den Folgen dieser Infektion. Häufig, aber längst nicht immer, sind Arzneimittel-resistente Erreger die Ursache. Bis zu ein Drittel der Krankenhaus-Infektionen wäre vermeidbar, schätzen Hygiene-Fachleute. Vor allem auf Intensivstationen ist das Problem mit den so genannten nosokomialen Infektionen, die durch medizinische Maßnahmen auftreten, immens: "Rund vier Prozent aller stationären Patienten leiden an einer solchen Infektion. Auf Intensivstationen sind es sogar bis zu 15 Prozent", beschreibt Krankenhaushygieniker Prof. Markus Dettenkofer von der Universität Freiburg.In den meisten Fällen werden die Krankheitserreger von den Patienten selbst mitgebracht. Siedelten sie ursprünglich im Hals oder im Darm, so können die Keime durch eine Operation, einen Beatmungsschlauch oder eine Kanüle auch in die Wunde oder die Lunge gelangen - und den OP-geschwächten Körper durch eine Blutvergiftung (Sepsis) oder Lungenentzündung zusätzlich krank machen. In anderen Fällen springen diese Problemerreger auch auf unbelastete Patienten über. Zweierlei sollte nach Ansicht von Prof. Petra Gastmeier vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité nicht verwechselt werden: "Multiresistente Erreger, die eine spezielle Antibiotika-Behandlung erfordern, machen nur zehn Prozent der Krankenhaus-Infektionen aus, andere Keime jedoch 90 Prozent." Deshalb ist eine bessere Hygiene das A und O im Kampf gegen die Krankmacher im Krankenhaus. Etwa 80 bis 90 Prozent dieser Infektionen werden über die Hände übertragen, erläutert Frauke Mattner, Expertin für Krankenhaushygiene in der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie. Das gilt nicht nur für Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine weltweite Kampagne für die Händehygiene im Krankenhaus aufgelegt. Dabei zeigte sich, dass das Klinikpersonal nur in etwa 30 bis 40 Prozent der Fälle ausreichend die Hände desinfiziere. Auch in Deutschland werde im Schnitt nur in rund der Hälfte der nötigen Fälle ausreichend auf die Hände-Desinfektion geachtet. Unterschiedlich sind jedoch die Wege, die die Experten gehen wollen: Während am Charité-Institut seit Jahren ein bundesweites Überwachungsprogramm zu Krankenhaus-Infektionen (Kiss) auf freiwilliger Basis läuft, fordert die DGKH eine staatliche Verordnung, die verbindlich die Festanstellung von Hygienefachpersonal vorsieht. Bislang gibt es eine solche Verordnung nur in Berlin, Sachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland. Die Anfang 2008 in Kraft getretene saarländische Krankenhaushygiene-Verordnung sieht beispielsweise vor, dass Krankenhäuser speziell geschulte Beauftragte und Fachkräfte beschäftigen und einen Hygieneplan erstellen müssen. Auch regelmäßige Kontrollen sind Pflicht. Das Regelwerk folgt im Wesentlichen den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Für Saarlands Gesundheitsminister Georg Weisweiler (FDP) ist es "ein beruhigendes Gefühl, dass wir das umgesetzt haben, was derzeit möglich ist" (siehe Interview unten). "Die Einhaltung der Hygienestandards muss wirklich kontrolliert werden und zwar durch Fachpersonal, das ständig im Haus ist und den anderen auf den Wecker geht, weil es immer wieder nachhakt. Aber daran wird derzeit in Krankenhäusern gerne gespart, gerade weil kein Zwang da ist", kritisierte DGKH-Sprecher Klaus-Dieter Zastrow. Charité-Professorin Gastmeier hält dagegen, dass die freiwillige Kiss-Teilnahme bei den 1000 teilnehmenden der rund 2000 Kliniken in Deutschland die Zahl der Infektionen um bis zu 30 Prozent gesenkt habe. "Und das allein, weil die Kliniken sich mit den Zahlen der anderen vergleichen können." "Die Einhaltung der Standards muss kontrolliert durch Fachpersonal, das den anderen auf den Wecker geht, weil es immer wieder nachhakt."Klaus-Dieter Zastrow von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene

HintergrundKeime in der Klinik sind eine Gefahr. Nach Angaben eines Allianz-Berichtes von 2007 infiziert sich jeder zehnte Krankenhauspatient in Europa. In Deutschland sind es den Angaben zufolge jährlich zwischen 500 000 und einer Million Menschen. Im internationalen Vergleich schneidet die Bundesrepublik nach einer Studie des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) gut ab. Allerdings stützt sich die EU-Einrichtung dabei auf Daten aus verschiedenen Ländern, die in unterschiedlichen Jahren und nach unterschiedlicher Methodik erhoben wurden. Daher sind die Werte nur bedingt miteinander vergleichbar. Nach der ECDC-Studie hat Deutschland im Vergleich mit anderen Industriestaaten die geringste Ansteckungsquote. Demnach infizieren sich 3,5 Prozent der Patienten in deutschen Krankenhäusern mit Keimen. Danach folgen Litauen (3,7) und Lettland (3,9). Die meisten Infektionen gibt es in Kanada (10,5). dpa

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