Koalition feilscht um längere Atom-Laufzeiten

Berlin/Heidenheim. "Hirn einschalten - AKWs abschalten", steht am Freitag auf einem Transparent in Heidenheim, einer Station der so genannten Energie-Reise von Kanzlerin Angela Merkel

Berlin/Heidenheim. "Hirn einschalten - AKWs abschalten", steht am Freitag auf einem Transparent in Heidenheim, einer Station der so genannten Energie-Reise von Kanzlerin Angela Merkel. Zumindest den ersten Teil der Forderung der Atomkraftgegner dürfte sich Schwarz-Gelb zu Herzen nehmen, wenn sich Umwelt- und Wirtschaftsministerium an diesem Wochenende über ein Gutachten zur Zukunft der Kernenergie beugen. Mit dem Rat der Experten im Rücken wollen sich Merkel & Co. bis Ende September auf ein Energiekonzept mit längeren Atomlaufzeiten verständigen. Spekulationen, Koalitions-Durcheinander und Geheimniskrämerei dürften bis dahin andauern.Nur in wenigen Punkten scheint es Klarheit zu geben: Eine Steuer oder anderweitige Abgabe für Kernbrennstoffe von jährlich 2,3 Milliarden Euro wird ab 2011 kommen - unabhängig von längeren Laufzeiten der Atommeiler. Das Geld soll in den Bundeshaushalt von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fließen und den Bund auch bei den Kosten für das Atommüll-Endlager Asse entlasten. Dieser Posten aus dem Sparpaket wird am 1. September bei Vorlage des Gesetzentwurfes im Kabinett zunächst nur zur Kenntnis genommen. Noch feilschen Politik und Industrie über Alternativen.Einigkeit gibt es nach langem Hickhack mittlerweile wohl auch darüber, dass die vier Großkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall zusätzlich zur Kasse gebeten werden sollten, wenn Schwarz-Gelb die Laufzeiten wie im Koalitionsvertrag vereinbart verlängert. Auf diese Weise sollen die enormen Zusatzgewinne abgeschöpft werden und mehr Geld in den Ausbau von Öko-Strom fließen. Die Frage ist nur: Wird die Industrie klar verpflichtet oder reicht ein freiwilliger Beitrag, der dann sogar noch mit eigenen Investitionen der Unternehmen verrechnet wird? Nur die Konzerne wissen, welche Gewinne sie mit den längst abgeschriebenen Atommeilern einstreichen. Die Spekulationen reichen von 30 Milliarden bis zu mehr als 200 Milliarden Euro. Merkel hält sich bedeckt. Die CDU-Chefin nimmt den Begriff "Abgabe" nicht in den Mund und spricht von "Beitrag". Ansonsten schweigt sie. "Ein Beitrag kann sehr vieles sein", sagt Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans und drückt sich damit um eine klare Antwort. Nachfragen, ob dies auch ein freiwilliger Beitrag sein könne, wehrt er mit den Worten ab: "Sehr vieles."Hintergrund der Spekulationen über eine Selbstverpflichtung ist die Befürchtung auch in der Koalition, die Atomkonzerne könnten bei einer Steuer, höheren Sicherheitsauflagen und einem verpflichtenden Beitrag für mehr Öko-Strom am Ende überfordert werden. Eine freiwillige Zusage löst unter Kritikern Kopfschütteln aus. Denn die Konzerne dürften auch so in Zukunftstechnologien investieren. "Ich würde es nicht für sinnvoll erachten, wenn man jetzt nur eine lose Formulierung über einen freiwilligen Beitrag findet für Konzerne, die ohnehin investieren", sagt die Energieökonomin Claudia Kemfert. Zumal die "Marktmacht" der vier Großen, die die Preise diktierten, noch zementiert würde.Auch in der Koalition heißt es, dass Steuern und zusätzliche Beiträge für mehr Ökostrom bei längeren Laufzeiten das eine seien, Investitionen aber etwas anderes und allein Sache der Unternehmen. Zumal es schon reichlich Zusagen gab. Beim Energiegipfel 2006 hatte die Branche angekündigt, bis 2012 insgesamt 70 Milliarden Euro zu investieren. Mehr als 30 Milliarden Euro sollten in Kraftwerke und Netze fließen, der Rest in erneuerbare Energien. Die Abrechnung steht noch aus. Durch die Finanzkrise wurde manches Projekt auf Eis gelegt. Merkel erinnerte die Branche auf ihre Art: "Wer das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen will, muss auch bereit sein, Netzzubau zu akzeptieren, sonst wird das nicht gelingen." Der Branchenverband BDEW rechnet vor, zwischen 2007 und 2010 hätten alle Versorger 34 Milliarden Euro investiert. Expertin Kemfert moniert, bei Energiespeichern sei bisher nichts passiert. Und in den Netzausbau müssten noch 20 Milliarden Euro gesteckt werden.

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