Kohl kritisiert sein "Mädchen"Wahlkrimi in Baden-Württemberg

Stuttgart/Mainz. Am wichtigsten Wahltag des Jahres steht am Sonntag nicht nur für die Parteien in Stuttgart und Mainz viel auf dem Spiel. Sollte das schwarz-gelbe Bündnis bei der Landtags-Wahl in Baden-Württemberg kippen, wäre dies eine historische Zäsur und hätte auch Auswirkungen auf die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)

Stuttgart/Mainz. Am wichtigsten Wahltag des Jahres steht am Sonntag nicht nur für die Parteien in Stuttgart und Mainz viel auf dem Spiel. Sollte das schwarz-gelbe Bündnis bei der Landtags-Wahl in Baden-Württemberg kippen, wäre dies eine historische Zäsur und hätte auch Auswirkungen auf die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). In Rheinland-Pfalz geht es vor allem darum, ob Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) seine Alleinregierung fortsetzen kann.Für die größte Spannung sorgt die Wahl in Baden-Württemberg. Die Atomkatastrophe in Japan hat politisch dem christlich-liberalen Bündnis arg zugesetzt. Die CDU/FDP-Koalition könnte abgewählt und Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) nach nur gut einem Jahr gestürzt werden. Es wäre das Ende einer fast 58 Jahre währenden CDU-Dominanz zwischen Main und Bodensee. Nach den Meinungsumfragen könnte eine rot-grüne oder eine grün-rote Regierung - dann mit dem ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland - das Ruder übernehmen.

In Rheinland-Pfalz könnte laut Umfragen Rot-Grün an die Macht kommen. Im ländlich geprägten und strukturell konservativen Heimatland von Altkanzler Helmut Kohl (CDU) drücken die Christdemokraten schon seit 20 Jahren die Oppositionsbank. Seit 2006 regiert Deutschlands dienstältester Ministerpräsident Kurt Beck sogar mit absoluter SPD-Mehrheit in Mainz. 45,6 Prozent holten die Sozialdemokraten vor fünf Jahren. Nun sagen die jüngsten Umfragen der SPD etwa 37 Prozent voraus. Die Grünen liegen nach der japanischen Atomkatastrophe bei 13 bis 14 Prozent. Die Wähler könnten also eine komfortable rot-grüne Mehrheit ermöglichen. Die CDU mit ihrer erst 38-jährigen Spitzenkandidatin Julia Klöckner erreicht in den Umfragen 34 bis 35 Prozent. dpa

Kurz vor den wichtigen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg kommt es für Union und FDP ganz dicke. Kein Geringerer als Helmut Kohl (CDU) kritisierte gestern die schwarz-gelbe Atomwende. Und der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bescheinigte der Bundesregierung in einem vertraulichen Gutachten, dass das "Moratorium" der Laufzeitverlängerung keine Rechtsgrundlage hat. Auch die vorübergehende Stilllegung von sieben Kraftwerken ruhe auf wackeliger juristischer Basis.

Für Angela Merkel muss es wie ein Angriff aus dem Nichts sein: Helmut Kohls Artikel in der "Bild"-Zeitung vom Freitag. Der Altkanzler gab in einem langen Text ein Bekenntnis zur Kernenergie als Brückentechnologie ab und warnte eindringlich vor einem "überhasteten" Ausstieg: "Deutschland ist nicht Japan. Japan ist nicht Deutschland." Und dann folgten Bemerkungen, die als direkte Kritik am Atom-Moratorium der Regierung und an Merkel, einst "Kohls Mädchen", interpretiert werden können: "Wir sollten jetzt nicht so tun und vor allem auch nicht danach handeln, als sei uns das Risiko der Kernenergie erst durch Japan offenbar geworden und als bedeute Japan wirklich gänzliche neue Erkenntnisse."

