Kommt nicht in die Plastiktüte

Brüssel. Sie sind erst 51 Jahre alt. Aber die EU-Kommission würde ihnen am liebsten möglichst schnell ein Ende berieten: Plastiktüten. Knapp vier Millionen dieser Taschen werden pro Jahr in der Europäischen Gemeinschaft produziert, obwohl sie durchschnittlich nur 25 Minuten im Gebrauch sind. Danach landen die Tüten im Müll und schließlich im Wasser

 Laut einer Umfrage der EU sind 71 Prozent der Verbraucher bereit, gänzlich auf Plastiktüten zu verzichten. Foto: dpa

Laut einer Umfrage der EU sind 71 Prozent der Verbraucher bereit, gänzlich auf Plastiktüten zu verzichten. Foto: dpa

Brüssel. Sie sind erst 51 Jahre alt. Aber die EU-Kommission würde ihnen am liebsten möglichst schnell ein Ende berieten: Plastiktüten. Knapp vier Millionen dieser Taschen werden pro Jahr in der Europäischen Gemeinschaft produziert, obwohl sie durchschnittlich nur 25 Minuten im Gebrauch sind. Danach landen die Tüten im Müll und schließlich im Wasser. Da die Tüten in vielen EU-Mitgliedsländern nicht ordnungsgemäß recycelt werden und bei der Abfallsortierung leicht durchrutschen, landen sie schließlich im Meer. EU-Experten fanden 2011 heraus: Etwa 250 Milliarden Kunststoffteilchen dieser Plastiktüten mit einem Gesamtgewicht von 500 Tonnen treiben zwischen Adria und türkischer Riviera in der See.Das soll nun anders werden. EU-Umweltkommissar Janesz Potocnik will den Plastiktüten-Verbrauch massiv senken. Bis 2020 soll jeder Bürger noch höchstens 39 Tüten pro Jahr nutzen - das wären 80 Prozent weniger als heute. Eigentlich wollte man in Brüssel die Nutzung vollständig verbieten. Doch in einer internen Studie warnen Rechtsexperten jetzt vor "schwierigen juristischen Fragen" und einem Konflikt mit den Regeln des Binnenmarktes sowie dem internationalen Handelsrecht. Nicht einmal ein nationales Verbot kann die Kommission anstoßen. Hinzu kämen große Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

Denn die 275 Hersteller der bunt bedruckten Plastiktaschen beschäftigen etwa 17 500 Menschen. Nun denkt Potocnik statt eines Verbotes an einen "spürbaren Abgabepreis" für die Plastiktaschen, der auch noch laufend steigen soll, damit die Verbraucher sich nicht daran gewöhnen, sondern auf andere, umweltfreundlichere Verpackungsmöglichkeiten umsteigen. "Jute statt Plastik", wie es in den 1970er Jahren hieß. Während in Deutschland die wegen ihrer ursprünglichen Form "Hemdchentüten" genannten Taschen, die erstmals im Jahr 1961 vom Kaufhaus Horten im nordrhein-westfälischen Neuss ausgegeben wurden, ohnehin längst nur noch gegen einen geringen Aufpreis zu haben sind, ist ihre Mitnahme in den weitaus meisten EU-Mitgliedstaaten kostenlos. Auch die Zusammensetzung unterscheidet sich. Die Bundesrepublik, Frankreich, Italien sowie Österreich verwenden größtenteils biologisch abbaubaren Kunststoff oder setzen auf verstärkte Papiertüten. In vielen anderen Ländern gibt es die dünnen Plastiksäckchen allerdings weiterhin kostenlos. Dabei sind die Verbraucher offenbar gerne bereit, sich mit anderen, ökologisch verträglichen Alternativen anzufreunden. Bei einer Umfrage der EU-Kommission sagten 71 Prozent der Befragten, sie könnten auf Plastiktüten gänzlich verzichten. Und 77 Prozent der Befragten forderten ein klar erkennbares Siegel für solche Taschen, die aus biologisch abbaubarem Kunststoff hergestellt wurden.

EU ist mitschuldig an Tütenflut

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Brüssel ist an der Plastiktüten-Flut nicht unbeteiligt. Bei der Reform der Verpackungsrichtlinie wurde schlampig gearbeitet. Das Gesetzeswerk differenziert nicht zwischen biologisch abbaubaren Erzeugnissen, die unter natürlichen Bedingungen in der Umwelt zersetzt werden, und biologisch verwertbaren Produkten, die sich nur in industriellen Kompostieranlagen recyceln lassen. Der Verbraucher wird in die Irre geführt: Man drückt ihm Plastiktaschen in die Hand, die so gekennzeichnet sind, dass er glauben muss, eine biologisch abbaubare Tasche zu haben, obwohl das nicht stimmt.

 Laut einer Umfrage der EU sind 71 Prozent der Verbraucher bereit, gänzlich auf Plastiktüten zu verzichten. Foto: dpa

Laut einer Umfrage der EU sind 71 Prozent der Verbraucher bereit, gänzlich auf Plastiktüten zu verzichten. Foto: dpa

Die Diskussion in Deutschland hat dazu beigetragen, umweltschonende Alternativen zu finden. Die Idee, den Verbrauch über den Preis zu führen, funktioniert. Auch das zeigt die Entwicklung in der Bundesrepublik.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort