Konkurrenz- Kampf der Wohltäter

Saarbrücken. Naturwissenschaftlich gesehen ist die Sache längst entschieden: Der Weihnachtsmann ist Hokuspokus. Denn der hätte an Heiligabend weltweit mehr als 90 Millionen christliche Haushalte zu besuchen, das macht 822,6 Familien pro Sekunde. 120 Millionen Kilometer müsste er zurücklegen, mit einem Schlitten, der die dreitausendfache Schallgeschwindigkeit drauf hätte

Saarbrücken. Naturwissenschaftlich gesehen ist die Sache längst entschieden: Der Weihnachtsmann ist Hokuspokus. Denn der hätte an Heiligabend weltweit mehr als 90 Millionen christliche Haushalte zu besuchen, das macht 822,6 Familien pro Sekunde. 120 Millionen Kilometer müsste er zurücklegen, mit einem Schlitten, der die dreitausendfache Schallgeschwindigkeit drauf hätte. Diese absurde Überspitzung könnte dem Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken eingefallen sein, die im Internet die "weihnachtsmannfreie Zone" ausgerufen haben (www. weihnachtsmannfreie-zone.de). Ihr Ziel: Weg mit dem Werbe- und Unterhaltungs-Fuzzi aus den USA. Der seriöse Heilige Nikolaus muss wieder zu seinem Recht kommen, der am 6. Dezember, seinem Namenstag, Kindern Gutes tut. Übersehen wird die christliche Konkurrenz: das Christkind. Kein Wunder, ist es doch eine Erfindung Martin Luthers. Der mochte keine Heiligen, also betraute er den Gottessohn mit dem Gaben-Dienst. In protestantischen Haushalten hatte ab 1535 nur noch einer die Geschenke abzuliefern: das Christkind. Und heute? Herrscht ein munteres Drunter und Drüber. Alle drei dürfen am 24.12. ranklotzen: Nikolaus, Christkind und Weihnachtsmann - weil keiner mehr durchblickt bei den Kompetenzen.

Insofern sollten wir nicht so flott durch die Kulturgeschichte sausen. Selbst der viel geschmähte Kommerz-Onkel, der Weihnachtsmann, hat eine längere Tradition als gedacht. Calvinistische Auswanderer hielten - entgegen Luthers Christkind-Empfehlung - an ihrem Nikolaus, dem "Sinterklaas", fest. 1821 tauchte in einer Kindergeschichte erstmals ein dicklicher, jovialer Geselle in dessen Rolle auf. Thomas Nast, ein Einwanderer aus Landau, zeichnete ihn 1863 mit Zipfelmütze und langem Mantel für eine Illustrierte. 1931 färbte der Coca-Cola-Konzern die Kleidung in die Firmenfarben um. Seitdem regiert der säkularisierte Nikolaus die Konsumtempel dieser Welt. Ein Triumphzug, erklärbar durch die Übermacht der US-dominierten Werbe-Wirtschaft? Nein, dieser gemütliche Grüßgott-August ist mehr, ist ein Sympathieträger. Er löst weltweit kindliche Geborgenheitsgefühle aus, denn er verkörpert eine Urgestalt: die des gütigen Großvaters. Gegen diese alltagstaugliche, lebenspralle Figur hat ein ätherisch in Himmels-Sphären flatterndes Wesen wie das Christkind keine Chance. Zumal Luthers Erfindung keine klar umrissene Gestalt annahm. Mal trägt das Kind Heiligenschein, mal Königskrone, mal goldene, dann flauschig-weiße Flügel. Immerhin ist es grundsätzlich blond. Aber vordringlich hat es was Spukhaft-Gespenstisches. Man schreibt dem unsichtbaren Wesen Wunschzettel, legt sie auf die Fensterbank, von wo sie dann wie von Geisterhand verschwinden. Und an Heiligabend schweben von irgendwoher Geschenke unter den Baum, ein Glöckchen ertönt - und husch, ist das Christkind schon wieder weg. Logisch ist zudem nicht, dass es überhaupt Geschenke bringt, wenn es denn mit dem neugeborenen Erlöserkind identisch sein soll. Denn dem brachten andere, die Heiligen Drei Könige, Geschenke. Es gibt eine zutreffendere Erklärung: Das Christkind hat sich aus mittelalterlichen Krippen-Umzügen heraus entwickelt. Dort traten Maria, Josef und das Jesuskind in Begleitung von blond gelockten Engeln auf. Die Anführerin hieß "Christkind".