Genau so aber hatte Merkel ihre Atomwende begründet. Sie hatte von einer "neuen Lage" seit Fukushima gesprochen. Es habe sich gezeigt, sagte Merkel letzte Woche im Bundestag, "dass Risiken, die für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends unwahrscheinlich waren, sondern Realität wurden". Brisant an Kohls Artikel ist auch seine Bemerkung, man müsse jetzt "Ruhe, Nachdenklichkeit, Mut, Zuversicht und Führung" zeigen. Viele Atomkraftbefürworter in der Koalition sowie Wirtschaftsvertreter hatten der Regierung zuletzt eine überhastete Reaktion vorgeworfen; Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hatte vor liberalen Abgeordneten sogar von "Hysterie" gesprochen.

Brüderle blieb auch gestern eine Art Pannenreaktor der Koalition. Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" bestätigte ein Präsidiumsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), dass Brüderle vor diesem Kreis tatsächlich gesagt hatte, dass das Atom-Moratorium nur den Landtagswahlen geschuldet sei. Die Äußerung war am Donnerstag durch die Veröffentlichung des Sitzungsprotokolls bekannt geworden. BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf, der anfangs noch von einem "Protokollfehler" gesprochen hatte, stellte gestern sein Amt zur Verfügung. Er übernehme die Verantwortung für die Indiskretion, teilte er mit.

Rechtliche Argumente gegen die Ernsthaftigkeit der schwarz-gelben Atomwende lieferte gestern der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. In einer erst am Donnerstag fertiggestellten vertraulichen Expertise, die unserer Zeitung vorliegt, heißt es, eine "Aussetzung" der Laufzeitverlängerung oder ein "Moratorium" durch die Regierung "wäre verfassungsrechtlich nicht möglich". Die Regierung sei an Recht und Gesetz gebunden und könne Gesetze nicht aussetzen.

Auch die von der Regierung beschlossene dreimonatige Stilllegung von sieben Alt-Kernkraftwerken steht laut dem Gutachten auf wackeliger Rechtsgrundlage. Zwar sei die Maßnahme prinzipiell nach dem Atomgesetz zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben möglich; rechtlich strittig sei jedoch, ob tatsächliche neue Gefahren vorliegen müssten oder wie hier nur ein Gefahrenverdacht. In jedem Fall müsse eine Einzelfallprüfung erfolgen. Diese hat es bisher allerdings nicht gegeben. Vielmehr hat die Regierung pauschal jene Kraftwerke abschalten lassen, die vor Ende 1980 in Betrieb gingen.

Die Opposition hatte von vornherein behauptet, die schwarz-gelbe Atomwende sei nur ein Wahlkampfmanöver. Grünen-Expertin Sylvia Kotting-Uhl sagte der SZ: "Das Moratorium fußt auf windiger gesetzlicher Grundlage, damit es im Zweifel folgenlos bleiben kann." Hätte die Regierung konkrete Mängel an den vorübergehend stillgelegten AKW benannt, "wäre eine Rückkehr zum Status Quo nicht möglich. Genau das will sie sich aber offen halten". "Deutschland ist nicht Japan."

Altkanzler Helmut Kohl zur schwarz-gelben Atomwende

Meinung

Seine Worte werden gehört

Von SZ-KorrespondentHagen Strauß

Für Angela Merkel war es eine Woche zum Vergessen. Erst plauderte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle aus, dass die Atomwende keine ist. Und jetzt meldet sich noch Helmut Kohl mit einer Breitseite zu Wort, die Angela Merkel erst einmal verdauen muss.

Kohls Text in der "Bild" erinnert stark an Merkels Vorgehen 1999, als sie Kohl in der Spendenaffäre mit einem Zeitungsartikel endgültig den Stuhl vor die CDU-Türen stellte. Der Patriarch schlägt also mit den gleichen Mitteln zurück - und das in einem für Merkel und ihre Regierung heiklen Moment. Denn wenn der Pfälzer irgendwo besonders viel Hochachtung genießt, dann in den Ländern, wo gewählt wird - in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg. Seine Worte dürften dort nicht ignoriert werden.

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