Knast oder Gnade für den Kammerdiener

Rom/Vatikanstadt. Die Geschichte hat alles, was ein guter Krimi braucht: Ein päpstlicher Kammerdiener wird verhaftet, weil er brisante Informationen über Intrigen im Vatikan entwendet haben soll. In den Medien ist anschließend von einem angeblichen Mordkomplott gegen Benedikt XVI. und dem Finanzgebaren der Vatikanbank zu lesen

 Paolo Gabriele, der vertrauliche Dokumente aus dem Vatikan geschleust haben soll, war einer der engsten Vertrauten des Papstes und begleitete ihn unter anderem im Papamobil. Foto: Brambatti/dpa

Paolo Gabriele, der vertrauliche Dokumente aus dem Vatikan geschleust haben soll, war einer der engsten Vertrauten des Papstes und begleitete ihn unter anderem im Papamobil. Foto: Brambatti/dpa

Rom/Vatikanstadt. Die Geschichte hat alles, was ein guter Krimi braucht: Ein päpstlicher Kammerdiener wird verhaftet, weil er brisante Informationen über Intrigen im Vatikan entwendet haben soll. In den Medien ist anschließend von einem angeblichen Mordkomplott gegen Benedikt XVI. und dem Finanzgebaren der Vatikanbank zu lesen. Später schießen wilde Spekulationen über mögliche Hintermänner ins Kraut. Der Vatikan dementiert heftig. Doch "Vatileaks" ist kein Thriller, sondern Gegenstand einer Gerichtsverhandlung - vermutlich im Herbst. Bis dahin dürfte es spannend bleiben.Der Abschluss der Ermittlungen war seit längerem erwartet worden, doch der Vatikan verschob die Bekanntgabe über eine mögliche Anklage in der vergangenen Woche kurzerhand. Dabei hatten Beobachter zu diesem Zeitpunkt schon kaum mehr Zweifel daran, dass sich der frühere Kammerdiener Benedikts, Paolo Gabriele (46), wegen schweren Diebstahls vertraulicher Dokumente vom päpstlichen Schreibtisch vor Gericht wiederfinden würde.

Am Montag legte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi das Ermittlungsergebnis vor Es bestätigt, dass die vatikanische Gendarmerie am 23. Mai in Gabrieles Wohnung vertrauliche Dokumente des Papstes fand, die zum beachtlichen Teil in das Buch "Sua Santita" des Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi eingingen - so soll Gabriele geheime E-Mails und Briefe vom Schreibtisch des päpstlichen Privatsekretärs Georg Gänswein kopiert haben. Daneben habe der Kammerdiener aber auch einen Scheck für den Papst über 100 000 Euro mitgehen lassen. Zudem stahl er aus der Papstwohnung einen Goldklumpen sowie eine Ausgabe von Vergils "Aeneis" aus dem Jahr 1581. Mit letzterem wollte er wohl einem bekannten Historiker imponieren.

Als Überraschung präsentierte Lombardi am Montag einen "zweiten Mann": Claudio Sciarpelletti, ein Laien-Angestellter und Informatiker des vatikanischen Staatssekretariats. In dessen Schreibtisch habe man Papstdokumente in einem Umschlag mit Gabrieles Namen gefunden. Auch gegen den Informatiker wird ein Prozess eröffnet - wegen Behinderung der Ermittlungen. Er sei jedoch kein Komplize, betonte Lombardi. Sciarpelletti war nur eine Nacht in Haft und wurde am nächsten Morgen in "provisorische Freiheit" ohne weitere Auflagen entlassen. Es sei wahrscheinlich, dass er mit einer milden Strafe davonkomme, bis hin zu einem Freispruch.

Bei Paolo Gabriele sieht die Sache gravierender aus: Er steht nach 60 Tagen in Haft seit 21. Juli unter strengem vatikanischem Hausarrest und wurde psychiatrisch untersucht - sowohl auf Veranlassung der Ermittler als auch der Verteidigung. Beide Gutachten kommen laut Radio Vatikan zu dem Schluss, Gabriele habe seelische Probleme. Dennoch sei der Richter von einer Schuldfähigkeit ausgegangen und es sei Anklage erhoben worden.

Bislang wurde Gabriele als diskreter Diener seines Herrn beschrieben, die Justiz des Vatikan spricht aber auch von einer "schwachen" und "ängstlichen" Persönlichkeit. Über den Werdegang des 46-jährigen Laien ist nicht viel bekannt. Gabriele ist verheiratet und Vater von drei Kindern, seit 2006 stand er im Dienst von Benedikt XVI. "Paoletto" gilt als sehr fromm.

Nach seiner Festnahme sagte ein ranghoher kirchlicher Würdenträger, der Gabrieles Beichtvater war, in einem Zeitungsinterview, dass der Kammerdiener den Papst "so sehr geliebt" habe, dass er ihn "niemals verraten" hätte. Laut Ermittlungsakte begründete Gabriele sein Handeln gegenüber dem Staatsanwalt damit, dass der "Heilige Vater nicht korrekt informiert" gewesen sei, über das, was um ihn herum geschehen sei. In den Akten ging es unter anderem um Steuerprobleme, sexuellen Missbrauch von Kindern oder Verhandlungen mit "Kirchenrebellen", worüber Gabriele den Papst informieren wollte.

In der Ermittlungsakte kommen jedoch auch Experten zu Wort, die ein schillerndes Bild von der Persönlichkeit des Kammerdieners entwerfen. So ist von einer "schweren psychologischen Störung, die von Unruhe, Anspannung, Wut und Frustration gekennzeichnet ist", die Rede. Insgesamt sehen die Experten einen "tragischen Widerspruch" zwischen "der Absicht Gabrieles, dem Papst Gutes zu tun" und "der Schwere der begangenen Taten". Laut dem mitangeklagten Informatikers hatte Gabriele zudem "eine schwere Kindheit".

Der Vatikan selbst geht jedenfalls nicht von finanziellen Motiven aus. Es wird vermutet, dass Gabriele zunächst mit gutem Gewissen handelte, dann aber als Teil eines Komplotts manipuliert wurde, das den Sturz der Nummer zwei im Vatikan, Kardinal Tarcisio Bertone, zum Ziel hatte. Gabriele drohen im Fall einer Verurteilung sechs Jahre Haft.

Ob Haftstrafe oder Freispruch - wie auch immer das Urteil ausfällt, Papst Benedikt XVI. hat das letzte Wort. Denn kraft seines Amtes kann er den Mann begnadigen. Beim Papst hat sich der Kammerdiener bereits entschuldigt.

Stichwort

Die "Kammerdiener seiner Heiligkeit" gehören zur sogenannten päpstlichen Familie, dem aus rund 30 Personen bestehenden engsten Kreis um den Pontifex. Die nach katholischer Tradition freiwilligen Laien sind in der Regel Angehörige des Adels oder angesehener römischer Familien. Unter den Dienern hat der persönliche Kammerherr des Papstes eine besondere Vertrauensstellung. Er hilft dem Oberhaupt der katholischen Kirche beim Anziehen, bedient ihn beim Essen und bereitet sein Schlafzimmer vor. Er hat freien Zugang zu den Privatgemächern des Papstes und verwahrt alle Schlüssel zu Türen, Treppenhäusern und Aufzügen. Der persönliche Kammerdiener folgt dem Heiligen Vater bei Audienzen und begleitet ihn auf Reisen. dpa

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