Und der Nikolaus? Ein Heiliger aus Kleinasien. Als junger Mann soll er drei Nachbarsmädchen, die der Vater zur Prostitution zwingen wollte, gerettet haben. Er legte ihnen ererbtes Gold in die Kammer. So wuchs er zum großzügigen Schutzpatron der Kinder. Die bastelten ihm später Gabenteller, dann wurden Stiefel oder Strümpfe vor der Tür deponiert. Bis zur Reformation war sein Namenstag auch der Tag der "Bescherung".

Immer öfter trat der Nikolaus jedoch mit seinem Sack und Rute schleppenden Helfer auf: "Knecht Rupprecht". Der heißt auch mal "Krampus", hat aber immer dieselbe Funktion, einer vom lieben Nikolaus abgespaltenen Droh-Pädagogik. Artige Kinder werden belohnt, böse bestraft.

Alle drei Figuren, sagt der Kölner Religionssoziologe Peter Leifeld, seien temporäres zeitgeschichtliches Dekor. Er spricht von kulturellen Überformungen und "Verniedlichungen" der imposanten religiösen Botschaft: "Gott wird klein, um uns groß zu machen. Es geht um nichts Geringeres als um das Himmelreich auf Erden." Die Kirche habe nicht umsonst immer Distanz gewahrt zu allen Figuren. Wobei sie das Christkind durchaus strategisch einzusetzen wisse. Es mache die Heilsbotschaft "leichter konsumierbar", garantiere Zuwendung, schaffe Solidarität, Spendenbereitschaft. Trotzdem habe es gegen die kaufmännisch besser verwertbaren Typen keine Chance: "Es wird verschwinden." Aber auch die männlichen Wettbewerber würden sich langfristig "totlaufen", weil sie Marktmechanismen unterworfen seien. Kultursoziologisch betrachtet beendet also Erschöpfung durch Ausbeutung den Wettkampf um die weihnachtliche Wohltäterschaft. "Das Christkind wird irgendwann verschwinden."

Religionssoziologe Peter Leifeld

Auf einen Blick

Nikolaus: Als historisches Vorbild für den Nikolaus gilt ein (rot gekleideter) Bischof von Myra (4. Jahrhundert), der insbesondere in der Ost-Kirche als Schutzpatron der Kinder verehrt wurde. Er kam mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu, die 972 einen Ottonen-Kaiser heiratete, in den Norden.

Christkind: In evangelischen Gebieten löste das Christkind Mitte des 16. Jahrhunderts den Nikolaus ab. Als Gegner der katholischen Heiligenverehrung ersetzte Martin Luther Sankt Nikolaus durch Christus, das neugeborene Kind. Den Tag der Bescherung verlegte er auf den 24. Dezember.

Weihnachtsmann: Niederländische Auswanderer brachten den europäischen Nikolaus - auf Niederländisch "Sinterklaas" - im 17. Jahrhundert nach Amerika. Aus dieser Figur entwickelte sich "Santa Claus", der 1931 eine Coca-Cola-Werbefigur wurde und als Weihnachtsmann nach Europa zurückkehrte. Der säkularisierte Nikolaus hatte im 19. Jahrhundert Vorläufer: etwa "Herr Winter" in Deutschland: ein alter Mann mit Tannenbaum und Geschenken. In Ostdeutschland wurde er als "Väterchen Frost" zum Nikolaus-Ersatz. ce

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